Fordern eine eindeutige konservative Kurskorrektur der CDU: Reiner Haseloff (l.) und Stanislaw Tillich, die Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt und Sachsen. (Foto: Imago/photothek)
Kurswechsel

Es rumort in der CDU

In der CDU wächst die Einsicht, dass die Partei nach dem verheerenden Wahlergebnis einen konservativen Neuanfang benötigt – vor allem in der Frage der Zuwanderung. Es rumort in Sachsen, Sachsen-Anhalt und in Baden-Württemberg.

Ende des Schweigens: Die Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, und Sachsen, Stanislaw Tillich, haben eine massive konservative Kurskorrektur der CDU gefordert. Unterstützung finden sie in der Jungen Union (JU) Baden-Württemberg.

Wir haben Platz gelassen rechts von der Mitte. Viele unserer Anhänger haben uns nicht mehr für wählbar gehalten.

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU)

„Die Leute wollen, dass Deutschland Deutschland bleibt“, analysiert Tillich in der WAZ das desaströse Abschneiden der CDU. „Sie wollen keine Parallelgesellschaften und keinen Anstieg der Kriminalität. Sie wollen nicht, dass religiöse oder politische Auseinandersetzungen unter Flüchtlingen hier ausgetragen werden. Da hat der Staat noch viel zu tun.“ In Sachsen hat die CDU nur noch 26,9 Prozent der Zweitstimmen gewonnen (minus 15,8 Prozentpunkte) und wurde nur noch zweitstärkste Partei, knapp hinter der AfD mit 27,0 Prozent.

Tillich unterstützt Seehofer ausdrücklich

Zur Forderung von CSU-Chef Horst Seehofer, dass die Union endlich wieder die „rechte Flanke“ schließen müsse, sagt Tillich: „Wir müssen umschalten, da hat Seehofer recht.“ Er unterstütze die Forderung nach einem Kurs „Mitte rechts“. Auch klare Kritik am CDU-Gesamtkurs äußerte Tillich: „Wir haben Platz gelassen rechts von der Mitte. Viele unserer Anhänger haben uns nicht mehr für wählbar gehalten.“

Wir können nicht unbegrenzt Menschen aufnehmen, ohne unsere Gesellschaft zu destabilisieren.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU)

Tillich sagte, Merkels Flüchtlingspolitik sei für das starke Abschneiden der AfD mitverantwortlich. Die Union müsse wieder Recht und Ordnung durchsetzen. Insbesondere lehnte Tillich die Thesen linker Kommentatoren ab, dass Ostdeutschland ein „Hort von Nazis“ geworden sei. Bundesweit hätten mehrere Millionen Menschen die AfD gewählt. Die Union dürfe ihre Stammwähler nicht vergessen, nämlich rechtschaffene Leute, die an Recht und Ordnung glaubten, forderte der Sachse.

Staatlicher Kontrollverlust erschreckte die Menschen

Ähnlich klingt die Kritik von Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff. FDP und Grüne müssen aus seiner Sicht als Koalitionspartner einer Begrenzung der Migration zustimmen. Die kleineren Partner in dem geplanten Jamaika-Bündnis hätten anzuerkennen, dass es eine „Integrationsgrenze“ gebe. „Wir können nicht unbegrenzt Menschen aufnehmen, ohne unsere Gesellschaft zu destabilisieren.“ Zum Erstarken der AfD in Ostdeutschland sagte Haseloff der Welt, je besser es vielen Menschen mit DDR-Biografie inzwischen gehe, desto größer sei bei vielen die Angst, wieder alles zu verlieren. Sie hätten schließlich schon einmal erlebt, wie ein Staat zusammenbricht, sagte Haseloff.

„Als dann rund eine Million Flüchtlinge zu uns kamen, haben sie einen überforderten Staat erlebt“, sagte er mit Blick auf das Jahr 2015. Haseloff beklagte den damaligen Kontrollverlust an den Grenzen. „Das bestreitet keiner mehr. Die Integrität des Staatsgebiets war nicht mehr gewährleistet und die EU-Außengrenze nicht mehr hinreichend geschützt.“ Den Unmut darüber artikulierten die Menschen bei den Wahlen. In Sachsen-Anhalt blieb die CDU mit 30,3 Prozent der Zweitstimmen stärkste Partei (minus 10,9 Prozentpunkte) vor der AfD mit 19,6 Prozent (plus 15,4 Punkte).

Der unklare Kurs unserer Parteivorsitzenden stößt immer mehr auf Unverständnis.

Martin Numberger, JU-Landesvize in Baden-Württemberg

Alarm schlägt auch die JU Baden-Württemberg angesichts schwerer Verluste der CDU im „Ländle“ von 11,3 Punkten auf 34,4 Prozent. „Nicht nur in der Bundespartei, auch in der Landespartei rumort es gewaltig“, sagte JU-Landesvize Martin Numberger den Stuttgarter Nachrichten. Er kritisierte auch das Verhalten von Angela Merkel direkt: „Der unklare Kurs unserer Parteivorsitzenden“, so Numberger, „stößt immer mehr auf Unverständnis.“ Der JU-Landesvize forderte einen „klaren Kurswechsel“ der CDU – inhaltlich und personell brauche es eine Neuausrichtung. „Die Wahlniederlage ist unserer Ansicht nach hausgemacht“, erklärte er. „Sie war nicht nur absehbar, vielmehr wurden viele Warnungen innerhalb der Partei übersehen – wenn nicht schlicht ignoriert. Unserer Ansicht nach wurden die Sorgen der Bevölkerung nicht ernstgenommen.“ In Baden-Württemberg verlor die CDU stark an die FDP, die auf 12,7 Prozent kam, und an die AfD (12,2 Prozent).

Merkel und Altmaier: Kein Grund zur Kurskorrektur

Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht bislang keinen Anlass zu einer grundsätzlichen Kurskorrektur. Die CDU-Chefin deutet die AfD-Erfolge weniger als Protest von enttäuschten Konservativen, sondern vor allem sozial – als „Folge der Verunsicherung vieler Menschen“, nicht nur im Osten, sondern auch im Westen. „Ich glaube, es sind zum Teil Verlustängste, man hat sich sehr viel aufgebaut, man hat viele Umbrüche in der eigenen Biografie erlebt“, sagte Merkel in ihrer wöchentlichen Videobotschaft. Das sei kein ostdeutsches Problem: „Wir sehen solche Sorgen vor der Globalisierung, vor der Anonymität, vor schlechterer Versorgung im Grunde auch in den alten Ländern. Und deshalb heißt es hier, gesamtdeutsch dagegen vorzugehen.“ Ihre Aufgabe nach der Wahl sei es, Probleme zu lösen und Menschen wieder zum Zuhören zu bringen.

Auch der designierte Interims-Bundesfinanzminister, Peter Altmaier (CDU), sieht keinen Anlass, den Kurs der CDU grundsätzlich konservativer zu gestalten. „Unser gemeinsames Wahlprogramm ist unser Kompass“, sagte der Kanzleramtsminister dem Focus. Es biete „ein breites Angebot für die Menschen der Mitte und auch für Leute, die sich vielleicht nicht hinreichend mitgenommen fühlen.“