Wenn die roten Fahnen wehen: Am 1. Mai marschieren SPD und DGB nach wie vor Arm in Arm – hier in Berlin. Doch die frühere innige Verbindung ist schon lange zerbrochen. (Foto: Imago/IPON)
SPD-Entkernung

Entfremdung vom Stammwähler

Kommentar Die SPD war jahrzehntelang mehr an ideologischen Umverteilungs- und Willkommensparolen interessiert als an den Sorgen der "kleinen Leute". Die Folge: Gewerkschaftler und Arbeiter wendeten sich in Scharen von der SPD ab, auch zur AfD.

In den 1970er Jahren war die Welt für die Arbeiterbewegung noch in Ordnung: Lohnabhängige Arbeiter und Arbeitnehmer waren treue Mitglieder der DGB-Gewerkschaften und wählten brav die SPD. Auf den SPD-Parteitagen waren selbstverständlich Delegiertenplätze für die DGB-Spitze reserviert, am 1. Mai und bei Streiks protestierten DGB und SPD Arm in Arm gegen die vermeintlichen Ausbeuter in den Chefetagen. Mit dem charismatischen Parteichef Willy Brandt gelang der SPD 1969 erstmals der Einzug ins Bundeskanzleramt, während der Kanzlerschaft Helmut Schmidts zählte die SPD 1,022 Millionen Mitglieder (1976) – so viele wie nie zuvor und nie danach.

Geistiger Linksruck der Genossen

Doch schon damals bröckelte die innere Substanz der SPD – was zunächst noch niemand erkannte, weil die SPD noch die einzige Gegenbewegung zu den konservativen Parteien CDU und CSU war und alle sammelte, die sich für progressiv hielten. Doch spätestens seit der 1968er Revolte hatten – ausgehend von den Universitätsstädten – immer mehr kommunistisch orientierte Studenten und andere Linksideologen die SPD-Ortsvereine unterwandert. In deren Versammlungen diskutierten sie die alteingesessenen, eher fürs Arbeiten als fürs Reden ausgebildeten Genossen in Grund und Boden. Der geistige Linksruck der SPD geht ursächlich auf diese Zeit zurück. Obwohl viele dieser Linksaußen der SPD nicht besonders lange treu blieben, wirkt ihr Einfluss bis heute nach: Das zeigt etwa die radikale Abneigung vieler Jusos gegen die deutsche Nation und die große Koalition – oder auch die permanenten staatlichen Bevormundungs-, Umverteilungs- und Wohlfahrtsphantasien der SPD-Linken.

Gebrochenes Verhältnis zu Deutschland

Gleichzeitig entfremdeten sich gerade die fleißigen Arbeitnehmer, die klassisch-sozialdemokratischen Aufsteiger, die ihren Familien ein Häuschen mit Garten erarbeiten wollten, von dieser links gewendeten SPD. Die SPD verkam immer mehr zu einer Partei der Arbeitslosen, Transferempfänger und der stärkeren Belastung der Arbeitenden.

Spätestens seit der Wiedervereinigung und dem Anti-Einheits-Wahlkampf 1990 von Oskar Lafontaine wies die SPD insgesamt ein gebrochenes Verhältnis zur deutschen Nation auf. Damit vergraulte sie auch die national denkenden Arbeiter und Arbeitnehmer, die ihr bis dato die Treue gehalten hatten. Gleichzeitig ließ es die SPD jahrelang in vielen Landesregierungen zu, dass die Polizei personell ausgedünnt und technisch wie moralisch geschwächt wurde. Dass aber gerade die eigene Klientel, die „kleinen Leute“, durchaus Sorgen wegen steigender Kriminalität hatten und haben und eher den Kriminellen als der Polizei misstrauen, war der SPD-Führung lange egal. Derartige Sorgen galten als kleinbürgerlich, provinziell und rückständig.

Ein weiterer Bruch innerhalb der SPD-Anhängerschaft kam in dem Moment, als die SPD wieder eine Hochzeit hatte und mit Gerhard Schröder erneut den Kanzler stellte. Dessen notwendige Agenda 2010 spaltete erneut: Bezeichnenderweise waren es gerade viele linke DGB-Funktionäre, die aus der SPD austraten, die linke „Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit“ WASG bildeten und sich letztlich bei der Linkspartei wiederfanden – unter Patronage des früheren SPD-Chefs Oskar Lafontaine und den ostdeutschen SED-Erben von der PDS.

Kein Gespür für die Sorgen der Menschen

Auch die unkontrollierte Einwanderung von orientalisch-muslimischen Flüchtlingen wurde von der SPD-Führung fast uneingeschränkt begrüßt. Auf diesem Gebiet ignorierten die Genossen ebenfalls die Sorgen der eigenen Klientel. Denn die „kleinen Leute“ wollen in keinem Fall die Zuwanderung hunderttausender kulturfremder Armer, die auch eine massive Konkurrenz darstellen – etwa für staatliche Transferleistungen, niedrig qualifizierte Jobs und günstigen Wohnraum. Dass die SPD 2015/16 diesen Zielkonflikt so spät erkannte und bis heute nicht löste, zeigt, wie weit sich die Parteispitze von ihrer klassischen Klientel, der einfachen Bevölkerung, entfernt hat.

Die Quittung dafür: Bei der Bundestagswahl wählten laut „Forschungsgruppe Wahlen“ 15 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder die AfD – verglichen mit 12,6 Prozent der Gesamtbevölkerung. Besonders stark schnitt die AfD gesamtdeutsch bei männlichen Gewerkschaftlern ab – 18 Prozent – und bei „Arbeitern“ mit 19 Prozent. Regional gewann die AfD vor allem bei Gewerkschaftlern in Ostdeutschland – 22 Prozent im Vergleich zur SPD mit nur noch 18 Prozent. Auch bei den Landtagswahlen 2016 und 2017 schnitt die AfD bei Gewerkschaftsmitgliedern stärker ab als in der Gesamtbevölkerung.

Deutet die Signale!

Die SPD täte sehr gut daran, diese Signale nicht nur zu hören, sondern auch richtig zu deuten: Sie sollte auch bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen die Sorgen der klassischen „Kleine-Leute“-Klientel wieder ernster nehmen als die Umverteilungs-, Anti-Deutschland- und Anti-Polizei-Parolen der Linksideologen. Das bedeutet unter anderem: Steuerliche Entlastung für Normalverdiener sowie Begrenzung und Kontrolle der Zuwanderung – darunter der Stopp des Familiennachzugs für Leute, die Deutschland sowieso bald verlassen müssen, zwingende Alters- und Identitätsfeststellung der Asylbewerber und die Umstellung von Geld- auf Sachleistungen für Zuwanderer. Denn wenn die „kleinen Leute“ irgend etwas überhaupt nicht verstehen können, dann sind es Fälle, in denen der Staat bei Zuwanderern Nachsicht zeigt, während Einheimische unbarmherzig bestraft werden – wie etwa bei Sozialbetrug, Identitätsverschleierung und ähnlichen Delikten.