Eine Kommission gab einen ersten Zwischenstand zum neuen Polizeiaufgabengesetz. (Bild: Bayerische Polizei)
PAG

Keine Anzeichen für Orwell

Die Kommission zur Begleitung des neuen Polizeiaufgabengesetzes hat einen ersten Arbeitsbericht für den Zeitraum Juli bis Dezember 2018 übergeben. Zwar gab es nur wenige konkrete Zahlen, doch scheint es kaum Probleme mit dem neuen Gesetz zu geben.

Laut des Vorsitzenden der Kommission zur Begleitung des neuen Polizeiaufgabengesetzes, Karl Huber, soll der Abschlussbericht voraussichtlich im Frühsommer 2019 vorgelegt werden. „Bis dahin werden wir die PAG-Kommission in ihrer Arbeit mit maximaler Offenheit und Transparenz auch weiterhin bestmöglich unterstützen“, sicherte Innenminister Joachim Herrmann zu. Jetzt gab es so etwas wie ein Zwischenzeugnis, einen ersten Arbeitsbericht der PAG-Kommission für den Zeitraum Juli bis Dezember 2018.

Die Erfahrung zeigt, dass neue Befugnisse erst in die Praxis einsickern müssen.

Thomas Petri, Bayerischer Landesbeauftragter für den Datenschutz

Prüfung des Gesetzes in der Praxis

Die sechsköpfige unabhängige Expertenkommission wird von Karl Huber, einst Präsident des bayerischen Verfassungsgerichtshofs, geleitet. „Die Einsetzung der Kommission sehe ich positiv: ein neues Gesetz wird auf seine Tauglichkeit geprüft“, betonte Huber. Das Gremium prüft die 2017 und 2018 vom Landtag beschlossenen Neuregelungen auf ihre Praxistauglichkeit und Anwendbarkeit. „Die Erfahrung zeigt, dass neue Befugnisse erst in die Praxis einsickern müssen“, so Thomas Petri, Bayerischer Landesbeauftragter für den Datenschutz und Mitglied der Kommission. „Hier hinkt die Praxis der Norm noch etwas hinterher.“ Bedeutet: Einige Polizisten wissen noch nicht, mit ihren neuen Befugnissen umzugehen.

Ausdrücklich soll die Kommission einzelne Befugnisnormen, die in der Öffentlichkeit oder in betroffenen Fachkreisen (Rechtswissenschaften, Datenschutz) als kritisch erachtet werden, identifizieren und detailliert untersuchen. Die Prüfung der Vereinbarkeit von Vorschriften des PAG mit dem Grundgesetz und der Bayerischen Verfassung ist dem Bundesverfassungsgericht und dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof vorbehalten, bei denen jeweils mehrere Verfahren anhängig sind. In erster Linie geht es daher darum, die Erfahrungen von Polizisten, Gerichten und anderen Beteiligten mit den neuen Befugnissen zu beurteilen und das Gesetz im Bedarfsfall zu optimieren. Die am Ende der Kommissionsarbeit formulierten Vorschläge können deswegen auf die Beibehaltung, Änderung oder Weiterentwicklung gesetzlicher Vorschriften zielen.

Viele Stunden Arbeit

Die Kommission hat zwischen dem 2. Juli und dem 18. Dezember insgesamt neun mehrstündige Sitzungen durchgeführt, dazu Berichte und Stellungnahmen sowie vorhandene Statistiken eingeholt. Ferner hat sie Anhörungen durchgeführt mit Vertretern der drei Polizeigewerkschaften (Bund Deutscher Kriminalbeamter, Deutsche Polizeigewerkschaft und Gewerkschaft der Polizei, jeweils Landesverband Bayern).

Gleich zu Beginn der Kommissionsarbeit wurde ein Gespräch mit dem Landespolizeipräsidenten Wilhelm Schmidbauer geführt. Dieser berichtete auch über die PAG-Social-Media-Kampagne des Innenministeriums, die allein auf Facebook über 100.000 User erreicht habe. Plattformunabhängig hätten sich als besonders häufig wiederkehrende Anliegen der Nutzer die Dauer des Präventivgewahrsams, die Richtervorbehalte, der Begriff der drohenden Gefahr sowie die Möglichkeit eines Handgranateneinsatzes (der jedoch Spezialkräften vorbehalten bleibt) erwiesen.

Die PAG-Kommission hatte daraufhin beschlossen, sich zunächst auf bestimmte Befugnisnormen zu konzentrieren:

  • Einbindung der molekulargenetischen Untersuchung des DNA-Identifizierungsmusters in erkennungsdienstliche Maßnahmen (Art. 14 Abs. 3 PAG) und molekulargenetische Untersuchung aufgefundenen Spurenmaterials unbekannter Herkunft (Art. 32 Abs. 1 S. 2 PAG)
  • Kontaktverbot, Aufenthalts- und Meldeanordnung, konkret im Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmal der „drohenden Gefahr“ (Art. 16 Abs. 2 PAG)
  • Präventivgewahrsam (Art. 17 i.V.m. Art. 20 Nr. 3 PAG)
  • Offene Bild- und Tonaufnahmen, insbesondere auch mit körpernah getragenen Aufnahmegeräten (sog. Body-Cams; Art. 33 Abs. 4 PAG)
  • Elektronische Aufenthaltsüberwachung (Fußfessel; Art. 34 PAG)

Normübergreifend wird zudem das neu geschaffene Tatbestandsmerkmal der „drohenden Gefahr“ (Art. 11 Abs. 3 PAG) untersucht. Einen Schwerpunkt bildet dabei die auch für die Polizei schwierige Abgrenzung zur „konkreten Gefahr“. Weitere Schwerpunkte: die Richtervorbehalte und die Ausgestaltung des Rechtsschutzes. Die Onlinedurchsuchung wird noch nicht geprüft. Petri erwartet hier aber eher wenig Probleme: „In den letzten Jahren gab es hier null bis einen Fall.“ Daran werde sich seiner Meinung nach auch nichts gravierend verändern – im Gegensatz zu Datenträgeruntersuchungen.

Wenig Konkretes

Konkrete Zahlen gab es wegen der laufenden Untersuchung nur wenige. Der Komplex „molekulargenetische Untersuchungen“ wurde mit einer Wissenschaftlerin vom Institut für Rechtsmedizin der LMU München und einem in diesem Bereich tätigen, leitenden Wissenschaftler des Bayerischen Landeskriminalamtes sowie zwei leitenden Beamten des Polizeipräsidiums München intensiv erörtert. In die Erörterung wurden auch kritische Veröffentlichungen von sozialwissenschaftlicher Seite einbezogen.

Beim Präventivgewahrsam berichtete Huber von einem IS-Sympathisanten, bei dem keine konkrete, aber eine drohende Gefahr anerkannt wurde und der aber nur eine Fußfessel erhielt. Generell wurde der Präventivgewahrsam nur in 29 Fällen bayernweit länger als einen Tag angeordnet, davon 11 Mal länger als zwei Wochen, die Grenze der Haftdauer nach dem alten Gesetz. Niemand blieb jedoch länger als zwei Monate in Gewahrsam.

Es gibt bisher keine Klagen gegen polizeiliche Maßnahmen nach dem neuen Gesetz.

Karl Huber

Der gestärkte Richtervorbehalt ist der erwünschte Schutzmechanismus. „Es ist ja der Sinn von Richtervorbehalten, diese Fälle zu filtern“, so Petri. Deshalb sei es auch nicht verwunderlich, dass es einige Fälle gab, in denen die Richter die Anordnung von Präventivgewahrsam ablehnten und die Ansicht der Polizei dazu nicht teilten.

Ein weiteres Indiz dafür, dass die Kritik am neuen PAG völlig überzogen war, nannte der Vorsitzende Huber: Die Zahl der Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Polizisten sei nicht gestiegen. Und die Zahl der nachträglichen Überprüfungen von polizeilichen Maßnahmen durch Verwaltungsgerichte sei sogar „eher rückläufig“. Huber betonte zudem: „Es gibt bisher keine Klagen gegen polizeiliche Maßnahmen nach dem neuen Gesetz.“ Er berichtete allerdings allgemein von einzelnen kritischen Anmerkungen, die Polizeigewerkschaften in Gesprächen mit den Experten geäußert hätten. Der Kommissionschef wollte noch keine Schlussfolgerungen ziehen oder gar Empfehlungen abgeben. Erst wird es weitere Gespräche mit allen Beteiligten geben.

Alles nicht so wild

Die Anzeichen deuten aber darauf hin, dass das Gesetz, wie von der Staatsregierung erwartet, tatsächlich nur zu wenigen echten Konflikten führen wird. Die Kritik am PAG sei nach der Landtagswahl im Oktober fast verstummt, sagte Huber. Ein deutliches Zeichen, dass das PAG vor allem ein Wahlkampfthema und keinesfalls die von der Opposition beschworene Einführung des Orwell’schen Überwachungsstaates war.

Innenminister Herrmann kündigte an, dass die Staatsregierung, wie im Koalitionsvertrag zwischen CSU und FW vereinbart, das neue PAG in den nächsten Monaten evaluieren und gegebenenfalls ändern wird – auch nach den Ergebnissen der PAG-Kommission.

Die PAG-Kommission

Die Kommission setzt sich aus folgenden Mitgliedern zusammen:

  • Dr. Karl Huber (Vorsitz), Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs a.D.
  • Dr. Erwin Allesch, Vizepräsident des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs a.D.
  • Prof. Dr. Martin Burgi, Universitätsprofessor, LMU München
  • Peter Dathe, Präsident des Bayerischen Landeskriminalamts a.D.
  • Elisabeth Mette, Präsidentin des Bayerischen Landessozialgerichts a.D.
  • Prof. Dr. Thomas Petri, Bayerischer Landesbeauftragter für den Datenschutz