CDU-Politiker mit Format: Friedrich Merz. (Bild: imago Images/viadata)
CDU

Merz löst Debatte über das Asylrecht aus

Friedrich Merz hält ein im Grundgesetz garantiertes Asylrecht für diskussionswürdig. Deutschland sei das einzige Land der Welt, das ein individuelles Asylrecht in der Verfassung stehen habe, sagt er und löst damit eine Debatte in der Union aus.

Der CDU-Politiker Friedrich Merz hat das Asylrecht in Frage gestellt und eine offene Diskussion darüber gefordert: „Deutschland ist das einzige Land auf der Welt, das ein Individualrecht auf Asyl in seiner Verfassung stehen hat.“ Das widerspreche dem Ziel eines europäischen Asylsystems, so Merz bei einer CDU-Regionalkonferenz in Seebach in Thüringen. Er stellte sich dort als Kandidat für den Parteivorsitz vor, ebenso wie CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.

Wir kriegen kein europäisches Asylsystem hin, wenn wir dieses Grundrecht behalten.

Friedrich Merz

„Ich bin seit langer Zeit der Meinung, dass wir bereit sein müssten, über dieses Asylgrundrecht offen zu reden, ob es in dieser Form fortbestehen kann, wenn wir ernsthaft eine europäische Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik haben wollen“, betonte Merz. Und weiter: „Wir kriegen kein europäisches Asylsystem hin, wenn wir dieses Grundrecht behalten.“ Der CDU-Politiker machte auch einen Lösungsvorschlag: „Wir müssen irgendwann einmal eine große öffentliche Debatte darüber führen, ob man einen gesetzlichen Vorbehalt ins Grundgesetz schreibt.“

Debatte in der CDU

Merz‘ Aussage löste in der CDU eine Diskussion aus. So stellte sich sein Konkurrent um den CDU-Vorsitz, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, hinter das geltende Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte. Dieses Grundrecht sei vor dem Hintergrund zweier Weltkriege, von großem Leid und Vertreibungen „eine große Errungenschaft des Grundgesetzes“, teilte Spahn auf Twitter mit. Das Problem sei, dass es heute „zu oft ausgenutzt werde und zu ungesteuerter Migration“ führe. „Um Akzeptanz für dieses wichtige Grundrecht zu erhalten, müssen wir zuallererst unsere EU-Außengrenze wirksam schützen und unsere Asylverfahren beschleunigen“, so Spahn. Weiter müsse Deutschland „endlich Ankerzentren einrichten und die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklären und damit den Missbrauch des Asylrechts besser bekämpfen“.

Wir müssen schon mal darüber reden, dass wir in Deutschland in unserer Verfassung verankert die höchsten Sozialstandards haben.

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) bezeichnete die bisherige Regelung als wertvoll – allerdings könne man über praktikablere Verfahren nachdenken. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), kritisierte in der Rheinischen Post: „Eine Begrenzung der Asylzahlen erreichen wir nicht durch eine Änderung des Grundgesetzes, sondern indem wir Fluchtursachen bekämpfen, gemeinsam mit unseren Partnern an einem solidarischen Asylsystem arbeiten und eine faire Lastenverteilung in Europa vorantreiben.“

Sachsen-Anhalts Innenminister und CDU-Landeschef Holger Stahlknecht unterstützte Merz. „Wir müssen schon mal darüber reden, dass wir in Deutschland in unserer Verfassung verankert die höchsten Sozialstandards haben und dass wir auch in unserer Verfassung das individuelle Asylrecht geregelt haben“, so Stahlknecht zum Radiosender SWR Aktuell.

Merz bemühte sich am Tag danach, die Aufregung über seinen Asylvorstoß zu dämpfen. „Ich stelle das Grundrecht auf Asyl selbstverständlich nicht in Frage, weil wir Politik aus christlicher Verantwortung und vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte machen“, teilte Merz am Donnerstag der dpa in Berlin mit. „Für mich steht aber fest, dass wir die Themen Einwanderung, Migration und Asyl nur in einem europäischen Kontext lösen können“, ergänzte er. „Ich kenne kaum jemanden, der das ernsthaft bezweifelt.“ Merz hatte auch nicht das Asylrecht an sich, sondern nur das individualisierte Asylrecht in Frage gestellt.

Klärungsbedarf beim Migrationspakt

Der frühere Unionsfraktionschef verlangte zudem in Seebach, dass durch den UN-Migrationspakt keine neuen Asylgründe geschaffen werden dürften. Das müsse in „geeigneter Weise klargestellt werden“, sagte er und schlug dafür eine Protokollerklärung der Bundesregierung oder eine Entschließung des Bundestags vor. Zum Beispiel dürfe der Klimawandel nicht als politische Verfolgung und damit Asylgrund gelten. „Das sind Dinge, die wir in Deutschland auch durch die Hintertür nicht akzeptieren können.“ Der Pakt soll am 10. und 11. Dezember in Marokko beschlossen werden.

Nicht Schlepper und Schleuser dürfen darüber entscheiden, wer Europa erreicht.

Jens Spahn

CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer zeigte sich mit Blick auf den Streit um den Migrationspakt selbstkritisch: „Wir müssen in Zukunft sehr viel besser spüren, was eine Frage werden kann, und wir müssen sehr viel früher beginnen, darüber auch zu diskutieren.“ Allerdings unterdrücke die CDU keine Diskussion darüber, sondern plane eine Debatte auf dem Parteitag. Sie werde dort für den Pakt streiten. Damit ging sie auf das Argument Spahns ein, der die Debatte innerhalb der CDU maßgeblich angestoßen hatte: „Wenn wir nicht debattieren, überlassen wir das Feld den anderen“, sagte er. Der Minister hatte zuvor mehr Mut zu Meinungsvielfalt gefordert und vor „politischer Überkorrektheit“ gewarnt. Nun legte er in Seebach nach: „Nicht Schlepper und Schleuser dürfen darüber entscheiden, wer Europa erreicht, sondern wir müssen die Hoheit über unsere Grenzen behalten.“

Integration auf dem Prüfstand

Auch das Thema Integration spielte in Seebach eine Rolle. „Wir müssen hier klare Maßstäbe haben – und auch durchsetzen – an diejenigen, die auf Dauer in Deutschland hier leben und bleiben wollen“, forderte Merz. Dazu zähle als allererstes, dass Kinder früh die deutsche Sprache lernten. Merz nahm Bezug auf einen Bild-Bericht, in der eine Berliner Lehrerin beschrieb, dass von 109 Erstklässlern nur eines Deutsch als Muttersprache hatte. „Alle anderen waren mehr oder weniger nicht in der Lage, sich in der deutschen Sprache zu verständigen. Sie sind zum Teil seit Jahren hier, leben irgendwo in ihren Familien und in deren Umfeld und die Eltern weigern sich strikt, diese Kinder so in den Kindergarten zu schicken, damit sie dort auch deutsch lernen. Das können wir so nicht akzeptieren“, betonte Merz.

Unterschiedliche Asyl-Regelungen

Das deutsche Grundgesetz gewährt als eine der wenigen Verfassungen unter bestimmten Voraussetzungen jedem politisch Verfolgten einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Asyl. In anderen EU-Ländern und klassischen Einwanderungsländern gibt es dagegen – neben der völkerrechtlichen Verpflichtung aus der Genfer Flüchtlingskonvention – ein sogenanntes institutionelles Asylrecht, wonach der Staat Asyl gewähren kann, aber nicht muss. Das bietet politisch Verfolgten ebenfalls Schutz und Hilfe, versagt ihnen aber den juristischen Weg durch die Instanzen.

Eine ähnliche Debatte über die unterschiedlichen Regelungen in Europa, wie sie jetzt Friedrich Merz angestoßen hat, gab es auch schon zu einem früheren Zeitpunkt. So schrieb die Zeitung Die Welt im Jahre 2001: „Wir können nicht einerseits Lastenteilung fordern und gleichzeitig unsere weitreichenderen Normen für die Asylgewährung beibehalten. Die anderen Mitgliedsstaaten werden folgerichtig argumentieren: Wenn Deutschland die Asylgesetzgebung und den damit verbundenen Schutz so großzügig fasst, ist dies eine rein deutsche Angelegenheit. Es ist nicht einzusehen, dass Lasten geteilt werden, die durch deutsche Sonderregelungen entstehen.“ Die Gesellschaft und ihre politischen Vertreter in Deutschland müssten sich also überlegen, ob sie den deutschen Sonderweg zu Gunsten einer einheitlichen europäischen Lösung der Asylrechtsgewährung aufgeben wollten.