In der schweren diplomatischen Krise zwischen Deutschland und der Türkei hat die Bundesregierung als Reaktion auf die Verhaftung des Menschenrechtlers Peter Steudtner und anderer Deutscher die Reisehinweise des Auswärtigen Amts für das Land verschärft, wie Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) mitteilte. Das Außenamt rät Türkei-Reisenden nun zu „erhöhter Vorsicht“.
In einigen Fällen sind Deutsche von freiheitsentziehenden Maßnahmen betroffen, deren Grund oder Dauer nicht nachvollziehbar war.
Warnung des Auswärtigen Amtes
Reisehinweise veröffentlicht das Auswärtige Amt im Internet für jedes Land und aktualisiert sie regelmäßig. Die schärfere Stufe ist allerdings eine Reisewarnung, bei der es um eine konkrete Gefahr für Leib und Leben geht: Deutsche, die in dem betroffenen Land leben, werden dann gegebenenfalls zur Ausreise aufgefordert. Urlauber können gebuchte Reisen leichter stornieren. Für den Einbruch im türkischen Tourismusgeschäft ist das dennoch ein weiterer Schlag.
In den neuen „Aktuellen Hinweisen“ wird nun empfohlen, sich „auch bei kurzzeitigen Aufenthalten in die Listen für Deutsche im Ausland bei Konsulaten und der Botschaft einzutragen“. Grund dafür sei, dass „in einigen Fällen Deutsche von freiheitsentziehenden Maßnahmen betroffen“ gewesen seien, „deren Grund oder Dauer nicht nachvollziehbar war“. Teilweise sei der konsularische Zugang „entgegen völkerrechtlicher Verpflichtung“ verweigert worden. Nach dem Putsch sind nach Erkenntnissen der Bundesregierung bislang 22 deutsche Staatsbürger festgenommen worden, neun sind noch in Haft – darunter der Welt-Korrespondent Deniz Yücel sowie die Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu Corlu.
Der Handel bricht weg
Wichtiger aber ist dieser Schritt: Investitionskredite und Wirtschaftshilfen wie Hermes-Bürgschaften sollen ebenso überdacht werden wie Vorbereitungshilfen der EU für einen Beitritt. Für letztere Maßnahme ist die EU zuständig. „Man kann niemandem zu Investitionen in ein Land raten, wenn es dort keine Rechtssicherheit mehr gibt und sogar Unternehmen, völlig unbescholtene Unternehmen, in die Nähe von Terroristen gerückt werden“, sagte Gabriel. Es habe bereits Beispiele von Enteignungen gegeben.
Gabriel spielte damit an auf den Bericht, wonach Ankara mehrere deutsche Firmen der Terrorunterstützung beschuldigt. Wie die Zeit berichtet, sind auf einer entsprechenden Liste 68 Unternehmen und Einzelpersonen, darunter Daimler und BASF, aber auch ein Spätkaufladen sowie ein Döner-Imbiss in Nordrhein-Westfalen aufgeführt. Die genannten Unternehmen sollen dem Bericht zufolge Verbindungen zur Bewegung des Predigers Fethullah Gülen haben. Diese wird in der Türkei als Drahtzieher des angeblichen Putsches im Juli 2016 verfolgt. Der Außenminister hat das inzwischen bestätigt: „Die Liste ist sogar noch viel länger.“
In einem solchen Umfeld ist an Neuinvestitionen deutscher Unternehmen in der Türkei kaum zu denken.
Volker Treier, DIHK-Außenwirtschaftschef
Deutschland stellt also die staatliche Absicherung von Türkei-Geschäften der deutschen Wirtschaft durch Hermes-Bürgschaften auf den Prüfstand. Das trifft die angeschlagene türkische Wirtschaft hart, weil sich deutsche Firmen künftig noch mehr mit Investitionen zurückhalten werden. Dies hat die Deutsche Industrie- und Handelskammer bestätigt. „In einem solchen Umfeld ist an Neuinvestitionen deutscher Unternehmen in der Türkei kaum zu denken“, sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier.
Deutschland ist nach Angaben der Außenwirtschaftsagentur wichtigster Abnehmer türkischer Produkte und nach China zweitgrößter Lieferant. Das Handelsvolumen mit der Türkei unter dem Hermes-Schutzschirm ist 2016 nach Angaben des Wirtschaftsblattes Capital schon um rund die Hälfte gesunken. Als Grund für die Zurückhaltung hätten Unternehmen mangelndes Vertrauen in das Rechtswesen und die politische Stabilität des Landes genannt. Im ersten Halbjahr 2017 betrug das Deckungsvolumen laut Bundeswirtschaftsministerium rund 680 Millionen Euro. Insgesamt sind in der Türkei laut dem Industrieverband BDI 6800 deutsche Firmen aktiv. Das bilaterale Handelsvolumen liegt bei 37 Milliarden Euro.
Türkei-Politik neu ausgerichtet?
Die von Außenminister Gabriel vorgestellten Maßnahmen zur „Neuausrichtung der Türkei-Politik“ seien „angesichts der Entwicklung notwendig und unabdingbar“, schrieb Regierungssprecher Steffen Seibert bei Twitter. Auf die jüngsten Eskalationen im deutsch-türkischen Verhältnis habe die Bundesregierung wieder und wieder besonnen reagiert und gehofft, dass Vernunft auf der türkischen Seite zurückkehren werde, sagte Gabriel. „Wieder und wieder“ sei man aber enttäuscht worden. Aufgrund der zugespitzten Menschenrechtslage hatte er am Mittwoch seinen Urlaub abgebrochen.
Deutsche Diplomaten sind laut Bild-Zeitung der Überzeugung, dass die türkische Regierung die inhaftierten Deutschen als Geiseln benutze, damit die Bundesregierung die türkischen Staatsbürger ausliefert, die nach dem Putschversuch in Deutschland Asyl beantragt hatten. Der Autokrat Recep Erdogan habe bereits vor Wochen diskret angeboten, Yücel gegen zwei nach Deutschland geflüchtete Ex-Generäle der türkischen Armee auszutauschen. „Auf so einen Handel können wir uns natürlich nicht einlassen“, sagte ein Außenamts-Sprecher dem Blatt. Außenminister Gabriel ist nach eigenen Angaben jedoch kein solches Angebot der Türkei bekannt.
Es wird immer klarer, dass die Türkei nicht mehr für eine Vollmitgliedschaft in der EU infrage kommt.
Horst Seehofer
Die von der Bundesregierung angekündigten Konsequenzen für die Türkei reichen nach Ansicht von CSU-Chef Horst Seehofer nicht aus: „Wenn die Besonnenheit, wenn die Appelle, wenn die bilateralen Kontakte nichts bewirken, sondern all dies, was wir in der Vergangenheit erleben mussten, sogar noch verlängert und verschlimmert wird, dann widerspricht es nicht der Besonnenheit, wenn man über Reisewarnungen und ähnliche Dinge hinaus noch zusätzliche Maßnahmen fordert.“ Eine der wichtigsten Maßnahmen wäre die Einstellung der finanziellen Vorbeitrittshilfen von der EU an die Türkei. „Das ist schon eine inakzeptable Lage, die wir zurzeit haben“, sagte Seehofer. Es werde immer klarer, dass die Türkei nicht mehr für eine Vollmitgliedschaft in der EU infrage komme. „Wenn man Menschenrechtler ohne ersichtlichen Grund inhaftiert, wenn man Journalisten inhaftiert, weil sie ihre Arbeit tun, und dies fortgesetzt und nicht nur in Einzelfällen, dann muss irgendwann ein Stoppschild gesetzt werden.“
Europaministerin Beate Merk forderte den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen. „Die Türkei hat unter der Führung von Ministerpräsident Erdogan klargemacht, dass sie gegenwärtig kein Mitglied der europäischen Familie sein will. Beenden wir die Verhandlungen.“
Justizminister Maas knickt ein
Schon wieder eingeknickt ist Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). „Die Gangart gegenüber der Türkei muss härter werden“, sagte Maas der dpa. Es sei daher richtig gewesen, den türkischen Botschafter einzubestellen. Maas mahnte aber: „Genauso müssen wir im Blick haben, dass in der Türkei deutsche Staatsbürger in Gefängnissen sitzen, zu denen wir einen Zugang brauchen. Ich fände es falsch, wenn man der Türkei im Moment Argumente liefert, uns das auch noch zu verwehren.“ Dabei schert sich die Türkei ohnehin nicht um deutsche Anliegen, wie Erdogan kürzlich klar machte: „Ich persönlich achte nicht darauf, was Hans und George dazu sagen. Ich achte darauf, was Ahmet, Mehmet, Hasan, Hüseyin, Ayse, Fatma und Hatice sagen.“ Mit Hans war Deutschland, mit George Großbritannien gemeint.
Durch den Abbruch der Beziehungen verbessere sich nichts, warnte Maas vor noch härteren Schritten. „Wir sollten kein Druckmittel ausschließen.“ Zu Befürchtungen einer Aufkündigung des Flüchtlingsabkommens sagte er: „Das hat in den bisherigen Diskussionen überhaupt keine Rolle gespielt. Im Übrigen glaube ich, dass das so ziemlich das letzte wäre, was Herr Erdogan tun würde.“
Erdogan fällt die Urteile, bevor die Richter urteilen
Am Mittwoch wurde der türkische Botschafter ins Auswärtige Amt zitiert. Dabei wurde ihm nach Angaben des Ministeriums „klipp und klar“ mitgeteilt, dass die Verhaftungen des Deutschen Steudtner und fünf weiterer Menschenrechtsaktivisten in Istanbul „weder nachvollziehbar noch akzeptabel“ seien. Die türkische Staatsanwaltschaft wirft den Inhaftierten vor, eine „bewaffnete Terrororganisation“ zu unterstützen. Und Erdogan, mal wieder mit einem Urteil vor dem Gerichtsurteil, hatte sie zuvor in die Nähe von Putschisten gerückt. Regierungssprecher Steffen Seibert bezeichnete die Vorwürfe dagegen als „durchschaubaren Versuch“, Andersdenkende zu diskreditieren und zu kriminalisieren.
Das türkische Außenministerium hat diese Kritik scharf zurückgewiesen. Die Bundesregierung versuche damit, Einfluss auf die „unabhängige türkische Justiz“ zu nehmen. Das sei inakzeptabel und zudem beispielhaft für diplomatische Unhöflichkeit. Bei der Gewährleistung der konsularischen Betreuung habe es von der türkischen Seite aus keine Versäumnisse gegeben.
(dpa)