Ziemlich beste Feinde: SPD-Chef Martin Schulz und der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (r.). (Foto: Imago/ZUMA-Press)
SPD

Roter Grabenkampf

Nach dem beispiellosen Absturz auf 20,5 Prozent widmet sich die SPD nun der Aufarbeitung der Niederlage sowie internen Graben- und Flügelkämpfen. Fast jeder Vorschlag von Parteichef Schulz wird dabei von dessen Konkurrenten zerpflückt.

Egal, was SPD-Chef Martin Schulz derzeit vorschlägt, tut oder lässt: Die internen Konkurrenten Nahles, Gabriel und Scholz widersprechen, lassen ihn ins Leere laufen oder blamieren ihn. Zuletzt artikulierte Schulz die Idee, ab 2019 die SPD-Mitglieder über den Parteivorsitz direkt abstimmen zu lassen. Viele Mitglieder würden seit Jahren beklagen, dass sie nicht ernstgenommen würden und bei Personalentscheidungen nichts zu sagen hätten, begründete der SPD-Chef seinen Vorschlag.

Bedenkenträger

Dieses Urwahl-Modell wurde zwar bereits im Vorfeld vom scheidenden Generalsekretär Hubertus Heil wegen rechtlicher Bedenken ins Reich des Unmöglichen verwiesen. Falls Schulz damit aber durchkäme, könnte er seine nach wie vor beträchtliche Beliebtheit bei der SPD-Basis künftig dazu nutzen, seine Konkurrenten auf Distanz halten.

Die SPD wirkt abgehoben und zu sehr auf Machtoptionen ausgerichtet.

Andrea Nahles, SPD-Fraktionschefin

Widerspruch kam umgehend, diesmal in Gestalt der SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles: „Das ist alles noch nicht entschieden. Es ist ein Diskussionsangebot“, sagte sie – kurz nachdem sie im Vorstand dem Schulz-Plan noch zugestimmt hatte. Im Übrigen beziehe sich die mögliche stärkere Basis-Mitbestimmung gar nicht ausdrücklich auf den Parteivorsitz, sondern bestenfalls auf den nächsten Kanzlerkandidaten, so Nahles.

Nahles geht in die Offensive

Dann ging die dem linken Parteiflügel angehörende Nahles selbst in die Offensive. Sie legte der Fraktion eine eigene Wahlanalyse vor, in der dem Kanzlerkandidaten faktisch die Hauptschuld an der Niederlage zugewiesen wird. Die SPD unter Schulz „wirkt für viele Bürgerinnen und Bürger abgehoben und zu sehr auf Machtoptionen ausgerichtet“, schreibt Nahles. Danach formuliert sie mehrere Initiativen, wie man Glaubwürdigkeit zurückgewinnen könnte.

Die SPD müsse sich für Menschen öffnen, die sich nicht in Parteien, sondern lieber in Vereinen oder Nicht-Regierungsorganisationen engagierten. „Wir werden von Vielen zurzeit nicht als die Partei angesehen, die intellektuell und politisch spannend ist, die für und mit der Gesellschaft die großen Fragen unserer Zeit verhandelt“, so Nahles. Sie rät der SPD zu einer Erholungskur: „Dreieineinhalb Jahre regieren oder Oppositionsarbeit betreiben und dann auf Kampagnenmodus umzuschalten, funktioniert nicht. Die SPD muss zu einem Ort werden, an dem die spannenden Debatten geführt werden, kontinuierlich und nach vorne gerichtet.“

Der Slogan zeigte geradezu sinnbildlich, dass die SPD immer noch nach innen blickt.

Sigmar Gabriel, zur SPD-Parole „Zeit für mehr Gerechtigkeit“

Der SPD-Vorstand hatte sich zuvor ebenfalls mit der Wahlanalyse beschäftigt – auf Grundlage eines 16-seitigen Strategiepapiers von Schulz mit dem unfreiwillig komischen Titel „Unser Weg nach vorn“. Darin schreibt der SPD-Chef: „Nicht die Medien, nicht die Demoskopen und auch nicht die politischen Gegner sind schuld an unserer Wahlniederlage. Der Kanzlerkandidat und die gesamte SPD haben diese Wahl verloren.“ Streut sich Schulz also selbst Asche aufs Haupt, um Kritik zuvorzukommen?

Gabriel attackiert SPD-Wahlkampf

Dennoch war er damit langsamer als sein Vorgänger im Amt des SPD-Chefs, Sigmar Gabriel. Der Noch-Außenminister machte in einem Zeit-Interview seinem Ärger über Schulz‘ Wahlkampagne Luft. Die Fixierung auf das Thema soziale Gerechtigkeit sei ein zentraler Grund für das Desaster gewesen: Der Slogan „Zeit für Gerechtigkeit“ sei problematisch für eine Partei, die von den letzten 20 Jahren 16 in der Regierung verbracht habe. „Der Slogan zeigte geradezu sinnbildlich, dass die SPD immer noch nach innen blickt, auf eine schwärende Wunde: die Sozialreformen der Agenda 2010 unter Gerhard Schröder“, so Gabriel.

Ein weiterer Fehler der SPD sei es gewesen, die Sorgen der Menschen vor Zuwanderung nicht offen anzusprechen. Die SPD habe dies versäumt – aus „panischer Angst“, dadurch der AfD zu nützen. Auch jetzt sei das noch so. „Stattdessen werden irgendwelche Nebensächlichkeiten des Wahlkampfes diskutiert“, so Gabriel. Die SPD verliere in unsicheren Zeiten am meisten, weil die SPD die Partei sei, von der die Wähler am ehesten „Sicherheit im Wandel“ erwarten, sagte Gabriel. „Wenn wir das nur unzureichend bieten, dann verlieren wir sie erst an die Nichtwähler und dann an andere Parteien.“

Der SPD muss es gelingen, Fortschritt und Gerechtigkeit in pragmatischer Politik und einer unmittelbar anschließenden Erzählung zu verbinden.

Olaf Scholz, SPD-Vize

Dabei überging Gabriel allerdings, dass er selbst im September 2015 mit dem Button „Refugees Welcome/Wir helfen“ auf der Regierungsbank Platz genommen hatte und sich daher kaum glaubwürdig als Zuwanderungskritiker präsentieren kann. Obendrein lenkt Gabriel mit solchen Volten von seiner Verantwortlichkeit als SPD-Chef von 2009 bis März 2017 ab – so jedenfalls der Konter von Schulz. Weder 2005 noch 2009 oder 2013 habe es „eine ehrliche und tiefergehende Debatte über die Gründe der damaligen Wahlniederlagen gegeben“, erklärt Schulz in einem Rundschreiben an alle Genossen. Es seien „auch keine echten Konsequenzen gezogen“ worden. „Strukturell, organisatorisch, inhaltlich und strategisch hat sich unsere Partei seitdem nicht ausreichend weiterentwickelt“, attackierte der SPD-Chef seinen Vorgänger.

Scholz mahnt zum Pragmatismus

Die für Schulz gefährlichsten Angriffe kommen allerdings von der Waterkant: Trotz des Desasters beim G20-Gipfel sieht sich Bürgermeister Olaf Scholz als Hoffnungsträger der SPD. Hatte Schulz gerade noch „Mut zur Kapitalismuskritik“ als Allheilmittel im Kampf gegen die Linkspartei ausgerufen, konterte Scholz in einem Strategiepapier prompt mit ökonomischem Pragmatismus: „Wirtschaftliches Wachstum wird auch in Zukunft eine zentrale Voraussetzung sein, um eine fortschrittliche Agenda zu verfolgen.“ In Inhalt und Duktus erinnert dieses Papier stark an Gerhard Schröders Avancen an Tony Blairs „New Labour“. In einem Interview stichelte Scholz dann weiter gegen Schulz: „Die SPD hätte die Bundestagswahl gewinnen können.“ Der Münchner Merkur nannte diesen Satz einen „veritablen Blattschuss“.