Herzliche Abneigung verbindet Stephan Weil (SPD, l.) und CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann. (Foto: Imago/localpic)
Niedersachsen

Spitz auf Knopf

In Niedersachsen wird es eng: Zwar kann CDU-Kandidat Althusmann beim TV-Duell überzeugen, doch droht die Landtagswahl zu einem erneuten deftigen Denkzettel für Merkels Linkskurs zu werden. Die CDU ist zuletzt knapp hinter die SPD zurückgefallen.

Angela Merkel ist viel unterwegs dieser Tage – und zwar in der niedersächsischen Provinz. Sie engagiert sich sehr stark im CDU-Landtagswahlkampf: Sevetal, Vechta, Stade, Osnabrück, zuvor schon Hildesheim – und zwischendurch rasch noch ein Interview fürs Regionalradio. Und bei keiner Rede in dem weiten Land zwischen Harz und Nordseeküste versäumt sie es, ganz regionalpatriotisch aus dem Niedersachsenlied das Landesmotto „sturmfest und erdverwachsen“ zu zitieren. Laut Umfragen droht drei Wochen nach der Bundestagswahl jedoch eine erneute schwere Niederlage der CDU und damit Merkels.

Sie eiern herum. Sie sagen den Menschen nicht die Wahrheit. Ich finde das unredlich.

CDU-Spitzenkandidat Althusmann zu SPD-Weil

Merkel warnte ausdrücklich vor einer rot-rot-grünen Koalition an der Waterkant: Sie finde es bemerkenswert, dass SPD-Ministerpräsident Stephan Weil Rot-Rot-Grün nicht ausschließe, sagte sie in NDR 1-Niedersachsen. „Allein die Beschlüsse, die wir im Bundesrat zu fassen haben, sind manchmal mit Rot-Grün nicht zustande gekommen, kommen aber so gut wie nie mit Rot-Rot-Grün zustande.“ Gerade im Hinblick auf die Themen Innere Sicherheit und Volkswagen fände sie ein solches Bündnis schlimm, sagte die Kanzlerin: „Da kommt Niedersachsen nicht voran. Und all die Vorschläge, die man da hat, zur Entwicklung der Automobilindustrie, die erscheinen mir auch wirklich dramatisch, wenn ich an Niedersachsen denke.“

Althusmann überzeugt im TV-Duell

Auch im TV-Duell der Spitzenkandidaten schloss Weil Rot-Rot-Grün erneut nicht aus. CDU-Kontrahent Bernd Althusmann präsentierte sich in dem Streitgespräch souverän und angriffslustig, er trieb den Amtsinhaber in die Enge. „Sie eiern herum. Sie sagen den Menschen nicht die Wahrheit, ich finde das unredlich“, so Althusmann. Rot-Rot-Grün sei Weils „einzige Machtperspektive“, doch dieser wolle das nicht zugeben. Denn dieses Bündnis wäre, so der CDU-Spitzenkandidat weiter, das Ende für Förderschulen, für bessere Fahndungsmethoden der Polizei, für den nötigen Autobahnausbau und für eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung. „Wenn dies Ihre Perspektive für Niedersachsen sein soll, mögen sich die Wähler bitte noch einmal überlegen, wem sie ihre Stimme geben.“

Nicht versetzt.

Althusmann zur rot-grünen Schulpolitik

Eine volle Breitseite bekam Weil beim Thema Schule und Bildung ab: „Nicht versetzt“, wäre seine Schulnote für die rot-grüne Bildungspolitik, sagte der CDU-Mann. Wegen tausender Stunden Unterrichtsausfall müssten mittlerweile Gymnasiallehrer in Grundschulen aushelfen. Althusmann prangerte einen „Streit zwischen den Schulformen“ und rot-grünes Bildungschaos an: Integrierte Gesamtschulen kämpften gegen Kooperative Gesamtschulen, diese gegen Gymnasien.

Rot-Grün schädigt alle Schüler

Er werde den Lehrermangel mit Neueinstellungen von Seiteneinsteigern und attraktiven Studienplätzen bekämpfen, so Althusmann. Gleichzeitig forderte er eine einjährige „Atempause“ bei der „Inklusion“ schwerbehinderter Schüler in Regelschulen: Wegen Rot-Grün seien die Regelschulen völlig überfordert, viele Sonderpädagogen fehlten. Dann litten alle Schüler darunter, gleichzeitig seien hochqualifizierte Förderschulen im Bestand gefährdet.

Weil hingegen schob die Schuld der schwarz-gelben Vorgängerregierung zu, in der Althusmann Kultusminister war. Sich selbst gab der SPD-Mann eine „Zwei Minus“ in der Schulpolitik und versprach eine „Versorgungsqoute von 100 Prozent“ im nächsten Jahr. Er verwies auf 600 Lehramts-Studienabgänger – die freilich nicht sofort als vollständige Lehrkräfte eingesetzt werden können, was er verschwieg. Gleichzeitig führte er die Sprachförderung für Flüchtlinge an, die zwei Prozent der Lehrer binde: „Diese zwei Prozent fehlen an anderer Stelle.“ Dennoch nannte Weil die Sprachkurse „absolut vorrangig“.

Die Bürger sollen sich hier wohlfühlen, nicht die Einbrecher.

Bernd Althusmann

Und weiter griff der CDU-Herausforderer den SPD-Amtsinhaber an. Alle 30 Minuten werde in Niedersachsen eingebrochen, vor allem ältere Menschen fühlten sich unsicher. Die CDU werde die Polizei personell und in der Ausstattung verstärken und neue Fahndungsmethoden zulassen. „Die Bürger sollen sich hier wohlfühlen, nicht die Einbrecher“, so Althusmann. Hingegen sei Niedersachsen „für religiösen Extremismus ein Wohlfühlland geworden“, sagte der CDU-Mann und nannte gleich fünf islamistische Terroristen namentlich, die hier ihr Unwesen trieben.

Noch vernichtender fiel Althusmanns Urteil in der VW-Diesel-Affäre aus: Der SPD-Ministerpräsident als VW-Aufsichtsrat sei vom Vorstand „am Nasenring durch die Manege geführt“ worden und habe seine Kontrollfunktion nicht ausgeübt, zum Schaden der 200.000 Arbeitnehmer an sechs Standorten. Weil verteidigte sich wenig überzeugend, die Kritik Althusmanns an seiner Person sei eine potenzielle Beschädigung des Arbeitgebers VW. Überheblich wirkte seine Bemerkung: „Sie überblicken die Affäre nicht.“

CDU-Absturz ist Bundestrend geschuldet

Dennoch: Angesichts der Schwäche der rot-grünen Landesregierung sah die CDU im August bereits wie der sichere Sieger aus: 40, 40 und 41 Prozent bescheinigten drei verschiedene Umfragen den Christdemokraten, bis zu 14 Punkte Vorsprung vor der SPD. Doch nach der Bundestagwahl folgte der Absturz: Nur noch 32 Prozent würden nach der neuesten Erhebung die CDU wählen, damit fiel diese sogar hinter die SPD mit 33 Prozent zurück. FDP und Grüne liegen jetzt gleichauf bei 10, die AfD bei 7 und die Linkspartei bei 5 Prozent.

Wenn die CDU aber nicht stärkste Partei wird, wäre sie selbst in einer großen Koalition – die wegen der beim TV-Duell offensichtlichen persönlichen Abneigung der Spitzenleute nur der absolute Notnagel wäre – bloß der Juniorpartner. Ein solider Politikwechsel wäre so nicht durchzusetzen. Eine SPD als stärkste Partei hätte zudem gute Argumente auf ihrer Seite, wenn die Frage lautet: Ampel (SPD, FDP, Grüne) oder Jamaika (CDU, FDP, Grün)? Außerdem droht derzeit tatsächlich Rot-Rot-Grün mit zusammen 48 Prozent.

Niedersachsen-Pleite fiele auf Merkel zurück

Wie auch immer: Wenn die CDU in Niedersachsen in Folge des desaströsen Bundestrends ihren einst luxuriösen Vorsprung einbüßt, nicht eindeutig stärkste Partei wird und damit auch keinen klaren Regierungsauftrag erhält, wird dies schwer auf die Parteichefin Merkel zurückfallen. Denn ihre Einlassungen nach der miserablen Bundestagswahl („Ich wüsste nicht, was wir anders hätten machen sollen“) waren eben kein „Wir haben verstanden“-Signal an die enttäuschten Stammwähler. Selbst mit noch so vielen Terminen in der niedersächsischen Provinz wird Merkel diese nicht zurückholen können.