Riecht doch lecker: Eisbären-Baby Quintana schnuppert im Münchner Tierpark Hellabrunn an einer (altbackenen) Breze. Am Tegernsee dagegen stört der Duft von frischem Backwerk manche Anwohner. (Foto: Imago/S.Widmann)
Lokalposse

Wem die Breze stinkt

In Rottach-Egern protestieren norddeutsche Neubürger gegen die "Geruchsemissionen" einer benachbarten Bäckerei. Der Landkreis Miesbach versucht zu vermitteln - nicht einfach in diesem Kleinkrieg zwischen Einheimischen und Zugereisten.

Preußen leben viele am Tegernsee. So viele, dass zwischen verschiedenen Populationen zu differenzieren ist. Da wären die richtigen „Preißn“, also vormalige Berliner oder Düsseldorfer, die sich ein hübsches Häuschen in Bad Wiessee oder Gmund zugelegt haben. Auch mal ein Torwart aus Gelsenkirchen, der sein beim FC Bayern verdientes Geld oberhalb der Gemeinde Tegernsee verbaut. Dann gibt es noch die nicht minder ungeliebten „Isar-Preißn“, also die Tausenden Münchner, die feierabends und wochenends mit dem Auto, der BOB oder Charter-Bussen herbeieilen, um in Massen am See zu wandern oder Skitouren auf den Hirschberg zu gehen. Sehr zum Grant der Einheimischen, also auch mancher dort heimisch gewordener Preißn.

Ungefilterter Kuchen-Duft

Alle gegen alle, so wirken die Konflikte am „Lago di Bonzo“ gelegentlich. Jetzt aber hat die Volksseele der bayerischen wie auch der preußischen Einheimischen ein neues Zielobjekt ihrer Ablehnung gefunden: das Preißn-Ehepaar, das in der Kißlingerstraße von Rottach-Egern ansässig wurde, unweit der Bäckerei Tremmel. Das Paar fühlt sich mittlerweile belästigt von den „Geruchsemissionen, die aus der Backstube täglich in den frühen Morgenstunden über Ventilatoren ungefiltert ins Freie geblasen werden“, wie sie per Anwaltsschreiben monieren. Also vom bestialischen Gestank frischer Semmeln und Brezen. Beim Umweltschutzreferat des Landratsamtes Miesbach wollen sie den mehligen Missstand anzeigen, wenn nicht Luftfilter eingebaut werden.

Der Zorn am See über das Begehren ist groß und eindeutig verteilt. Hunderte haben sich via Lokalzeitungsleserbrief, Facebook-Post oder Protestschreiben ans Landratsamt empört. Nur zwei Ortsansässige, nach eigenem Bekunden selbst Zugereiste, stellen sich bislang hinter das sich gestört fühlende Ehepaar. Bäckerin Evi Tremmel ist fassungslos: „Der Geruch von frischem Brot und Hefeteig soll stinken? Das ist ja unglaublich!“

Mal sind es bei uns die Kuhglocken, dann die Kirchglocken und jetzt wir. Irgendwann reicht’s!

Evi Tremmel, Bäckerin

Die Empörung ist am Ort seit langem genährt. Erst im Frühjahr hatte Bürgermeister Christian Köck (CSU) im Gemeinderat von Rottach-Egern den Beschwerdebrief eines ebenfalls aus dem Norden zugezogenen Paares verlesen, das sich am Glockengeläut der Kühe von Landwirt und CSU-Gemeinderat Martin Strohschneider stört. An Durchschlafen sei nicht zu denken, wenn die Rinder rund um die Uhr bimmeln, klagten die Neubürger. Viecher und Geläut seien aber ortstypisch, entgegnete Rathaus-Chef Köck – und gönnte sich noch einen Seitenhieb: „Es ist eben nicht damit getan, sich eine Lederhose zu kaufen und ein Miesbacher Kennzeichen zuzulegen.“

Alles stört

Über die Jahrzehnte ist viel zusammengekommen auf der Animositätenliste zwischen gebürtigen Bayern und den Migranten aus dem Rest der Republik. Viele Klagen von Zugereisten gegen Kirchturmglocken-Geläut und Traktoren-Geknatter, gegen Misthaufen-Gestank und Blaskapellen-Gebläse in ihrem hübschen neuen Heimatdorf gingen verloren. Selbst die Isar-Preißn waren nicht sicher vor den Echt-Preißn, aber auch der Protest einiger Neumünchner gegen den Lärm des Biergartens „Waldwirtschaft“ vor mehr als zwanzig Jahren ging in der so genannten „Biergartenrevolution“ unter, einer von Wirtschaftsverbänden und Brauereien angeschobenen Protestbewegung. Seither regelt eine gerichtsfeste Biergartenverordnung, dass die Sperrstunden an Schankplätzen unter Bäumen erst um 23 Uhr gelten – bei zulässigem Lärmpegel wie auf einer Bezirkssportanlage.

Willkommenskultur á la bavaroise

Zur Realität gehört allerdings auch, dass sich mancher Norddeutsche von der eigenwilligen Willkommenskultur mancher Bayern provoziert fühlt. Im Sommer 2013 gab es im niederbayerischen Bad Füssing kolossalen Ärger, weil ein Elternpaar die frisch geborene Tochter Fiona mit einem Plakat im Garten begrüßte: „Egal ob schwarz oder weiß, d’Hauptsach is, es is koa Preiß.“ In einem Kurort mit 2,5 Millionen Gästeübernachtungen im Jahr (bei 6700 Einwohnern) liest so einen Reim schnell auch mal der eine oder andere preußische Kurgast. Jedenfalls liefen einige Hotelgäste Sturm gegen das „Terror-Transparent“. Die Beschuldigten zogen sich auf den Standpunkt zurück, das liebevolle Poem stamme doch vom Kabarettisten Gerhard Polt. Der aber bestritt seine Urheberschaft. „Das würd‘ ich mich ned trauen. Das ist eine tickende Zeitbombe“, versicherte Polt. Der Mann weiß von den Gefahren, die von Neusiedlern ausgehen. Denn er wohnt am Schliersee, nahe dem von geruchs- und lärm-sensiblen Preußen umwohnten Tegernsee.

Der Landrat des Kreises Miesbach, Wolfgang Rzehak (Grüne), bemüht sich derweil, den Rottacher Bäckerei-Zwist zu entschärfen. Für Ende September ist ein Vermittlungsgespräch zwischen dem Anwohnerpaar und Bäckerin Tremmel anberaumt. Eine Anzeige im Umweltschutzreferat ist trotz der anwaltlichen Drohung bislang nicht eingegangen. Der Landkreis würde sie selbstverständlich prüfen, streng nach Bundesemissionsgesetz. Sollte die Beeinträchtigung „erheblich, dauerhaft und regelmäßig“ sein, müssten tatsächlich Luftfilter in die Backstube eingebaut werden, teilt Rzehaks Sprecher Birger Nemitz mit. Und schiebt noch eine kleine „Drohung“ nach: Dem norddeutschen Ehepaar könne er eine Beschwerde keinesfalls empfehlen – „die wollen doch im Ort weiterhin leben, einkaufen, spazierengehen“.