Das St.-Gotthard-Gymnasium setzt auf einen Mix aus Innovation und Tradition. (Bild: AS)
Bildung

Raus aus der Kreidezeit

Bayerns Schulen sollen digital werden. Am St.-Gotthardt-Gymnasium im niederbayerischen Niederalteich lernen die Kinder seit einem Jahr vor allem mit Laptop und Smartphone. Nach anfänglichen Bedenken sind Schüler und Lehrer von dem Konzept überzeugt.

Kurz vor halb Neun, Mathematik-Unterricht: Die Schüler der 9b des St.-Gotthardt-Gymnasiums in Niederalteich sitzen in Gruppen vor dem Brettspiel „Mensch ärgere dich nicht“. Würfel klackern, bunte Männchen werden über die Spielfelder geschoben. Ab und zu zücken die Mädchen und Buben ihre Smartphones und machen Bilder von der Position ihrer Figuren. Sebastian steht an der großen weißen Tafel, dem sogenannten Whiteboard, und verfolgt das Spiel. Seine Aufgabe ist es, die Wahrscheinlichkeit bestimmter Züge auszurechnen. Die digitale Tafel ist mit dem Laptop von Mathelehrer Andreas Hartinger sowie dem Projektor verbunden. Eine Software dokumentiert jeden Rechenschritt von Sebastian. Seine Mitschüler übermitteln ihre Ergebnisse per Smartphone an das Programm. Mit seiner Hilfe kann Lehrer Hartinger die Erkenntnisse der Stunde für die nächste Unterrichtseinheit aufbereiten.

Respekt vor der Technik

Computer und Smartphone gehören zum Alltag der heutigen Schülergeneration wie einst Stift und Papier – nicht nur in der Freizeit. Was zu Hause längst die Regel ist, soll sich auch in den Schulen etablieren. Das bayerische Kultusministerium hat den Umgang mit digitalen Medien zum wichtigen Bildungsziel an Schulen erklärt und Medienkompetenz als fächerübergreifendes Bildungsziel definiert. Das St.-Gotthard-Gymnasium in Niederbayern ist auf diesem Weg schon sehr weit gekommen. Seit vergangenem April gibt es dort nur noch digitale statt Kreidetafeln. Dazu hat unter anderem die Hochwasserkatastrophe 2013 geführt.

Ein Viertel der Klassenräume musste nach der Flut renoviert werden. Die Sanierung war Anlass dafür, über eine neue technische Grundausstattung für die 670 Schüler nachzudenken. „Die Diskussionen waren anfangs durchaus heterogen, aber das Kollegium hat sich schließlich für die Einführung von digitalen Tafeln in allen 23 Klassenzimmern entschieden“, erinnert sich Schulleiter Johann Lummer. Zur Grundausstattung am St.-Gotthard-Gymnasium gehören außerdem Dokumentenkameras statt Overheadprojektoren und Medientheken, die das klassische Pult ersetzen. In die integrierten Elektronikeingänge stöpselt sich jeder Lehrer mit seinem eigenen Laptop ein. Fest installierte Geräte gibt es nur in den drei Physikräumen. Sie sind mit einer Software bespielt, die zusätzliche Lernprogramme zum Fach bietet.

Zweifel an der Technik

Mathematik-Lehrer Hartinger war einer derjenigen, die das Projekt vorangetrieben haben. Als Mann vom Fach ist er auch Systembetreuer. „Eine der größten Befürchtungen unter den Kollegen war es, dass man vor der Klasse steht und die Technik versagt“, sagt er. An den digitalen Medien schätzt der Niederbayer vor allem die Möglichkeit, stärkere und schwächere Schüler individuell zu fördern. Und – was sich gerade in der Mathematik auszahlt – Ergebnisse zu veranschaulichen. Trotzdem seien Dinge wie der klassische Hefteintrag unverzichtbar. „Der Lerneffekt für den Schüler ist sicherlich am größten, wenn er mit Stift auf ein Papier schreibt, aber es gibt sinnvolle digitale Angebote zur Ergänzung“, sagt er.

Drahtlos zum Lehrer

9:30 Uhr, 3. Stunde, Englisch: Zwei abenteuerlustige Bären schippern auf einem Boot durch den Yellowstone National Park.

Die Schüler der 7a blicken gebannt auf den Videotrailer und lachen über die tollpatschigen Tiere. Englischlehrerin Daniela Schmitt spielt den Film ein zweites Mal ab, diesmal ohne Ton. Sandra und Martin synchronisieren die Unterhaltung der Bären auf Englisch und ahmen die Szene nach. „Mit digitalen Medien kann man die Kinder sehr gut motivieren, aber man sollte es nicht übertreiben“, sagt Englischlehrerin Schmitt. Sie selbst müsse aufpassen, dass sie sich während der Unterrichtsvorbereitung nicht bei der Fülle an Materialien im Netz verliere.

Wir müssen die Unterrichtskultur Schritt für Schritt wachsen lassen.

Johann Lummer, Schulleiter

Mix aus Innovation und Tradition

Am St.-Gotthard-Gymnasium sind sich die Kollegen einig: der Einsatz digitaler Medien ist eine wertvolle Ergänzung – aber nur an der richtigen Stelle. Schulleiter Lummer gehe es nicht darum, das modernste Gymnasium Bayerns zu sein.

„Wir wollen eine Passung herstellen zwischen Innovation und Tradition“, sagt Lummer. Dazu zählen auch nach wie vor das klassische Pauken und der Gebrauch von Stift und Papier. Die Grundausstattung ermögliche aber jedem Lehrer, beispielsweise Videos oder interaktive Programme im Unterricht einzusetzen. Die Technik verändere auch die Interaktion zwischen Lehrer und Schüler. „An manchen Stellen sind Schüler im Umgang mit digitalen Medien kompetenter als ihre Lehrer und sie können dem Lehrer zeigen, wie etwas funktioniert. Da müssen wir die Unterrichtskultur Schritt für Schritt wachsen lassen“, sagt er.

Modellprojekt „Digitale Schule 2020“

Damit die Digitalisierung ins Rollen kommt, haben acht Schulen in Bayern einen Modellversuch gestartet, darunter alle Schultypen. Ziel des dreijährigen Projekts ist es, Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Was sich bewährt, sollen Pädagogen nach Abschluss des Projektes bayernweit etablieren (Lesen Sie hier mehr dazu: „Wat is`n Suchmaschin?“).

Für die EDV-Ausstattung an den Schulen einschließlich Wartung und Pflege der Systeme sind in der Regel Landkreise, kreisfreie Städte und Kommunen zuständig. Oft fehlt aber das Geld für ausreichende Infrastruktur. Dazu zählen neben geeigneten Schulbüchern, die das digitale Lernkonzept ergänzend begleiten, der Breitbandausbau und technische Geräte. Die Zahl der elektronischen Tafeln in Bayerns Schulen hat sich zwar vom Jahr 2013 auf aktuell rund 15.300 verdoppelt. Doch WLAN gibt es bisher nur an der Hälfte aller Schulen in Bayern. Am St.-Gotthard-Gymnasium machte ein Zuschuss des Fördervereins die rund 150.000 Euro teure Investition möglich.

Dass die Schüler ihre Smartphones im Unterricht lieber zum Chatten als zum Rechnen nutzen, kann der Niederalteicher Mathelehrer Hartinger übrigens nicht bestätigen. „Das kommt schon vor, aber nicht wenn sie dazu angehalten sind, die Geräte zur Aufgabenlösung einzusetzen“, sagt er. Und auch im digitalen Zeitalter fliegen immer noch Papierkügelchen durchs Klassenzimmer – ganz real.

Wie funktioniert die digitale Schule?

In Niederalteich lernen die Kinder mit PC und Smartphone. Was halten die Schüler davon? Der BAYERNKURIER hat den Unterricht mit der Kamera besucht und nachgefragt.

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Wie funktioniert die Digitale Schule?