Kritischer Blick: Kann Martin Schulz (r.) seine SPD auf Linie bringen? (Foto: Imago/Christian Thiel)
SPD

Erst das Ego, dann das Land

Kommentar Der SPD-Linken geht es um eigene Befindlichkeiten, während Deutschland dringend eine stabile Regierung braucht. Doch wenn sie das Sondierungsergebnis platzen lassen, stürzen sie nicht nur Deutschland in die Krise, sondern auch die eigene Partei.

Man kann es nicht mehr hören, das Gejammer der SPD-Linken. Zu wenig Flüchtlings-Einwanderung, zu wenig Verteilung von sozialen Wohltaten, keine sozialistische Einheitskrankenkasse, keine Steuererhöhung für die Fleißigen – kurzum zu wenig Streicheln der geschundenen sozialdemokratischen Seele.

Selten in der Geschichte der Bundesrepublik zeigte sich eine Partei so zerrissen in der Frage, ob zuerst die Verantwortung für das Land kommt oder die eigenen Befindlichkeiten. Doch wer bei der Bundestagswahl auf 20,5 Prozent gestutzt wurde und in Teilen Deutschlands nur noch Platz 3 des Parteienspektrums einnimmt, kann nicht im Ernst damit rechnen, dass sein Parteiprogramm eins zu eins in Regierungshandeln umgesetzt wird.

Ende einer Volkspartei

Eine Volkspartei, die sich mutwillig der Verantwortung für das Land entzieht, ist keine Volkspartei mehr und braucht bei der nächsten Wahl eigentlich gar nicht mehr anzutreten. Wenn die SPD-Linken, alle voran die Jusos, sich durchsetzen mit der Ablehnung der Sondierungsergebnisse und der Sonderparteitag am kommenden Sonntag den Eintritt in die „richtigen“ Koalitionsverhandlungen ablehnt, nehmen Deutschland und Europa schweren Schaden. Die Wähler wissen das.

Gleichzeitig ist aber auch klar: SPD-Chef Schulz ist dann auch am Ende – was er sich durch schwere taktische Fehler zum großen Teil selber zuzuschreiben hat. Er steht persönlich für das Sondierungsergebnis, es trägt seine Unterschrift. Wenn die Partei dieses Ergebnis mehrheitlich für nicht tauglich erachtet, hat sie damit auch ihren Vorsitzenden demontiert.

Schwere taktische Fehler von Schulz

Schulz hat am Wahlabend die vermeintlich einfachere Alternative gewählt: Statt zurückzutreten, was angesichts des schlechtesten Wahlergebnisses seit 1949 richtig gewesen wäre, flüchtete er sich in eine kindische Trotzreaktion und schloss jede Regierung mit der Union aus. Die SPD-Linken und Jusos jubelten. Doch Schulz konnte diese Haltung nur bis zum Scheitern der Jamaika-Gespräche durchhalten. Dann musste er sich aus Verantwortung für das Land, der er sich nun urplötzlich bewusst wurde, mit der Union an den Verhandlungstisch setzen. Glaubwürdig ist das nicht, und das spürt er jetzt.

Auf dem SPD-Parteitag machte Schulz den zweiten Fehler: Um die rebellierende Basis ruhigzustellen, versprach er „ergebnisoffene“ Sondierungen. Das war von vornherein ein durchsichtiger Trick, denn von ihrem Wesen her sind alle Verhandlungen zunächst ergebnisoffen. Doch wenn sie abgeschlossen sind, sind sie entweder gescheitert oder sie zeigen ein Ergebnis, das in der Regel ein Kompromiss ist – so auch hier. Der Begriff „ergebnisoffen“ wird ihm nun von den Jusos ebenfalls um die Ohren gehauen, die sich ein Scheitern gewünscht hätten.

Schulz-Gegner warten in der Kulisse

Dabei mutet es seltsam an: Erst stimmten auch SPD-Linke und Schulz-Gegner wie Ralf Stegner, der hessische Oppositionsführer Thorsten Schäfer-Gümbel und die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, dem Ergebnis der Sondierungen zu, an denen sie ja selber teilgenommen hatten. Nachdem sie der Partei erst die Annahme empfahlen, fordern sie nun Änderungen am Ausgehandelten. So will Dreyer „Nachverhandlungen in der Arbeitsmarkt- und Gesundheitspolitik“, Schäfer-Gumbel nennt das Ergebnis „noch lange nicht das Ende der Fahnenstange“, Stegner sieht es „nur als Basis“ für Koalitionsverhandlungen und sprach von „berechtigten Kritikpunkten“.

Hierzu zählen für die SPD-Linken das Fehlen der Einheits-„Bürgerversicherung“ und die von der CSU durchgesetzte Obergrenze bei der Zuwanderung. Auch Bayerns SPD-Chefin Natascha Kohnen und Berlins SPD-Bürgermeister Michael Müller erhoben ähnliche Nachforderungen. Die Landesverbände Berlin und Sachsen-Anhalt lehnten den Kompromiss bereits offiziell ab, während bislang nur der kleine Landesverband Brandenburg zustimmte. Das Ziel ist klar: Einerseits wollen die Schulz-Gegner nicht als Blockierer und als potenzielle Königsmörder dastehen, falls die GroKo auf dem SPD-Parteitag doch noch abgesegnet wird. Anderseits kann man sich in die Pose des „Kritikers“ werfen, wenn sie abgelehnt wird.

Showdown am Sonntag

Kommenden Sonntag also könnten Jusos und andere Parteilinke gegen Schulz zurückschlagen, mit einem „Zwergenaufstand“ (Zitat Alexander Dobrindt) das Sondierungsergebnis und die Aufnahme offizieller Koalitionsverhandlungen platzen lassen. Damit würden sie die SPD in eine Führungs- und Deutschland in eine Regierungskrise stürzen. Schulz versucht diese Woche intensiv, die Partei hinter sich und dem Sondierungsergebnis zu vereinen. Ob ihm seine Genossen folgen, muss sich zeigen.