Auf der Weide trägt manch eine Kuh noch eine Glocke. Das gefällt nicht jedem. (Foto: Imago/Westend61)
Urteil

Die Glocken dürfen weiter läuten

Das Oberlandesgericht München hat entschieden: Die Kuhglocken im oberbayerischen Holzkirchen dürfen weiter läuten. Der Streit mutet wie eine Posse an, ist aber keineswegs ein Einzelfall im ewigen Zwist zwischen Einheimischen und "Zuagroasten".

Die Kuhglocken im oberbayerischen Holzkirchen dürfen weiter bimmeln. Das Oberlandesgericht (OLG) München hat am Mittwoch die Klage eines Anwohners zurückgewiesen. Seit Jahren fühlte sich ein Ehepaar von den Kuhglocken auf der angrenzenden Weide einer Bäuerin gestört und wollte gerichtlich ein Ende des Gebimmels erreichen.

Bayerische Lebensart akzeptieren

Der Ehemann und später auch seine Ehefrau waren in getrennten Prozessen in erster Instanz vor dem Landgericht München II gescheitert. Der Mann war nun in zweiter Instanz vor das OLG gezogen – und verlor erneut.

Hier geht es um das Miteinander von Alteingesessenen und Hinzugezogenen.

Ilse Aigner

Der Rechtsstreit sorgt auch für Aufmerksamkeit in der bayerischen Politik. „Es ging bei diesem Streit um grundsätzlich mehr als um vermeintlichen Lärm“, teilte Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) mit, zu deren Stimmkreis auch Holzkirchen gehört. „Hier geht es um das Miteinander von Alteingesessenen und Hinzugezogenen. Wer privilegiert im Oberland leben möchte, sollte auch die Lebensgepflogenheiten der Menschen hier akzeptieren.“ Aigner weiter: „Klagen gegen Kirchenlärm, Kuhglocken oder Hähnekrähen treiben einen Keil zwischen Alteingesessene und Neubürger – auch, wenn es bislang nur Einzelfälle sind. Zu unserer ländlichen Lebensart gehört die Kuh auf der Weide – samt Kuhglocke.“

„Augen- und Ohrenschein“

Das Gericht hatte in der Verhandlung im Februar sogar eine richterliche „Schlafprobe“ ins Spiel gebracht: Wenn sich Ehepaar und Bäuerin nicht einigen könnten, müsse man womöglich die Sache selbst in „Augen- und Ohrenschein“ nehmen, sagte der Vorsitzende Richter Johannes Nagorsen damals. Da es um die Nachtruhe gehe, würde es darauf hinauslaufen, „dass wir mit oder ohne Sachverständigen dort eine Nacht verbringen“. Das Ehepaar hätte auch eine Übernachtung möglich gemacht. Doch das Gericht kam darauf nun nicht mehr zurück.

Beide Eheleute waren in ihren getrennten Verfahren in erster Instanz vor allem wegen eines vom Ehemann 2015 mit der Bäuerin geschlossenen Vergleichs gescheitert. Demnach dürfen nur im entfernteren Teil der Wiese mit gut 20 Metern Abstand Kühe mit Glocke grasen. Daran hält sich Bäuerin Regina Killer. Dem Ehepaar war es aber weiter zu laut.

Unhaltbare Zustände?

Der Anwalt der Eheleute, Peter Hartherz, hatte vor dem OLG im Februar vorgebracht, Messungen am Schlafzimmerfenster des Paares hätten eine Lautstärke von mehr als 70 Dezibel ergeben. Zum Beweis spielte er im Gericht Aufnahmen des Gebimmels ab. Das Gericht kam dennoch zu dem Schluss, dass die Lärmangaben teils zu pauschal seien. Nach dem Urteil am Mittwoch sagte Hartherz, sein Mandant habe auf eine Beweisaufnahme gesetzt. „Er hat darauf gehofft, dass das Gericht sich mal selbst ein Bild macht von den unhaltbaren Zuständen.“

Wer privilegiert im Oberland leben möchte, sollte auch die Lebensgepflogenheiten der Menschen hier akzeptieren.

Ilse Aigner

Dazu zählen nach Ansicht des Ehepaares nicht nur die Kühe mit ihren Glocken, sondern auch Fliegen, die um die Kühe und von dort auf ihr Anwesen schwirren, sowie das Ausbringen von Gülle. Es habe einen regelrechten Gülleteppich gegeben, so der Anwalt des Paares. Für ihre Klage gegen Insekten und Gülle machte allerdings der Richter dem Ehepaar keine Hoffnung. Das Ausbringen von Gülle sei ortsüblich, die zeitweise Geruchsbelästigung „muss man halt einfach hinnehmen“. Und bei den Insekten sei kaum nachprüfbar, ob sie von den Kühen kämen.

Der Streit geht weiter

Der Fall bot neben den für viele Einheimische bestätigten Vorurteilen gegen die „Zuagroasten“ aus dem Norden auch einige Kuriositäten: An der von der Klägerin allen Ernstes vorgebrachten „Ortsunüblichkeit“ der Weidenutzung äußerten die Richter Zweifel. Es sei schließlich nur um fünf Kühe mit vier Glocken über sechs Wochen und acht Kühe mit sechs Glocken über viereinhalb Wochen gegangen. Die Klägerin hatte darüber akribisch Buch geführt. Und die Bäuerin, die vor Gericht sogar persönlich die Kuhglocken vorbimmeln musste, hatte eine Entschädigung für die Einstellung der Weidenutzung rigoros abgelehnt mit den Worten: „Ich bin nicht bestechlich!“ Die Weide sei die beste, die sie habe; Bäume böten Schutz für ihre Tiere.

Ein Ende hat der Rechtsstreit auch mit diesem Urteil nicht. Beim Ehemann könnte es weitergehen. Das OLG hat zwar eine Revision nicht zugelassen – doch Hartherz will wahrscheinlich Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof einlegen: „Wir gehen davon aus, dass wir das machen werden.“ Der Streit mit der Ehefrau geht in jedem Fall weiter. Denn die Verhandlung für die Ehefrau in zweiter Instanz steht noch aus, Hartherz hat hier Berufung gegen das Landgerichtsurteil eingelegt. Der Anwalt gibt nicht auf: „Jetzt werden wir alles daransetzen, dass zumindest die Ehefrau des Klägers zu ihrem Recht kommt.“ Bäuerin Killer sieht dem weiteren Rechtsstreit nun aber gelassen entgegen. „Natürlich bin ich erleichtert. Wenn er (der Ehemann) schon abgewiesen worden ist – warum soll sie (die Ehefrau) nicht abgewiesen werden?“

Der Streit zwischen Ortsansässigen und Nordlichtern ist keineswegs neu und führt oft zu langem Zwist, bei Kirchenglocken, Biergärten, Traktoren, Misthaufen oder wie in Rottach-Egern mit einer Bäckerei.