Er windet sich mit Grausen: Martin Schulz, SPD-Parteivorsitzender, im Willy-Brandt-Haus in Berlin. (Bild: Imago/Reiner Zensen)
SPD

Der Mann, der nichts will

Kommentar Selten zeigte sich eine Partei so orientierungslos wie die SPD seit der Bundestagswahl. Das liegt vor allem an ihrem Vorsitzenden Martin Schulz. Statt die Richtung vorzugeben, präsentiert er sich als Politiker ohne Plan und Ziel.

„Wie der Herr, so’s Gescherr“, heißt ein bekanntes Sprichwort. Und selten hat es so gut gepasst, wie auf den Zustand der SPD seit der Bundestagswahl. Das desaströse Ergebnis von knapp über 20 Prozent hat aus den Sozialdemokraten die „Schlingernde Partei Deutschlands“ gemacht.

Keiner verkörpert diesen orientierungs- und richtungslosen Zustand besser als Parteichef Martin Schulz. Noch am Wahlabend kündigte er an, seine Partei in die Opposition zu führen. Wenige Wochen später, nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche, legte Schulz sogar noch einmal nach: Im SPD-Vorstand erwirkte er einen einstimmigen Beschluss gegen eine weitere große Koalition. Neuwahlen waren jetzt das erklärte Ziel. Dann kamen die Gespräche mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Schulz leistete seinen inhaltlichen Offenbarungseid. „Ich strebe keine große Koalition an“, verkündete er nun. „Ich strebe auch keine Minderheitsregierung an. Ich strebe auch keine Neuwahlen an. Was ich anstrebe: Dass wir die Wege diskutieren, die die besten sind, um das Leben der Menschen jeden Tag ein Stück besser zu machen.“

Das Vakuum an der Spitze

Ähnlich planlos präsentiert sich die gesamte Partei. Das zeigt sich im Beschluss, den jetzt das Präsidium gefällt hat. Man sehe sich „verpflichtet, in Gesprächen auszuloten, ob und in welcher Form die SPD eine neue Bundesregierung mittragen kann“, heißt es darin. Schwammiger und schwächer geht es kaum.

Wer an der Spitze ein derartiges Vakuum lässt, braucht sich nicht zu wundern, wenn andere die Leere füllen. Während Heiko Maas mahnt, die SPD dürfe sich nicht wie ein trotziges Kind verhalten und der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil findet, man müsse „natürlich“ auch über eine weitere große Koalition sprechen, versuchen andere in der SPD genau das zu torpedieren. Die Jusos sammeln derzeit Unterschriften gegen eine große Koalition, mehr als 10.000 Unterstützer haben sie bereits.

Keine Obergrenze aber Familennachzug

Der SPD-Landesverband NRW probiert es mit einer anderen Taktik. Von ihm kommt eine Ansammlung von Forderungen, die eine Einigung mit der Union unmöglich machen. Zu den Zielen der NRW-Genossen zählen „eine paritätisch finanzierte Bürgerversicherung“, das heißt die Abschaffung der privaten Krankenversicherung, höhere Steuern für große Vermögen, eine reformierte Erbschaftssteuer, die viele Milliarden bringen soll, und eine „europäische Sozialunion“, wie sie dem französischen Präsidenten Macron vorschwebt. Dazu gehört dann nicht nur eine europäische Arbeitslosenversicherung, sondern auch die Übernahme der exorbitant hohen französischen Sozialabgaben und eine gemeinsame Schuldenhaftung etwa über Euro-Bonds. Eine Obergrenze für Flüchtlinge lehnt die NRW-SPD ab.

Natürlich darf beim Formulieren von Maximalforderungen auch SPD-Vize Ralf Stegner nicht fehlen. „Der Familiennachzug von Eltern und minderjährigen Kindern gehört zu den humanitären Verpflichtungen, bei denen es keine Abstriche geben kann“, verkündet er.

Die Angst vor Neuwahlen

Das Sammelsurium an Forderungen zeigt, dass die SPD aus dem Wahlergebnis bis heute nichts gelernt hat. Kein anderes Ereignis hat den Ausgang der Wahl so bestimmt wie die Flüchtlingskrise des Jahres 2015, in keinem anderen Politikfeld ist eine tragfähige und nachhaltige Lösung so dringend nötig. Weder die Unzufriedenheit mit der Krankenversicherung noch die Sorge um das französische Sozialsystem haben die Bürger zu massenhaftem Protest getrieben. CDU und CSU haben mit ihrem „Regelwerk zur Migration“ längst ein praktikables Modell vorgelegt. Es wäre die Aufgabe des SPD-Chefs, diese Einsicht auch seiner Partei zu vermitteln. Doch dazu fehlt Schulz offensichtlich die Kraft. Wer selber nichts will, kann auch andere nicht überzeugen. Es bleibt zu hoffen, dass ein anderes Argument die Genossen überzeugt, auch wenn es dabei nicht um das Wohl der Bürger oder des Staates geht: die Sorge vor Neuwahlen und der dann drohende Verlust des eigenen Mandats.