Bayerische Landtagswahl 2018, Wählerwanderung von und zur CSU. (Graphik: BR/Infratest dimap)
Wahlanalyse

Endspurt sichert Stabilität Bayerns

Trotz starker Stimmenverluste hat die CSU mit einem fulminanten Wahlkampf-Endspurt ein Debakel verhindert. Mit einem Koalitionspartner können die Christsozialen eine stabile Staatsregierung bilden. Die Grünen landen auf Platz 2, die SPD stürzt ab.

Bei der Landtagswahl hat die CSU 37,2 Prozent erreicht, das ist ein Minus von 10,5 Prozentpunkten und das zweitschlechteste Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Grünen wurden mit 17,5 Prozent und einem Zuwachs von 8,9 Punkten zur zweitstärksten Kraft – dies ist das viertbeste Ergebnis von Grünen in Landtagswahlen bundesweit. Dahinter landeten die Freien Wähler (FW) mit 11,6 Prozent und einem Zuwachs von 2,6 Prozentpunkten auf Rang 3. Damit waren die FW stärker als AfD und SPD: Die Rechtpopulisten erhielten bei ihrer erstmaligen Kandidatur 10,2 Prozent.

Die traditionsreiche Bayern-SPD stürzte erstmals in einstellige Bereiche ab: 9,7 Prozent, ein Minus von 10,9 Punkten, das historisch schlechteste Ergebnis der SPD in Landtagswahlen bundesweit. Die FDP gewinnt 1,8 Punkte und schafft hauchzart mit 5,1 Prozent den Wiedereinzug in den Landtag. Die Kommunisten bleiben mit 3,2 Prozent draußen, trotz eines Plus von 1,1 Punkten. Die Wahlbeteiligung stieg von 63,6 (Landtagswahl 2013) auf 72,4 Prozent – ein Wert, der zuletzt in den 1980er Jahren erreicht wurde. Vor vielen Wahllokalen bildeten sich lange Schlangen vor der Stimmabgabe.

Niemand kann gegen die CSU regieren

Von künftig 205 Sitzen im Bayerischen Landtag erhält die CSU 85, das sind ausschließlich Direktmandate. Die Grünen kommen auf 38 Sitze, die FW auf 27, AfD und SPD auf je 22, die FDP erhält 11 Sitze. Damit kann Bayern weiterhin stabil regiert werden. Niemand kann gegen die CSU regieren. Allerdings benötigt die CSU einen Koalitionspartner. Die CSU kann wählen, mit wem sie regieren will: Möglich sind Bündnisse mit den Grünen (123 Sitze in der Summe), den FW (112) und sogar mit der SPD (107). Ein Bündnis mit der FDP käme nur auf 96 Sitze und würde die absolute Mehrheit von 103 Sitzen verfehlen.

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat bereits klargemacht, dass er eine bürgerlich-konservative Regierung mit den FW bevorzugt, die ebenfalls seit Jahren große Lust aufs Regieren mit der CSU signalisiert haben. Am Mittwoch sollen die Sondierungsgespräche beginnen. Damit sind mediale Schreckensszenarien vom Tisch, die in den letzten Wochen die Notwendigkeit einer Dreierkonstellation oder gar eine Vierparteien-„Regenbogen“-Koalition gegen die CSU unter Führung der Grünen vorhersagten.

CSU verlor 590.000 Stimmen, aktivierte aber 270.000 Nichtwähler

In absoluten Zahlen hat die CSU insgesamt 5,05 Millionen Stimmen erhalten (Erst- und Zweitstimmen in Summe), rund 590.000 Stimmen weniger als 2013. Die Grünen legten um 1,36 Millionen Stimmen auf 2,38 Millionen zu, die AfD holte beim ersten Anlauf 1,38 Millionen Gesamtstimmen. Die FW holten ein Plus von 509.000 Stimmen, die FDP von 297.000, die Linkspartei von 184.000 Stimmen. Die schwersten Verluste musste die SPD hinnehmen, nämlich ein Minus von 1,12 Millionen Gesamtstimmen.

Die interessantesten Zahlen für Analytiker und Anhänger der Parteien bietet die Wählerwanderung: Laut der Nachwahlbefragung von Infratest/dimap verlor die CSU 180.000 Wähler an die AfD und ebenso viele an die Grünen. 170.000 Wähler wanderten von der CSU zu den FW. Umgekehrt gewann die CSU 100.000 Wähler von der SPD, holte also einen beträchtlichen Teil früherer Gegner ins Boot. Und besonders spannend für alle CSU-Wahlkämpfer: Die Mobilisierung der „schweigenden Mehrheit“ der Wähler in den letzten Tagen vor der Wahl scheint funktioniert zu haben: Die CSU reaktivierte volle 270.000 ehemalige Nichtwähler für sich, die sich offensichtlich um die Stabilität Bayerns angesichts einer drohenden Anti-CSU-„Regenbogen“-Koalition sorgten.

Umfrageinstitute lagen erneut daneben

Dies dürfte auch erklären, warum das Wahlergebnis der CSU letztlich doch spürbar besser war als alle (!) Umfragen seit August. Diese hatten durch die Bank einen Absturz auf 36 bis 32,9 Prozent vorhergesagt. Auch die erste ARD-Prognose um 18.00 Uhr hatte die CSU nur bei 35,5 Prozent gesehen. Überhaupt lagen alle Umfrageinstitute auch bei dieser Wahl wieder deutlich daneben: CSU und FW (8,6 bis 11 Prozent) wurden im Vergleich zum tatsächlichen Wahlergebnis überall zu niedrig bewertet, SPD (10 bis 13 Prozent), Grüne (17 bis 19,5 Prozent) und AfD (10 bis 14 Prozent) eher zu hoch. Es könnte aber auch sein, dass sich tatsächlich hunderttausende Wähler erst am Wahltag selbst oder kurz davor besonnen haben, was ein Bayern ohne CSU-geführte, bürgerliche Regierung bedeuten würde.

Insbesondere die AfD hat deutlich schwächer abgeschnitten als befürchtet. In den letzten Tagen vor der Wahl hatten manche Medien gewarnt, dass die Rechtspopulisten in Teilen Niederbayerns auf 20 bis 25 Prozent kommen könnten. Letztlich aber besannen sich viele Wähler offensichtlich auf die staatsbürgerliche Vernunft und die Tatsache, dass es bei der Landtagswahl um Bayern geht und sie daher ungeeignet ist für einen Anti-Merkel-Denkzettel. In Niederbayern kam die AfD letztlich „doch nur“ auf 13,4 Prozent und landete hinter CSU (38,1) und FW (17,8 Prozent) auf Platz drei.

In der Wählerwanderung erhält die AfD einen großen Teil ihrer 1,38 Millionen Stimmen laut Infratest/dimap von der CSU (180.000), aber auch von Nichtwählern (170.000) und „anderen“ Parteien (220.000). Aber auch FW (60.000), SPD (30.000), Grüne (10.000) und FDP (10.000) verlieren an die AfD. Die Summe dieser Wanderungszahlen liegt bei 680.000, denn das Institut hat nur Zweitstimmen beziehungsweise die Zahl der Wähler an sich erhoben, während die Zahl von 1,38 Millionen sich auf die Summe aus Erst- und Zweitstimmen bezieht.

Grüne profitieren von bürgerlicher Tarnung

Die Grünen haben mit einer bürgerlichen Verkleidung, einem Wellness-Image mit Natur- und Klimaschutz und einem von Medien als „frisch“ und „sympathisch“ dargestellten Kandidaten-Duo einen Teil der städtischen, liberalen, sogar der kirchennahen CSU-Wähler gewonnen. Hier dürften vor allem die Berliner Querelen um die Asylpolitik im Sommer ausschlaggebend gewesen sein. Vermutlich hat sich kaum jemand der neuen Grünen-Wähler tatsächlich die Mühe gemacht, das linke und kirchenfeindliche Programm der Grünen tatsächlich zu lesen oder die Verstrickungen der Grünen mit gewaltbereiten Linksautonomen wahrzunehmen.

Auch die Oppositionsrolle in Berlin dürfte den Grünen nicht geschadet haben. Die Grünen gewannen laut Infratest/dimap 210.000 Wähler von der SPD, 180.000 von der CSU, 120.000 von den Nichtwählern und 20.000 von sonstigen Parteien. Dass die grünen „Wellness“-Themen derart in den Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung geraten konnten, dürfte gerade auf die großartige Lage Bayerns bei Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Innerer Sicherheit geschuldet sein, die sonst als wichtiger gewertet werden.

Absturz der SPD

Die traditionsreiche Bayern-SPD ist auf einem Tiefpunkt angekommen. Sie verlor Wähler an alle Parteien: 210.000 an die Grünen, 100.000 an die CSU, 70.000 an die FW, 50.000 an „andere“, großteils wohl Linkspartei, 30.000 an die AfD. Eine als wenig bayerisch wahrgenommene Spitzenkandidatin ohne Ausstrahlung, das ausgelaugte und uninspirierte Dahinwursteln der SPD in der Bundesregierung, ein Programm ohne Vorhaben, die die CSU nicht sowieso schon längst angepackt hat, waren wohl die Gründe für diesen Absturz. Ein Großteil des Zuwachses der Grünen ist auch auf die Schwäche der SPD zurückzuführen.

Alles in Allem hat die CSU den von Umfragen und Medien prognostizierten Absturz in die unteren 30er-Regionen verhindert: Gegen die CSU kann nicht regiert werden, in den nächsten fünf Jahren wird voraussichtlich eine bürgerlich-konservative Koalition aus CSU und FW Bayern führen. Grüne, SPD und Linkspartei sind mit zusammen 30,4 Prozent immer noch deutlich schwächer als die CSU allein. Der Freistaat bleibt strukturell konservativ-bürgerlich-liberal: Wenn man CSU, FW und FDP zusammenrechnet, haben sich 53,1 Prozent zu diesem Lager bekannt. Interessanterweise wünschten sich die Anhänger aller (!) Parteien eine Koalition ihrer jeweiligen Partei unter Führung der CSU (s. Graphiken).

Wahlkampf bis zum Schluss

Eines der gewichtigsten Pfunde der CSU ist nach wie vor die Verwurzelung der Landtagsabgeordneten in der Bevölkerung und das Vertrauen, das die Bürger den CSU-Abgeordneten entgegenbringen: Mit Ausnahme von München (fünf Stimmkreise) und Würzburg-Stadt gewann die CSU alle Direktmandate, 85 von 91 insgesamt.

Die Basis der CSU hat einen kräftezehrenden, aufopfernden Wahlkampf bis in die letzten Minuten vor Schließung der Wahllokale geführt. Insbesondere die auf den letzten Metern mobilisierten 270.000 ehemaligen Nichtwähler deuten darauf hin, dass dies auch erfolgreich war.