Hans Reichhart ist Bayerns Bau- und Verkehrsminister. (Foto: BK/W. Heider-Sawall)
Wohnungsbau

„Für günstiges Wohnen brauchen wir mehr Angebot“

Interview Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: Als bayerischer Bau- und Verkehrsminister ist Hans Reichhart für einige der drängendsten Probleme im Freistaat zuständig. Im „Bayernkurier“-Interview erklärt er, wie er sie lösen möchte.

Herr Reichhart, Ministerpräsident Söder hat Wohnen als „die soziale Frage unserer Zeit“ bezeichnet. Wie fühlt man sich angesichts dieser Aufgabe?

Das ist eine große Herausforderung. Aber diese Aufgabe macht auch Spaß. Als Minister kann man anpacken und gestalten.

Was unternimmt der Freistaat denn konkret, um mehr günstigen Wohnraum zu schaffen?

Da gibt es verschiedene Ansätze. Zum einen geht es um den ganzen Bereich der Regulatorik. Wir schauen uns gerade intensiv die Bauvorschriften an. Wie kann Bauen einfacher werden? Was muss angepasst werden? Der zweite Bereich sind die Förderinstrumente, die wir intensiv einsetzen. Im nächsten Doppelhaushalt stehen insgesamt 1,7 Milliarden Euro zur Verfügung, die investiert werden, um neuen Wohnraum zu schaffen. Das ist eine Größenordnung, die sich sehen lassen kann. Und schließlich bauen wir selber Wohnungen – über unsere staatlichen Gesellschaften wie die BayernHeim GmbH. Damit stellen wir unseren Mitarbeitern und den Bürgern, die auf dem freien Wohnungsmarkt nicht so leicht zum Zuge kommen, günstigen Wohnraum zur Verfügung. Wir wollen den Bestand unserer drei Wohnungsbaugesellschaften mittelfristig von derzeit rund 15.700 Wohnungen auf bis zu 28.500 erhöhen.

Gerade dort, wo zusätzliche Wohnungen am nötigsten sind, wächst der Widerstand der Bürger gegen weitere Baugebiete. Wie lässt sich dieser Konflikt entschärfen?

Es geht darum, für die betroffenen Bürger einen Ausgleich zu schaffen. Auch für sie muss ein Mehrwert entstehen, etwa durch neue Gemeinschaftseinrichtungen. Dabei unterstützen wir die Kommunen. Unser Ziel ist es, ihnen einen Instrumentenkasten zur Verfügung zu stellen, aus dem sie sich dann bedienen können. Unser Interesse ist ja, dass weiter Bauland ausgewiesen wird.

Wir möchten, dass die Kommunen zuerst die Potenziale im Ort heben und erst dann nach außen in die Fläche gehen.

Hans Reichhart

Häufig entzündet sich der Streit an einer mangelhaften Verkehrsanbindung der  Neubaugebiete. Wie ließe sich dieses Problem lösen?

Ich könnte es mir jetzt einfach machen und sagen, sowohl für die Ausweisung des Baugebiets als auch für den ÖPNV ist die Kommune zuständig. Aber das ist nicht Politik, wie ich sie verstehe. Wir haben hier eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und die müssen wir gemeinsam anpacken. Wir stärken gerade massiv unsere Unterstützung für den öffentlichen Personennahverkehr. Zudem investieren wir auch kräftig in einen weiteren Ausbau der Schienentakte. Wir wollen auch hier Partner der Kommunen sein, denn nur, wenn die Kommunen, der Freistaat und der Bund an einem Strang ziehen, werden wir Erfolg haben.

Die Zersiedelung der Landschaft und der Flächenverbrauch sind auch in ländlichen Regionen ein Thema. Welche Möglichkeiten sehen Sie hier, die unterschiedlichen Interessen auszugleichen?

Wir brauchen Flächen für In­frastruktur, für Wohnbebauung und auch für Unternehmen, von denen wir als Industriestandort leben. Aber wir müssen prüfen, welche Potenziale es vor Ort gibt. Es kann nicht nur darum gehen, immer weiter in die Fläche zu gehen und so den Donut-Effekt immer weiter zu vergrößern: Um die Gemeinden herum entsteht immer mehr, in den Dorfkernen bleibt immer weniger. Das wird irgendwann schwierig. Deshalb fördern wir ganz stark die Innenraumentwicklung. Wir haben ein Förderprogramm mit mehr als 100 Millionen Euro aufgelegt, Geld, das wir den Kommunen zur Verfügung stellen, zum Beispiel um ältere Häuser zu kaufen oder um innerorts Flächen zu entwickeln. Wir möchten, dass die Kommunen zuerst die Potenziale im Ort heben und erst dann nach außen in die Fläche gehen.

Wird dieses Angebot angenommen?

Wir haben eine gigantische Nachfrage. Im vergangenen Jahr wurden die 100 Millionen Euro komplett abgerufen. 260 Kommunen haben sich am Programm „Innen statt außen“ beteiligt. 50 weitere haben Flächen entsiegelt. Das sind mehr als 300 Kommunen in Bayern, die in nur einem Jahr das Thema Flächenverbrauch aktiv angepackt haben.

Die Idee der Verstaatlichung halte ich für vollkommen grundgesetzwidrig.

Hans Reichhhart

Um Wohnen günstiger zu machen, sympathisieren in Berlin Linke und Teile von SPD und Grünen mit der Idee, große Wohnungsbaugesellschaften zu enteignen. Justizministerin Katarina Barley will die Maklergebühren künftig vom Verkäufer bezahlen lassen. Was halten Sie von solchen Vorschlägen?

Die Idee der Verstaatlichung halte ich für vollkommen grundgesetzwidrig. Wir haben zwar die Sozialbindung des Eigentums im Grundgesetz verankert, aber es gibt auch den Schutz des Eigentums. Diese Debatte ist außerdem absolut kontraproduktiv. Wenn ich Investoren signalisiere, dass etwas in diese Richtung geschehen könnte, dann werden die sich sehr genau überlegen, ob sie noch investieren sollen. In Berlin sieht man das bereits. Wenn wir es ernst damit meinen, Wohnen günstiger zu machen, dann brauchen wir ein größeres Angebot auf dem Markt. Dann darf ich nicht dazu beitragen, dass es am Ende weniger Wohnungen gibt.

Und wie bewerten Sie die vorgeschlagene Neuregelung der Maklergebühren?

Das ist eine Phantomdebatte. Wenn der Verkäufer die Gebühren übernehmen muss, dann schlägt er sie auf den Kaufpreis drauf, oder sie werden später auf die Mieter umgelegt. Wenn man Wohnerwerb tatsächlich günstiger machen will, dann muss man an die Grunderwerbsteuer herangehen. Mein Vorschlag ist, den Ersterwerb von Wohneigentum steuerfrei zu stellen, so wie es im Koalitionsvertrag angedacht ist.

Viele Bundesländer werden auf diese Einnahmen nicht  verzichten wollen …

Es wäre doch schon viel gewonnen, wenn den Ländern die Möglichkeit eröffnet würde, dies zu tun. Wenn die Länder die Möglichkeit hätten, zu differenzieren, dann bekämen wir einen Wettbewerb unter den Ländern. Dann würden wir sehen, wie die Bürger diese Entscheidung bewerten. Das verstehe ich unter Föderalismus.

Immobilienbesitzer interessieren sich derzeit besonders für die Reform der Grundsteuer. Welche Lösung streben Sie an?

Wir haben hier in Bayern eine klare Linie: Wir wollen ein System, das einfach ist, das leicht zu berechnen ist und das nicht zu Erhöhungen führt. Alleine, dass man mehrere Tausend zusätzliche Beamte einstellen müsste, um die Steuer neu zu berechnen, zeigt, dass der Vorschlag von Bundesfinanzminister Olaf Scholz nicht zielführend ist.

In Bayern wird derzeit die Mietpreisbremse neu geregelt. Taugt sie überhaupt als Mittel, um Mieten zu deckeln?

Es lässt sich ein gewisser Effekt feststellen. In den Gegenden, in denen die Mietpreisbremse gilt, steigen die Mieten nicht ganz so stark wie in den anderen Gegenden. Aber natürlich muss man genau prüfen, ob die Mietpreisbremse etwas bewirkt oder nicht. Allerdings behandelt die Mietpreisbremse nur das Symptom, wir müssen das Angebot erhöhen, dann erreichen wir wirklich etwas.

Der Zuzug in Bayern konzen­triert sich stark auf bestimmte Regionen. Auch Firmen siedeln sich vorwiegend in Ballungsräumen, zum Beispiel in München, an. Wie kann die Politik hier gegensteuern?

Bayern ist wahrscheinlich das einzige deutsche Flächenland, das sagen kann, gleichwertige Lebensverhältnisse sind nicht nur Staatsziel, sondern existieren tatsächlich. Wir versuchen, Unternehmen aus den Ballungsräumen auf das flache Land zu verlagern. Wenn wir zeigen, dass die Infrastruktur vorhanden ist, dass die Kinderbetreuung gewährleistet ist, dass das Leben nicht nur günstiger, sondern zum Teil auch attraktiver ist, dann gibt es dazu auch die Bereitschaft. Gerade für Familien ist der ländliche Raum doch besonders attraktiv.

Eine Entzerrung der Großräume funktioniert nur dann, wenn die Infra­struktur vorhanden ist.

Hans Reichhhart

Eine Möglichkeit, die Ballungs­räume zu entlasten, ist, das Umland – auch das weiter entfernte – besser durch öffentlichen Nahverkehr zu erschließen. Gibt es hier bereits konkrete Pläne – etwa für den Großraum München?

Unsere Metropolen enden nicht an den Stadtgrenzen. Sie haben eine Strahlwirkung weit über diese Grenzen hinaus. Danach müssen wir handeln. Eine Entzerrung der Großräume funktioniert nur dann, wenn die Infra­struktur vorhanden ist, wenn die Menschen sehen, dass sie tatsächlich schnell ins Zen­trum gelangen können. In München geschieht schon viel. Mit der Fertigstellung der Zweiten Stammstrecke werden zum Beispiel Landshut und Augsburg S-Bahn-Halte werden.

Ein Ärgernis für viele Pendler im vergangenen Winter waren  die zahlreichen Zugausfälle und Verspätungen, gerade im Regionalverkehr. Wie lässt sich hier die Situation verbessern?

Das war in manchen Regionen ein Rekordwinter mit extremen Verhältnissen. Aber auch wir hätten uns natürlich mehr Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit erwartet. Es gab bereits verschiedene Gespräche mit den Betreibern darüber, dass es nicht wieder vorkommen darf, dass Züge reihenweise über Wochen ausfallen. Der Spruch „Die Bahn kommt, ganz gleich bei welchem Wetter“ muss wieder gelten. Wir bauen da entsprechenden Druck auf, auch über Strafzahlungen. Denn gerade im Winter, wenn die Straßen glatt sind, brauchen wir die Bahn.

Derzeit werden viele Mobilitätskonzepte diskutiert und erforscht: von autonomen  Autos über Flugtaxis bis zum Hyperloop. Wie realistisch sind diese Ideen?

Da sind viele realistische Ideen dabei. Uns muss eines klar sein: Bayern ist ein Standort, der von Mobilität lebt. Wir produzieren Mobilität. Mobilität ist aber auch wichtig, wenn wir den Anspruch ernst nehmen, überall gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. Es geht darum, überall schnell hinzukommen. Deshalb müssen wir bei allen Innovationen dabei sein. Es kann nicht sein, dass wir nur Autos oder Züge produzieren. Wir müssen auch bei den neuen Technologien vorne dran sein – sei es bei Flugtaxis oder einer Magnetschwebebahn. Man sieht da übrigens auch einen Sinneswandel. Als Ilse Aigner zum ersten Mal von Seilbahnen in der Stadt sprach, war die Skepsis groß. Inzwischen gibt es viele Kommunen, die in diese Richtung überlegen.

Ein Thema, das viele Menschen derzeit beschäftigt, ist der Natur- und Artenschutz. Ließe sich der auch bei der Ausgestaltung von Wohngebieten stärken?

Wir sind auf diesem Gebiet schon lange aktiv, werden unsere Anstrengungen aber noch einmal steigern. Das gilt zum einen für die Flächen, die uns gehören. Wir haben jetzt das Projekt „Bienen-Highways“ gestartet. Da geht es darum, entlang von Radwegen Grünstreifen als Verbindung zwischen einzelnen Biotopen zu schaffen. Wir prüfen außerdem, wie wir unsere Flächen so pflegen können, dass wir darauf Lebensräume erhalten oder schaffen können. Und wir evaluieren die Bauordnung gerade mit Blick darauf, was man im Bereich Natur- und Artenschutz verbessern könnte. Dazu führe ich derzeit viele Gespräche mit allen Verbänden und Betroffenen, um möglichst viele Ideen zu sammeln.

Das Interview führte Thomas Röll.