Gestern so, heute ganz anders: "Welcome"-Helfer Sigmar Gabriel mit Anstecker (Vergrößerung) auf der Regierungsbank im Bundestag im September 2015. (Bild: Imago/Christian Thiel; Montage: BK)
Flüchtlinge

Der wendige Herr Gabriel

Kommentar Bundesaußenminister und Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel hat die Flüchtlingspolitik der auch von der SPD getragenen Bundesregierung attackiert. Das ist der ebenso falsche wie verzweifelte Versuch, sich auf Kosten der Union zu profilieren.

„Niemand soll wegen der Flüchtlinge vergessen werden“, sagte Gabriel der Bild-Zeitung. CDU und CSU blockierten aber in dieser Hinsicht, „wo sie nur können“, wollten nichts für die Einheimischen tun. „Sogar die 3000 neuen Stellen bei der Bundespolizei mussten wir gegen Schäubles Widerstand durchsetzen.“

Die Wahrheit

Inhaltlich sind die Äußerungen Gabriels so falsch, dass man schon nach dem Realitätssinn des Ex-SPD-Chefs fragen muss.

  • Es war Gabriels SPD, die zunächst fast alles blockiert hat, was in der Asylfrage helfen und begrenzen konnte: Mehr Abschiebungen, mehr sichere Herkunftsstaaten, Grenzkontrollen und Transitzonen, Sach- statt Geldleistungen für Asylbewerber.
  • Es war Gabriels SPD, die alle Entscheidungen zur Flüchtlingspolitik Merkels zunächst widerspruchslos mitgetragen und unterstützt hat – im Gegensatz zur CSU. „Ich bin sicher: Wir schaffen das“, so der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel in einem Podcast im August 2015. „Frau Merkel hat ganz klar eine Position bezogen, die ich teile“, sagte Martin Schulz im Herbst 2015. Und noch im Juni 2016 säuselte er: „Was die Flüchtlinge zu uns bringen, ist wertvoller als Gold.“
  • Es war Gabriels SPD, die seit Jahren jeden, der auf die massiven Integrationsprobleme in Deutschland lange vor und während der Flüchtlingswelle hinwies, gründlich mit der Nazikeule massierte. Beinahe jede CSU-Forderung wurde erst als „rechte Hetze“ herabgewürdigt, dann übernommen.
  • Es war Gabriels SPD, die in den Ländern den Abbau vieler Polizei-Stellen mitgetragen oder initiiert hat. Und Polizei ist grundsätzlich Ländersache. Das zeigte sich letztlich auch in jeder Kriminalitätsstatistik, in denen die lange rot regierten Länder NRW, Bremen, Berlin und Hamburg auf den hintersten Plätzen liegen, sowohl bei den Polizeistellen pro Einwohner, als auch bei der Verbrechensrate und der Aufklärungsquote. Die 3000 neuen Stellen bei der Bundespolizei hat die Union vorangebracht.

Ausgerechnet Gabriel

Man muss außerdem sagen: Ausgerechnet Sigmar Gabriel!

Der Gabriel, der Anfang September 2015 kurz nach der „Budapester“ Grenzöffnung am 4. September 2015 mit einem „Refugees Welcome – Wir helfen“-Button (eine Aktion der Bild-Zeitung) auf der Regierungsbank im Bundestag saß. Und das, obwohl dort sonst solche Parolen verboten sind. Wenige Wochen, nachdem er mit seinem Button noch unbegrenzte Zuwanderung propagierte, warf er der Kanzlerin vor, eine Million Flüchtlinge „eingeladen“ zu haben. Der Gabriel, der wiederum einige Zeit später sagte, die tiefe Verunsicherung in der Arbeiterschicht durch Flüchtlinge werde nicht durch Hochglanzkampagnen wie „Refugees welcome“ beendet.

Der Gabriel, der den österreichischen Außenminister Sebastian Kurz sowie Ungarn für deren Initiative zur Abriegelung der Balkanroute immer wieder kritisierte, vor „drohenden nationalen Alleingängen“ in der Flüchtlingskrise warnte, vor „Scheinlösungen, die die europäische Debatte vergiften“.

Als sich SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann Anfang 2017 bezüglich der Mittelmeerroute Kurz anschloss, dass die Rettung aus Seenot nicht mehr „mit einem Ticket nach Mitteleuropa verbunden sein“ dürfe und man dazu mit Nordafrika bezüglich Transitzentren zusammenarbeiten müsse, wurde er in der SPD als „Einzelmeinung“ abgewatscht. Auch Gabriel lehnte den Plan ab. Das sei nicht umsetzbar.

Zick-Zack-Siggi

Beim Perspektivkongress der SPD in Mainz am 11. Oktober 2015 klagte Gabriel: „Die Union pendelt zwischen dem ,Wir schaffen das’ Angela Merkels und dem ,Grenzen zu’ von Horst Seehofer“, sagte Gabriel. Beide Sätze seien falsch. 2016 das ZDF-Sommerinterview von Gabriel: Beide Sätze seien wahr. Natürlich gebe es eine Obergrenze, die von der Integrationsfähigkeit der Länder vorgegeben sei.

Gabriels Wendigkeit ist bekannt. „Inhaltlich eher flexibel“, nannte ihn der Sender n-tv. Sogar die Jusos Nordrhein-Westfalen kritisierten im Mai 2016 das „gewohnte Hin-und-Her des Parteivorsitzenden“ und die „Zick-Zack-Erfahrungen der letzten Jahre“. Doch mit seinem Versuch, auf Kosten der Union Flüchtlinge und Einheimische gegeneinander auszuspielen, setzt Gabriel obendrein aufs falsche Pferd.