Der kleine Mann vom Bosporus: Recep Erdogan am Jahrestag des angeblichen Putsches. (Bild: Imago/Depo Photos)
Türkei

Stoppt den Diktator!

Kommentar Recep Erdogan führt die EU vor. Er beleidigt, droht und spuckt auf die EU-Grundwerte, die Türkei hat er zur islamischen Diktatur umgeformt. Zugleich stellt er Forderungen. Es ist höchste Zeit, dem kleinen Mann vom Bosporus die Grenzen aufzuzeigen.

Man kann sich das etwa so vorstellen: Ein Mann steht vor der Disco, für die er vor kurzem Hausverbot erhielt, verweigert die Eintrittsgebühr, beleidigt den Club mitsamt Türsteher, lässt von seinen Kumpels die Gäste reihenweise niederprügeln, und fordert: „Ich will in die Disco rein. Jetzt!“

So etwa muss es sich für die EU anfühlen, als jetzt der türkische EU-Minister Ömer Celik in Brüssel die sofortige Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen forderte. Sein Land sei in diesem Rahmen auch bereit, über Themen wie Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit zu reden, räumte großzügig der Türke ein – während Menschenrechtler in der Türkei inhaftiert wurden. Diese Unverschämtheit kommt nicht zum ersten Mal: Noch während der „Nazi“-Beleidigungen gegen Deutschland und kurz nach der Inhaftierung des deutschen Journalisten Deniz Yücel warb Außenminister Cavusoglu auf der Tourismusmesse ITB in Berlin um deutsche Urlauber. Danach wurde Ankara in Berlin auch noch mit der Bitte um Wirtschaftshilfen vorstellig.

Tiefpunkt erreicht?

Die Beziehungen der Türkei zur EU und zu Deutschland sind auf einem Tiefpunkt angelangt. Die EU-Staaten beschlossen im Dezember, bis auf weiteres keine neuen Verhandlungskapitel mehr zu eröffnen. Das EU-Parlament forderte vor ein paar Tagen den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen. Der Grund dafür war schlicht, dass die Türkei keine Demokratie mehr ist. Nur Realitätsblinde bezeichnen „Präsident“ Recep Erdogan nicht längst als das, was er ist: ein Diktator!

Aus den Gefängnissen werden Kriminelle entlassen, um Platz zu schaffen für politische Dissidenten und Journalisten.

Kemal Kilicdaroglu, Oppositionsführer

Mehr als 140.000 Staatsbedienstete wurden seit dem angeblichen Putschversuch suspendiert oder entlassen, weit mehr als 50.000 Menschen in Untersuchungshaft gesperrt. Abgeordnete, Richter, Lehrer, Professoren, Polizisten, Staatsanwälte oder Gouverneure, niemand ist sicher in der gleichgeschalteten Türkei. Über 150 Journalisten sind dort inzwischen hinter Gittern, mehr als in jedem anderen Land der Welt – darunter auch zwei Deutsche. Aus den Gefängnissen würden Kriminelle entlassen, „um Platz zu schaffen für politische Dissidenten und Journalisten“, schrieb kürzlich Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu im britischen Guardian. Praktisch die gesamte Führung der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP sitzt im Gefängnis und jetzt sogar Menschenrechtler der Organisation „Amnesty International“.

Jeder kann inhaftiert werden

Die Vorwürfe für die Verhaftungen sind derart fadenscheinig und dumm, dass man sich keine Gedanken mehr über ihren Wahrheitsgehalt machen muss. Beleidigung des Präsidenten, Unterstützung einer Terrororganisation (wahlweise IS, PKK oder Gülen), das sind die beliebtesten Haftgründe. Jeder Kritiker kann als „Terrorist“ verhaftet werden – und wird es auch. Nach dem angeblichen Putschversuch im Juli 2016, für den die dubiose Gülen-Bewegung verantwortlich gemacht wird, sind laut Bundesregierung 22 deutsche Staatsbürger in der Türkei festgenommen worden, neun sind noch in Haft. Fast alle Medien und die gesamte Justiz der Türkei wurden auf AKP-Linie gebracht. Unschuldige werden denunziert und offen diskriminiert, es herrscht ein Klima der Angst und des Misstrauens. Hexenjagd. Die Gesellschaft wird obendrein schon seit dem Amtsantritt Erdogans 2002 islamisiert.

Ich habe es durch meine journalistische Arbeit geschafft, der Buhmann jeder einzelnen politischen Periode zu sein.

Ahmet Sik, inhaftierter Journalist

Bestes Beispiel für die totale Willkür ist der bekannteste türkische Investigativ-Journalist Ahmet Sik: Er gehörte schon zu den schärfsten Kritikern der Gülen-Bewegung, als diese noch enger Verbündeter des türkischen Autokraten war. Für sein Buch „Die Armee des Imam“ über die Unterwanderung der Polizei durch Gülen wurde Sik 2011 ein Jahr weggesperrt. Nun wird ausgerechnet ihm Terrorpropaganda vorgeworfen – für die PKK und: für Gülen. Jetzt wieder vor Gericht sagte Sik, nicht er, sondern Erdogan müsse wegen Komplizenschaft mit Gülen angeklagt werden. „Ich habe es durch meine journalistische Arbeit geschafft, der Buhmann jeder einzelnen politischen Periode zu sein. Für mich ist das eine Ehrenauszeichnung“, lachte Sik die gesteuerte Justiz aus.

Der aufgeblasene Autokrat

Doch das ist längst nicht alles: Erdogan beleidigte und bedrohte Deutschland, dem ausgerechnet er wiederholt „Nazi-Methoden“ vorwarf: „Wenn ihr euch weiterhin so benehmt, wird morgen kein einziger Europäer, kein einziger Westler auch nur irgendwo auf der Welt sicher und beruhigt einen Schritt auf die Straße setzen können.“ Der aufgeblasene Autokrat verweigert dem NATO-Partner den Besuch der Bundeswehr-Soldaten auf türkischen NATO-Basen, beschimpft deutsche Abgeordnete wegen der Armenien-Resolution. Er lässt Türken in Deutschland bespitzeln, versucht die Geheimdienste zu unterwandern und hetzt die Deutsch-Türken gegen ihre neue Heimat auf.

Diesen Verrätern werden wir zuerst die Köpfe abreißen.

Recep Erdogan, über die Hintermänner des Putsches

Sein Verständnis vom Rechtsstaat machte Erdogan jetzt in einer Drohung an die Putschisten klar, denen er „die Köpfe abreißen“ will. Die Todesstrafe möchte er auch gerne wieder einführen. Die Ansicht der EU dazu ist ihm völlig egal: „Und ich persönlich achte nicht darauf, was Hans und George (Deutschland und Großbritannien; Anm. d. Red.) dazu sagen. Ich achte darauf, was Ahmet, Mehmet, Hasan, Hüseyin, Ayse, Fatma und Hatice sagen.“

Stoppt Erdogan!

Ob Erdogan überhaupt in die EU will, ist sowieso zweifelhaft. Er hat sie benutzt, um die türkische Armee als Machtfaktor auszuschalten. Jetzt braucht er sie nur noch wirtschaftlich. Deshalb ist ihm die Zollunion mit der EU auch wichtiger. Denn geht es mit der Türkei weiter wirtschaftlich bergab, könnten die Präsidentschaftswahlen 2019 unerfreulich werden.

Erdogan ist ein Diktator. Jedes Nachgeben ihm gegenüber ist unangebracht, es muss gehandelt werden: Sofortiger Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen, sofortiger Stopp jeder EU-Zahlungen, sofortiges Aus für die Zollunion, offizielle Reisewarnung an Türkei-Touristen. Klar ist damit auch: Für die Sicherheit der Seegrenze zur Türkei muss jetzt die EU sorgen. Aber so weit wird es wahrscheinlich nicht kommen. Denn ein anderer Diktator, Wladimir Putin, hat gezeigt, wie man den kleinen Mann vom Bosporus behandeln muss: Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei verhängte er so harte Sanktionen, dass Erdogan sich entschuldigen und einlenken musste.