Innerörtliche Schlaglöcher als Sinnbild für desolate kommunale Finanzen. (Bild: imago/Karina Hessland)
Report

Risikoreiche Kommunalfinanzen

Die Kommunen in Deutschland haben 2016 einen Milliardenüberschuss erwirtschaftet. Vor allem Städte, Kreise und Gemeinden in Bayern und Baden-Württemberg sorgten dafür. Rot-Grün sorgt dagegen für leere Kassen, besonders in NRW und Rheinland-Pfalz.

Der Kommunale Finanzreport der Bertelsmann-Stiftung bezeichnet 2016 mit einem Plus von 4,5 Milliarden Euro als bestes Jahr seit 2008. Die gute Konjunktur sorgte dafür, dass auch die Investitionen weiter anzogen, hinzu kamen höhere Steuereinnahmen und Zuweisungen. So gab es ein Einnahmeplus von sechs Prozent. Damit seien die um fünf Prozent gestiegenen Ausgaben mehr als aufgefangen worden, teilte die Stiftung mit. In Brandenburg, Thüringen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein fielen die Ausgaben allerdings höher aus als die Einnahmen.

Unterschiede wachsen

Im Vergleich der Jahre 2005 und 2015 sind die Gemeindesteuern sogar um bemerkenswerte 56 Prozent gestiegen. Alle Kommunen haben hiervon profitiert, jedoch in unterschiedlichem Ausmaß. Noch immer besteht ein deutliches West-Ost-Gefälle: Bis auf wenige Ausnahmen ist der Osten steuerschwach. Die insgesamt positive Entwicklung wird vor allem getragen durch die hohen Überschüsse in Bayern und Baden-Württemberg. Hier waren die Kommunen über fünf Jahre durchgängig im Plus. Demgegenüber gelang den Kommunen in Schleswig-Holstein und dem Saarland in keinem dieser Jahre der Haushaltsausgleich.

Die schwachen Kommunen fallen weiter zurück.

Kirsten Witte, Kommunalexpertin der Bertelsmann Stiftung

In Süddeutschland liegen die Steuereinnahmen über die zehn Jahre teils immer deutlicher über dem Bundesschnitt. Der stärkste Landkreis München (Bayern) erzielt pro Einwohner sieben Mal mehr Steuereinnahmen als der schwächste Kreis Mansfeld-Südharz (Sachsen-Anhalt). Nur wenige schwache Kommunen konnten hier ihre Position verbessern.

Ähnliches gilt beim Investitionszuwachs: In der Summe der vergangenen beiden Jahre investierten die Kommunen Bayerns pro Einwohner fast drei Mal so viel wie jene in Sachsen-Anhalt oder dem Saarland. „Die Unterschiede in der Infrastruktur und Standortqualität wachsen. Die schwachen Kommunen fallen weiter zurück“, warnt Kirsten Witte, Kommunalexpertin der Stiftung.

Verdoppelte Kassenkredite

Solche Differenzen zeigen sich ebenso bei den Kassenkrediten, dem üblichen Indikator einer Haushaltskrise. Eigentlich dienen sie nur zur Überbrückung kurzfristiger finanzieller Engpässe, ähnlich dem Dispo bei Privatleuten. In vielen Kommunen sind sie jedoch zum Dauerzustand geworden. Im Vergleich der Jahre 2005 und 2015 hat sich ihr Volumen bundesweit auf fast 50 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Hohe Kassenkreditbestände stellen aufgrund möglicher kurzfristiger Zinsänderungen ein großes Risiko dar.

Allein die Stadt Essen führt mehr als doppelt so hohe Kassenkredite wie alle Kommunen in Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen zusammen.

René Geißler, Kommunaler Finanzexperte der Stiftung

Kassenkredite sind allerdings nur bei etwa der Hälfte aller Kommunen ein Problem. Die 17 höchst verschuldeten Kommunen liegen in nur zwei Bundesländern: NRW und Rheinland-Pfalz – beide lange rot regiert (NRW bis Mai). An der „Spitze“ in Pirmasens (Rheinland-Pfalz) werden umgerechnet Kassenkredite von fast 8000 Euro pro Einwohner erreicht. In absoluten Zahlen liegt Essen (NRW) mit über zwei Milliarden Euro Kassenkrediten „vorn“. „Allein die Stadt Essen führt mehr als doppelt so hohe Kassenkredite wie alle Kommunen in Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen zusammen“, so René Geißler, kommunaler Finanzexperte der Stiftung.

Schuldenabbau gelingt selten

In einigen Bundesländern konnten Kommunen ihre Bestände zwar durch Landeshilfen deutlich zurückführen. Kaum einer hochverschuldeten Kommune gelang der Abbau jedoch aus eigener Kraft. „Schwache Kommunen bleiben schwach und entkoppeln sich mehr und mehr vom bundesweiten Durchschnitt“, heißt es im Report. Etwa jede fünfte Kommune stecke in der Dauerkrise. Kostentreiber waren vor allem Sozialausgaben mit einem Plus von neun Prozent und Personalkosten mit drei Prozent. „Bund und Länder müssen eine Lösung für die Altschulden der Kommunen entwickeln, um gerade diesen Städten und Gemeinden eine positive Entwicklungsperspektive zu ermöglichen“, forderte Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages.

Der Länderprimus: Bayern

Mit einem deutlichen Haushaltsüberschuss (1,9 Milliarden Euro) zum sechsten Mal in Folge, den höchsten Investitionen (pro Kopf 644 Euro) und minimalen Kassenkrediten (landesweit nur rund 200 Millionen Euro; 15 Euro je Einwohner) liegt der Freistaat weiterhin an der Spitze bei den Kommunalfinanzen in Deutschland. Lediglich vier der 96 Kreise und kreisfreien Städte hatten einen Kassenkreditbestand von über 100 Euro je Einwohner, mit 229 Euro lag die Stadt Rosenheim „vorn“. Neben Baden-Württemberg ist Bayern auch das einzige Land, in dem sich Investitionen und Sozialausgaben die Waage halten.

Schon seit mehreren Jahren gehören die Landkreise München und Dingolfing-Landau sowie die Städte Coburg, München und Regensburg zu den Top Ten der Kommunen mit den höchsten Steuereinnahmen. Interessant ist, dass die bayerischen Kommunen im Schnitt sehr hohe Einnahmen trotz auffallend niedriger Steuersätze bei Grund- und Gewerbesteuer erzielen können. „Allerdings gibt es auch in Bayern einige Kommunen mit eher geringer Steuerkraft. So erreichte der Kreis Freyung-Grafenau 2015 nur rund ein Fünftel der Einnahmen vom Landkreis München“, so Geißler.

Regionale Unterschiede machte auch Wilfried Schober vom Bayerischen Gemeindetag aus. Gerade Städte und Gemeinden im Nordosten Bayerns – etwa in den Kreisen Kronach, Hof, Wunsiedel und Regen – aber auch in Teilen Mittelfrankens (Kreis Weißenburg-Gunzenhausen) hätten nach wie vor große finanzielle Probleme. „Ihre Haushalte weisen hohe Schulden aus, eine schwache Investitionsquote und geringe Einnahmen.“ Als Gründe nannte er das geringe Interesse von Investoren in den Randlagen Bayerns, abwandernde Bevölkerung, hohen Sanierungsbedarf und gleichbleibend hohe Ausgabenlast. „Der kommunale Finanzausgleich in Bayern mildert glücklicherweise die finanziellen Unterschiede. Aber die strukturellen Probleme bleiben“, betonte Schober.

Der Report

Datenbasis für den Finanzreport sind amtliche Statistiken aller 398 kreisfreien Städte und Landkreise in Deutschland.