Edmund Stoiber, Ehrenvorsitzender der CSU und ehemaliger Bayerischer Ministerpräsident (Foto: BK/Nikky Maier).
Kolumne

Sanktionen ersetzen keine Politik

Gastbeitrag Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: Der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber warnt vor einer weiteren Verschärfung des Konflikts mit Russland und wirbt für eine schrittweise Annäherung an den wichtigen Nachbarn.

Europäer und Amerikaner sind sich einig, dass Russland auf der Krim und in der Ostukraine das Völkerrecht grob missachtet. Darüber kann und darf die Völkergemeinschaft nicht einfach hinweg gehen. Allerdings haben die Sanktionen des Westens Russlands Präsidenten Wladimir Putin bisher nicht zu einer Änderung seiner Haltung gebracht. Der Minsk-Prozess, den Deutschland mit Frankreich und mit den Konfliktparteien Ukraine und Russland zur Lösung des Konflikts in der Ostukraine angestoßen hat, kommt nicht voran. Die Kämpfe gehen weiter. Und in der Krim-Frage ist die vom Westen geforderte Rückgabe an die Ukraine entfernter denn je. Russland betrachtet die Krim nach dem Referendum und dem „Beitritt“ der Krim zu Russland als russisches Territorium. Die Krim ist aufgrund der Stationierung der Schwarzmeerflotte in Sewastopol für Russland zudem von höchster strategischer und emotionaler Bedeutung. Dies belegen die sehr hohen Zustimmungswerte für Putins Politik in dieser Frage in der russischen Bevölkerung.

Moskau wird als Partner gebraucht

Diese Analyse kann und will das aggressive Vorgehen Russlands weder beschönigen noch entschuldigen. Aber Politik – vor allem Außenpolitik – ist immer die Kunst des Möglichen. Wolfgang Schäuble hat völlig Recht, wenn er darauf hinweist, dass die Möglichkeiten des Westens, die Dinge in der Ukraine, vor allem auf der Krim, vollständig zurückzudrehen, begrenzt sind. Die Sanktionen haben Russland zwar geschadet, aber nicht zum Einlenken bewegt. Auch in Zukunft wird sich daran nichts ändern, aus den oben genannten Gründen. Einen diplomatischen Stillstand können wir uns aber nicht leisten. Wir brauchen Russland zur Lösung vieler Probleme in der Welt, nicht zuletzt auch zur Bewältigung des Syrienkonflikts, der wiederum nicht isoliert betrachtet werden darf. Deshalb ist es Zeit, die Sanktionspolitik gegenüber Russland grundsätzlich zu überdenken. Sanktionen können nicht Politik ersetzen.

Respektable Vorschläge

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat in einem mutigen Interview eine neue politische Handlungsempfehlung vorgeschlagen. Er fordert eine „Einkapselung“ des Krim-Konflikts, um den Weg frei zu machen für Fortschritte an anderer Stelle. Die Krim müsse man als dauerhaftes Provisorium ansehen. Die Empörung in den Medien war erwartungsgemäß groß. Von einem „falschen Signal zur falschen Zeit“ war die Rede, oder von einem „Kuschelkurs mit Moskau“, was natürlich abwertend gemeint war. Selbst die Bundesregierung beeilte sich zu sagen, dass die russische Annexion der Krim als Bruch des Völkerrechts betrachtet wird, der die europäische Friedensordnung infrage stelle. Das wird allerdings auch von niemandem ernsthaft bestritten, auch von Lindner nicht.

Es ist Zeit, die Sanktionspolitik gegenüber Russland grundsätzlich zu überdenken.

Edmund Stoiber

Christian Lindner knüpft mit seinen Äußerungen an die Ostpolitik Willy Brandts und Hans-Dietrich Genschers an. Das ist sehr respektabel. Die später als „Genscherismus“ bezeichnete Politikmethode war Entspannungspolitik auf fester Grundlage. Unverrückbarer Grundsatz war die Westbindung Deutschlands. Aus dieser stabilen Position heraus konnte Deutschland mit der Sowjetunion und den anderen Staaten des Warschauer Pakts im Dialog bleiben. Genscher beschrieb das Ziel des Genscherismus einmal als „Entfeindung“ und schließlich Kooperation zwischen Ost und West. Die CSU – auch ich persönlich – haben diesen Kurs der deutschen Außenpolitik damals heftigst kritisiert. Die Auseinandersetzungen zwischen Franz Josef Strauß und Hans-Dietrich Genscher um Entspannungspolitik und Genscherismus waren legendär. Heute muss man aber erkennen, dass die Ostpolitik der 70er Jahre in der historischen Betrachtung eine wichtige Voraussetzung für die Wiedervereinigung Deutschlands und damit die Wiedervereinigung Europas war.

Für eine neue Partnerschaft mit Moskau

Die Einkapselung des Krim-Konflikts bedeutet, dass sich der Westen auf die Umsetzung des Minsker Abkommens, also die Lösung der Situation in der Ostukraine konzentrieren kann. Die CSU setzt im Bayernplan auf einen flexiblen Abbau der Sanktionen gegen Russland bei schrittweiser Umsetzung des Minsker Abkommens. Die unflexible Haltung, nur bei Erfüllung aller Bedingungen von Minsk die Sanktionen zu lockern, ist zum Scheitern verurteilt. Der schrittweise Abbau von Sanktionen „Zug um Zug“ mit Fortschritten beim Minsk-Prozess kann ein wichtiger Anreiz für Russland sein, eine aktivere Rolle bei der Befriedung der Ostukraine zu spielen.

Fakt ist, dass es nicht dauerhaft beim aktuellen angespannten Verhältnis Europas zu Russland bleiben kann.

Edmund Stoiber

Wenn also zum Beispiel Russland seine Unterstützung der Separatisten zurückfährt, ist es nicht sinnvoll mit dem Abbau der Sanktionen zu warten, bis auch noch alle anderen Bedingungen von Minsk erfüllt sind. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Russland-Sanktionen gerade unsere deutsche und bayerische Landwirtschaft massiv treffen, auch wenn sich der deutsch-russische Handel insgesamt wieder erholt hat. Eine Einkapselung des Krim-Konflikts hätte auch den Vorteil – vorausgesetzt natürlich eine tragfähige Lösung in der Ostukraine –, dass die Idee eines gemeinsamen Wirtschaftsraums von Lissabon nach Wladiwostok ernsthaft weiterverfolgt werden kann. Damit könnte die wirtschaftliche Partnerschaft Europas mit Russland auf eine völlig neue Grundlage gestellt werden, gerade vor dem Hintergrund des zunehmenden Isolationismus der USA und der wichtigen Rolle, die Russland in der Versorgung Europas mit Rohstoffen spielt. Ich halte es gerade angesichts der von unseren osteuropäischen und baltischen EU-Partnern empfundenen militärischen Bedrohung durch Russland für fraglich, auf den stabilisierenden Effekt enger wirtschaftlicher Verflechtungen mit Russland zu verzichten.

US-Pläne schaden Europa

Fakt ist, dass es nicht dauerhaft beim aktuellen angespannten Verhältnis Europas zu Russland bleiben kann. Dazu gibt es in der unmittelbaren Nachbarschaft Europas zu viele Brandherde, wie in Syrien und Irak, die sich nicht ohne Russland lösen lassen können. Die Russland-Sanktionen vor allem im Energiebereich noch zu verschärfen, wie es der Kongress in den USA und ihm folgend Präsident Trump beschlossen haben, halte ich für den falschen Weg. Diese Entscheidung nimmt wenig Rücksicht auf die energiepolitischen Interessen der Europäer. So greifen die Sanktionen tief in die Geschäftstätigkeit europäischer Unternehmen beim Bau der strategisch wichtigen Pipeline Nord Stream 2 ein. Es ist gut, dass auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Entscheidung mit deutlichen Worten kritisiert und Gegenmaßnahmen nicht ausgeschlossen hat.

Schon Hans-Dietrich Genscher hatte gesagt: „Es wird uns Deutschen auf Dauer nicht gut gehen, wenn es unseren Nachbarn auf Dauer schlecht geht.“ Und Russland ist unser Nachbar, ob wir wollen oder nicht.