Erneuter Denkzettel für den CDU-Linkskurs: Parteichefin Merkel, Niedersachsens Spitzenkandidat Althusmann (v.l.). (Foto: Imago/Eibner)
Niedersachsen

Erneuter Denkzettel für Merkel

Kommentar Wahlanalyse: Rot-Grün ist abgewählt, die Linkspartei weiterhin nicht im Landtag vertreten. Die Berliner Jamaika-Partner CDU, Grüne und FDP kassieren herbe Verluste. Die SPD wird für ihre Berliner Totalverweigerung belohnt.

SPD-Parteichef Martin Schulz sonnt sich im Wahlsieg der Niedersachsen-Genossen, obwohl er selbst nur wenige Wahlkampftermine im Land wahrgenommen hat. Der eigentlich farblose SPD-Ministerpräsident Stefan Weil gilt als großer Sieger, weiß aber nicht, in welcher Koalition er nun regieren soll. Die Niedersachsen-SPD gewinnt um 4,3 Punkte auf 36,9 Prozent. Noch bei der Bundestagwahl vor drei Wochen waren es nur 27,4 Prozent gewesen – da sieht man, was ein beliebter Spitzenkandidat (Weil) im Gegensatz zu einem sehr schwachen (Schulz) ausmacht: Knapp zehn Prozentpunkte Differenz.

Die CDU gehört zu den Wahlverlierern, obwohl der nicht besonders charismatische Spitzenkandidat Bernd Althusmann ein doch noch respektables Ergebnis von 33,6 Prozent einfährt. Gegenüber der letzten Landtagswahl 2012 bedeutet dies ein Minus von 2,4 Punkten, gegenüber der Bundestagswahl ein Minus von 1,3 Punkten. „In Sack und Asche gehen müssen wir überhaupt nicht“, sagt Althusmann und begründet die Verluste mit dem Gegenwind aus Berlin. Da hat er nicht ganz unrecht: Gerade seit der Bundestagswahl stürzten die CDU-Zahlen in Niedersachsen schlagartig ab. Noch im August hatte die CDU in den Umfragen 40 und 41 Prozent erzielt und wie der sichere Sieger gewirkt, die SPD lag damals bei 28 Prozent.

Merkel trägt Mitschuld an Niederlage

Analysten und Vertreter der CDU-Basis meinen ebenfalls, dass die achselzuckende Reaktion von Angela Merkel auf die krachende Niederlage bei der Bundestagswahl („Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten“) viele konservative CDU-Anhänger nochmal verärgert hat. Daher kann diese Wahl als weiterer Denkzettel für Merkel gelten – zumal sie sich stark in Niedersachsen engagiert und ungewöhnlich viele Termine in der tiefsten Provinz absolviert hatte. Zudem regten sich viele einfache CDU-Mitglieder bei der Wahlparty über Bundesinnenminister de Maizière auf, der ausgerechnet kurz vor der Wahl muslimische Feiertage in Deutschland befürwortet hatte. Seitdem sei für die Landespartei nichts mehr zu machen gewesen, sagten mehrere CDU-Aktivisten zu Focus Online. Immer mehr treue Parteigänger schütteln nur noch den Kopf über den geistigen Zustand der Bundes-CDU.

Großer Wahlverlierer sind die Grünen: Sie verlieren mehr als ein Drittel ihrer Stimmen, büßen volle 5,0 Prozentpunkte ein und sacken ab auf 8,7 Prozent. Aber auch die FDP wird für die Berliner Jamaika-Pläne bestraft und verliert 2,4 Prozentpunkte auf 7,5 Prozent. Die kleinen Parteien reden sich ihre Verluste schön mit dem Hinweis auf das konfrontative TV-Duell zwischen Weil und Althusmann, das eine starke Polarisierung zwischen beiden großen Parteien ausgelöst hatte – im Gegensatz zum Bund.

Grüne und CDU verlieren an SPD

Die Wählerwanderung zeigt, dass die stärksten Verluste der Grünen (88.000 von 156.000 Stimmen) an die SPD gingen, 32.000 an die Linkspartei und 23.000 an die CDU. Die CDU verlor 54.000 Stimmen an die SPD und 45.000 Stimmen an die AfD. Die höhere Wahlbeteiligung kam – vermutlich auch eine Folge des TV-Duells – vor allem der SPD zugute, die 169.000 Nichtwähler aktivieren konnte, danach der CDU mit 100.000 bisherigen Nichtwählern, und der AfD, die 63.000 Nichtwähler aktivierte.

Die Rechtspopulisten ziehen mit 6,2 Prozent – deutlich, aber glanzlos – in den Landtag ein. Der Landesverband gilt selbst für AfD-Verhältnisse als ungewöhnlich zerstritten: So wurde die Spitzenkandidatin kurz vor der Wahl aus ihrer Kreistagsfraktion ausgeschlossen. Zudem durchsuchte die Staatsanwaltschaft fünf Tage vor der Wahl die Wohnung von AfD-Landeschef Paul Hampel sowie die AfD-Landesgeschäftsstelle in Lüneburg – wegen Betrugsverdachts. Die 220.000 AfD-Wähler kamen von „Anderen“ (79.000), Nichtwählern (63.000), CDU (45.000), SPD (15.000) und Linkspartei (10.000).

Starke Abneigung – schwierige Regierungsbildung

Die Regierungsbildung wird schwierig: SPD und Grüne liegen mit 67 von 137 Sitzen zwei Sitze hinter der absoluten Mehrheit, Rot-Grün ist damit abgewählt. Schwarz-Gelb, das noch im Sommer auf eine satte Mehrheit hoffen konnte, liegt mit 61 Sitzen noch dahinter. Ein theoretisches CDU-FDP-AfD-Bündnis, das keiner der Beteiligten will, hätte mit 70 Sitzen eine knappe Mehrheit.

Eine „Ampel“ aus SPD, Grünen und FDP scheitert am Widerstand der Liberalen, das haben FDP-Landeschef Stefan Birkner und Parteivize Wolfgang Kubicki nochmals klargestellt. Ein Jamaika-Bündnis dürfte ebenfalls daran scheitern, dass die niedersächsischen Grünen der linkeste Landesverband überhaupt sind. Nicht nur, dass der Niedersachse Jürgen Trittin im Hintergrund die Fäden zieht. Auch der bisherige grüne Landesagrarminister Christian Meyer mutierte zu einem Feindbild der konventionellen Landwirte. Bleibt also eine große Koalition mit der SPD als Seniorpartner. CDU-Landeschef Althusmann kündigte bereits seine Bereitschaft zur Übernahme der Verantwortung für das Land an, trotz der massiven persönlichen Abneigung gegen Weil und der traditionell tiefen Gräben zwischen CDU und SPD.

Union muss konservative Inhalte durchsetzen

Was bedeutet das Ergebnis für den Bund? Die SPD wird groteskerweise für ihre Berliner Totalverweigerung belohnt. Schulz darf sich im Glanz Weils wie ein kleiner Sieger fühlen und könnte damit seinen Parteivorsitz vorläufig verteidigen. Der starke Aufwind der AfD in zweistellige Regionen ist gestoppt. Der CDU-Abwärtstrend ist unverkennbar.

CDU, CDU, FDP und Grüne werden in Berlin weiter über Jamaika verhandeln, obwohl alle daran beteiligten Parteien in Niedersachsen eine deftige „Watschn“ erhielten. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer bezeichnet das Ergebnis als Warnsignal: „Da muss sich jeder, der ein Jamaika-Bündnis hochjubelt, die Frage nach den Inhalten stellen. Die werden entscheidend sein.“  Nur muss die CDU endlich aufwachen. Die CSU werde sich „inhaltlich klar als bürgerlich-konservative Kraft positionieren“, betonte dagegen CSU-Parteichef Horst Seehofer. Die bayerische Landtagswahl 2018 steht vor der Tür.