Kein Herz für Grüne: Demonstration der IG BCE in Elsdorf. (Bild: Imago/CoverSpot/Bernd Lauter)
Braunkohle

Erst nachdenken, dann aussteigen

Eine große Demonstration von Industriearbeitern und Bergleuten zog durch das Rheinland – von den Medien weit weniger beachtet als die zum Teil gewaltbereiten Baumbesetzer in Hambach. Richtete sich doch dieser Protest gegen Grüne und Kohleausstieg.

Ganz Deutschland, oder wenigstens der Großteil der Medien, spricht über die neue „Begeisterung“ für die Grünen. Ganz Deutschland? Nein, in einem kleinen rheinischen Dorf wurde jetzt Widerstand offenbar. Ein Kontra zu den Baumschützern und ihrer „populär gewordenen Forst-Romantik“, wie die Welt schreibt.

30.000 fordern: Erst nachdenken, Jobs erhalten

Mehr als 30.000 Menschen haben nach Angaben der Veranstalter an einer Großkundgebung in Elsdorf teilgenommen, einem Ort nahe der rheinischen Kohleabbaugebiete zwischen Köln und Aachen, in Nachbarschaft zum Hambacher Forst. Viele Beschäftigte des Energiekonzerns demonstrierten hier gegen einen schnellen Ausstieg aus der Braunkohle und warben für den Erhalt ihrer Jobs. Nach dem gerichtlich verfügten Rodungsstopp im Hambacher Forst erwägt RWE einen Stellenabbau bei den dortigen 4600 Arbeitsplätzen.

Wir lassen uns nicht zum Opfer von Zechprellern machen, die in der Klimapolitik das Blaue vom Himmel versprechen.

Michael Vassiliadis

Unter dem Motto: „Wir sind laut für unsere Jobs“ hatten die Gewerkschaften IG BCE (Bergbau, Chemie, Energie) und Verdi zur Demo gerufen. An der Kohleverstromung hingen gut 100.000 Jobs in Deutschland, so der Vorsitzende der IG BCE, Michael Vassiliadis. Und die Beschäftigten seien es leid, dass die „Klimadebatte auf ihrem Rücken ausgetragen“ werde. Immer wieder würden Arbeitsplätze durch leichtfertige Abschaltpläne in Gefahr gebracht. „Wir lassen uns nicht zum Opfer von Zechprellern machen, die in der Klimapolitik das Blaue vom Himmel versprechen, andere aber die Rechnung bezahlen lassen“, erklärte Vassiliadis mit Blick auf die Grünen.

Wir leben von und mit der Kohle. Und nicht von grünen Märchen!

Plakat der Demonstranten

Das sahen auch viele Demonstranten so. Auf Schildern und Transparenten waren unter anderem Grünen-kritische Sprüche wie „Weniger Ökopopulismus, mehr Ökorealismus“, „Erneuerbare Energien reichen. Und die Erde ist eine Scheibe“, „Wir leben von und mit der Kohle. Und nicht von grünen Märchen“, „Strom kommt nicht nur aus der Steckdose“, „Schützt uns vor grüner Symbolpolitik!“ und „Lügenbaron Hofreiter“ zu lesen – das spielte auf den Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, an. Der hatte im Spiegel behauptet, die „älteren Kohleblöcke rund ums Hambacher Loch könnten stillgelegt werden, ohne dass die Konzerne dafür entschädigt werden“.

Weitere Plakate meldeten in Bezug auf die Rodung des Hambacher Forstes: „Hambi muss weg!“ oder bezüglich der vielen linksradikalen Baumbesetzer: „Aktivisten im Hambacher Forst: Reichsbürger mit Rastas“. Wieder andere beschwerten sich über die von den Grünen oft benutzte Nazikeule gegen Andersdenkende: „Wir sind alle Kumpels und keine Nazis.“ Auch dass die Grünen mittlerweile die Partei der Besserverdienenden mit Doppelmoral ist, wurde bedacht: „Wir produzieren, ihr konsumiert!“

Die Kohlekommission tagt

Zeitgleich tagte nur wenige Kilometer entfernt in Bergheim die Kohlekommission der Bundesregierung, die bis Jahresende einen Fahrplan für den sozialverträglichen Ausstieg aus der Braunkohle erarbeiten soll. In der Lausitz, dem zweitgrößten deutschen Kohlerevier, hatte sich die Kohlekommission bereits getroffen. Der Bund will 1,5 Milliarden Euro Soforthilfe für den Ausstieg aus der Braunkohle zur Verfügung stellen, um den betroffenen Regionen zu helfen. Man bediente sich auch bei der bayerischen Idee von Behördenverlagerungen: Eine komplette oder teilweise Verlagerung zweier Bundesämter in die Kohlegebiete wurde vorgeschlagen, auch sollten „Neugründungen, Verlagerungen oder Erweiterungen von Behörden oder Einrichtungen prioritär in den betroffenen Regionen“ stattfinden.

Es ist gut, dass das heute mal sichtbar wird, wie viele Menschen für Arbeit im Industrieland eintreten.

Armin Laschet

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) appellierte, die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes müsse erhalten bleiben. Er warnte, „dem Weltklima ist damit nicht gedient, wenn Industrie abwandert“ – etwa ins benachbarte Ausland, wo Energie um bis zu 70 Prozent billiger sei. Die Zeche würden dann die privaten Haushalte und die Arbeiter zahlen. Aber egal, was entschieden werde, so Laschet, es müsse diesmal „länger als nur 12 oder 15 Monate“ gelten. „Es ist gut, dass das heute mal sichtbar wird, wie viele Menschen für Arbeit im Industrieland eintreten“, sagte der CDU-Bundesvize zu den Demonstranten.

Mehr als 10.000 Menschen leben im Rheinischen Revier von den drei großen Tagebauen Hambach, Inden und Garzweiler, sowie von mehreren Kohlekraftwerken. Rechnet man die Zulieferbetriebe hinzu, dann sind von der Kohlebranche zwischen Köln und Aachen rund 30.000 Jobs abhängig. Auch viele Arbeitnehmer aus der energieintensiven Aluminium- und Chemieindustrie nahmen an der Demo teil. Kein Wunder: Eine Studie hat errechnet, dass bundesweit knapp 325.000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt von der energieintensiven Industrie abhängig sind. Allein in NRW sind es mehr als 250.000.

Die unbeantworteten Fragen eines Kohleausstiegs

„Jeder, der vernünftige Einwände gegen einen unüberlegten Ausstieg aus der Kohle bringt, jeder, der anmahnt, erst mal gründlich über die Konsequenzen nachzudenken, wird sofort zum Feind gestempelt“, ärgerte sich einer der Demonstranten. Doch Nachdenken ist notwendig. Laschet nannte zwei der vielen offenen Fragen eines verfrühten Kohleausstiegs: „Wo kommt bezahlbarer Strom her? Und was passiert mit der Region? Erst wenn diese Fragen geklärt sind, kann über ein Ausstiegs-Szenario gesprochen werden.“ Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) hatte vorgeschlagen, einen flexiblen Ausstieg ohne konkretes Datum anzuvisieren und sich nach dem Fortschritt beim Netzausbau zu richten.

Weniger als 30 Braunkohle-Meiler laufen in Deutschland – 1400 werden derzeit weltweit gebaut.

Bild-Zeitung

Die Alternativen fehlen derzeit auch: Im Bundesland NRW stammen 70 Prozent des Stroms aus grundlastfähigen Kohle-Kraftwerken, bundesweit sind es mehr als 25 Prozent. Die Bild-Zeitung brachte die bittere Bilanz der Energiewende auf den Punkt: „Mehr als 240 Milliarden Euro hat die Ökostrom-Förderung (EEG) deutsche Stromkunden bisher gekostet. Jedes Jahr kommen rund 25 Milliarden Euro dazu.“ Trotzdem werden laut Bundesrechnungshof die Ziele der Energiewende ‚überwiegend nicht‘ erreicht. So gebe es keine Senkung der Kohlendioxidemissionen, keinen geringeren Energieverbrauch, keine höhere Energieproduktivität und auch nicht mehr eingesetzte regenerative Energien.

Was kommt danach?

In vier Jahren sollen die letzten Atomkraftwerke geschlossen werden, dann wird es noch offensichtlicher werden: Wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, muss Deutschland Strom aus dem Ausland importieren, aus schmutzigen Kohlekraftwerken, aus unsicheren Atomkraftwerken und aus Gas und Öl, gekauft von üblen Diktaturen wie Russland und Saudi-Arabien. Jedenfalls, solange die Speichertechnik nicht entscheidende Fortschritte macht. Und dann das Dilemma mit dem Blick auf den Rest der Welt: „Weniger als 30 Braunkohle-Meiler laufen in Deutschland – 1400 werden derzeit weltweit gebaut.“