Es ist eine Ohrfeige für den Bundesjustizminister. Sein „Entwurf eines Netzwerkdurchsetzungsgesetzes“ (NetzDG) ist mit der verfassungsrechtlich verankerten Meinungsfreiheit nicht vereinbar. So eindeutig beantwortet der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages eine von mir gestellte Anfrage.
Damit steht fest: Der von Heiko Maas geplante Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist nicht gerechtfertigt. Meinungsfreiheit beinhaltet die Freiheit, unsere Meinung frei von staatlichem Einfluss zu äußern und zu verbreiten, egal ob sie richtig, falsch, rational, rein emotional oder gar gefährlich ist.
Eingriff in ein Grundrecht
Die kurzen Löschfristen und ruinös hohen Bußgelder des NetzDG zwingen die Netzwerkbetreiber allein zu ihrem Selbstschutz in Zweifelsfällen auch legale Inhalte, also Meinungen zu löschen ohne echte vorherige Prüfung der Rechtswidrigkeit. Die Flut von Beiträgen ist für Netzwerkbetreiber kaum fassbar. Kritiker sprechen sogar vom Einschüchterungseffekt der Bußgeldandrohungen.
„Im Ergebnis kann eine Grundrechtsbeeinträchtigung durch die Entfernung grundrechtlich geschützter Inhalte der Nutzer nicht ausgeschlossen werden. § 3 NetzDGE stellt demzufolge einen Eingriff in die Meinungsfreiheit dar.“ Zu diesem Schluss kommt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages.
Der Erlass des NetzDG ist nicht erforderlich, weil als milderes Mittel zur Löschung- oder Sperrung von Inhalten in sozialen Netzwerken nach aktuellem Recht die Möglichkeit der Herbeiführung richterlicher Urteile existiert. Die im NetzDG vorkommenden unbestimmten Begriffe wie „Fake-News“ oder „Hate-Speech“ kennt unser Gesetz nicht.
Wer definiert „Fake News“?
„Fake News“ ist kein Rechtsbegriff. Was darunter zu verstehen ist, wird im NetzDG weder erläutert, noch definiert. Tatsächlich können bei Fake News Tatsachenbehauptungen mit Meinungsäußerungen untrennbar verknüpft sein. Solche „Mischäußerungen“ sieht das BVerfG in ihrer Gesamtheit als grundsätzlich geschützte Meinungsäußerung. Da es keine juristische Definition von Fake News gibt, lassen sich deren Wirkungen nicht nachweisen, somit auch keine destruktiven.
Angesichts der Bedeutung der Meinungsfreiheit für ein freiheitlich demokratisches Staatswesen wird der Eingriff insgesamt als unangemessen und verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt angesehen.
Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages
Bezüglich Löschgeschwindigkeit und -umfang wird im Gesetzentwurf auf ein Monitoring der NGO „jugendschutz.net“ verwiesen. Studien über die Zahl und die Entwicklung der Häufigkeit der Fälle von Hasskriminalität und anderen Fällen strafbarer Inhalte einschließlich der vom Gesetzentwurf erfassten Falschnachrichten (Fake News) werden nicht angegeben. Beispiele werden auch nicht genannt.
Private Meinungs-Zensoren
Letztendlich ist nach gründlichen Abwägungen von noch weiteren juristischen Bedenken für den Wissenschaftlichen Dienst eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs nicht gegeben! Er kommt abschließend zum folgenden Ergebnis: „Angesichts der Bedeutung der Meinungsfreiheit für ein freiheitlich demokratisches Staatswesen wird der Eingriff insgesamt als unangemessen und verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt angesehen.“
Dennoch versucht Maas, sein Gesetz noch in dieser Legislaturperiode durchzupeitschen. Seit Monaten bereitet er die freiheitsliebende Bevölkerung mit zwei Anglizismen, nämlich Hate Speech und Fake News auf diese Gesetzesänderung vor. „Hate Speech“ ist als „Hassrede“ zweifelsfrei unschön. Und die gute alte „Zeitungsente“ sollte als „Fake News“ zu etwas Bedrohlichem werden. Beide müssten aus den Sozialen Medien verschwinden. Maas rief eine Taskforce ins Leben, die gegen Hate Speech im Netz vorgehen soll und es bereits fleißig tut, und begrüßte schließlich die Zusammenarbeit von Facebook mit Correktiv, das als Journalistenteam die Aufgabe übernahm, Fake News zu erkennen und zu kennzeichnen. Das Ergebnis der Bemühungen war für Maas nicht befriedigend, denn geschwindelt, beschimpft und gehasst wird in den sozialen Medien trotzdem noch.
Koalition gegen Maas
Nun liegt der Entwurf des NetzDG, der bereits in erster Lesung vom Bundestag behandelt wurde, in den Ausschüssen des Bundestages und wird heftig diskutiert. Große Wirtschaftsverbände haben sich mit Bürgerrechtsorganisationen solidarisiert, Politiker der CDU/CSU und SPD mit Richtern, Juristen und Anwälten, Blogger aus den sozialen Netzwerken mit prominenten Journalisten und Verlegern. In einer gemeinsamen „Deklaration für die Meinungsfreiheit“ warnen sie vor den „katastrophalen Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit“. Und das zu Recht.
Allein die angeordnete Kontrolle der Beiträge ist eine absurde Überwachung der User und wird die beliebten kritischen Diskussionen über Politik in den Foren abwürgen. Die Digitalisierung hat uns eine noch nie dagewesene und einzigartige Möglichkeit beschert, unser Grundrecht der Meinungsfreiheit zu leben, nämlich unsere Meinung nicht nur frei zu äußern, sondern sie auch noch großflächig ungefiltert zu verbreiten. Es ist für manche Ideologen schwer erträglich, so die Kontrolle über den „Mainstream“ zu verlieren. Kein Wunder, dass sie nach staatlichen Eingriffen rufen.
Kritik von der UNO
Die willkürliche Festlegung der Gültigkeitsgrenze des NetzDG für Soziale Netzwerke mit über zwei Millionen Nutzern nährt zudem den Verdacht, dass es dem Justizminister nur scheinbar um den Schutz des Bürgers vor Beleidigungen und Ähnlichem geht, denn das Übel wird auch unter der Zwei-Millionen-Grenze für den Beleidigten nicht geringer. Tatsächlich geht es wohl um die Einführung einer geMaasregelten Ordnung im scheinbar unkontrollierbaren Terrain der Sozialen Netzwerke, wenigstens noch für die letzten zwei Monate vor der Bundestagswahl.
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz hat auch international massive Kritik auf sich gezogen. Der UN-Sonderbeauftragte für Meinungsfreiheit, David Kaye, forderte die Bundesregierung auf, innerhalb von 60 Tagen zu einer ganzen Reihe von Punkten Stellung zu nehmen. Die Vereinten Nationen haben Bedenken, dass das Gesetz nicht mit dem auch von Deutschland ratifizierten Pakt über bürgerliche und politische Rechte vereinbar sei. Ohne juristische Kontrolle ist die Abgabe der Verantwortung für die Löschung von Inhalten Dritter an private Firmen nicht mit den internationalen Menschenrechtsbestimmungen vereinbar. Kritisch sieht Kaye auch die Aushöhlung der Anonymität der Nutzer. So wird bei der Herausgabe von IP-Adressen zumindest die Schranke der Richteranordnung vermisst.
Am kommenden Montag wird eine öffentliche Anhörung bezüglich des NetzDG im Bundestag stattfinden. Hoffen wir, dass die Spielregeln der Meinungsfreiheit in einer Demokratie klar herausgearbeitet werden. Hoffen wir, dass der Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Iris Eberl ist CSU-Bundestagsabgeordnete aus Aichach.