Luftbetankung durch einen Airbus A 310 MRTT der Bundeswehr. Die Truppe muss aus Incirlik abziehen. (Foto: Imago/Star-Media)
Bundeswehr

Teilabzug aus der Türkei

Das Erdogan-Regime zwingt Deutschland zum Abzug der Bundeswehr aus Incirlik, das Bundeskabinett hat die Verlegung der Truppe nach Jordanien beschlossen. Die Türkei setze „das falsche Signal im Nato-Bündnis“, kritisiert CSU-Generalsekretär Scheuer.

Die Bundesregierung hat den Weg für den Abzug der Bundeswehr aus dem türkischen Incirlik freigemacht. Das Kabinett billigte ohne Diskussion den Plan von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die rund 260 dort stationierten Soldaten mit ihren „Tornado“-Aufklärungsjets und einem Tankflugzeug nach Jordanien zu verlegen. Eine breite Zustimmung des Bundestags gilt als sicher: CDU, SPD und Grüne sind dafür.

Die Schuld für den Abzug sieht CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer eindeutig beim Verhalten der türkischen Regierung und des Präsidenten Erdogan: „Die Türkei setzt mit dem Verhalten gegenüber unserer deutschen Bundeswehr im Ausland das falsche Signal im Nato-Bündnis. Wir gemeinsam müssen gegen den internationalen Terrorismus kämpfen und deshalb war die Bundeswehr auch in Incirlik stationiert.“ Den Abzug unterstützt Scheuer: „Jetzt ist die Entscheidung klar und auch überfällig, denn wir hätten uns mehr von der Türkei erwartet. Mehr Treue und mehr Freundschaft im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.“

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte die türkische Seite bei einem letzten Vermittlungsversuch in Ankara nicht überzeugen können, Bundestagsabgeordneten doch noch generell einen Besuch der 260 Bundeswehrsoldaten in Incirlik zu ermöglichen. Von dem türkischen Stützpunkt aus starten dort deutsche Militärflugzeuge seit Januar 2016 zu Aufklärungsflügen und Luftbetankungen im Kampf gegen die Terrormiliz IS.

Verhaftungen und Menschenrechte sind Hauptprobleme

„Eigentlich ist Incirlik das kleinere der Probleme“, sagte Gabriel und zählte mehrere Punkte wie Erdogans Nazi-Vergleiche für Deutschland sowie die Armenien-Resolution des Bundestages auf. „Die Megafon-Politik muss ein Ende finden“, betonte der Minister. Gravierender seien die Fragen der in der Türkei inhaftierten Deutschen sowie insgesamt die desolate Menschenrechtslage dort. „Und ich habe den Eindruck, dass es noch sehr vieler Gespräche bedarf, damit wir dort wieder zu einem besseren Verhältnis kommen.“

Ausdrücklich erwähnte er den Journalisten Deniz Yücel und die Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu Corlu, die mit ihrem zweijährigen Kind inhaftiert ist, ebenso ihr Mann. Corlu besitzt nur den deutschen Pass, dennoch wurde ihr vier Wochen lang konsularische Betreuung verweigert – ein klarer Verstoß der Türken gegen Völkerrecht, der erst in diesen Tagen beendet wurde. Die Bundesregierung verlange nun, „dass es Bewegung geben muss“, so Gabriel. Er verwies auf ein anstehendes Urteil des Europäischen Menschrechtsgerichtshofes. Insgesamt sitzen sechs deutsche oder deutsch-türkische Staatsbürger in der Türkei in Haft. Und der deutsche Außenminister bringt das Thema Wirtschaftsfragen auf den Tisch, ein versteckter Hinweis darauf, dass die Türkei stark auf Deutschland angewiesen ist. Die Türkei habe ein Interesse daran, die wirtschaftlichen Beziehungen auszubauen, so Gabriel. „Das geht nur, wenn wir andere Dinge vorher geklärt haben.“

Wir können nicht einfach Leute an die Türkei ausliefern, die bei uns Asyl beantragt haben.

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel

Die Bundesregierung bemühe sich um Einigung auch bei den anderen Themen, sagte Gabriel. „Wir akzeptieren auch, dass die Türkei sagt, dass wir die PKK – eine ja auch in Deutschland verbotene Organisation – besser beobachten und ihre Finanzströme trockenlegen sollen.“ Kein Entgegenkommen gebe es aber beim Wunsch Ankaras nach Auslieferung türkischer Soldaten, die am Putsch vom vergangenen Juli beteiligt gewesen sein sollen. „Wir können nicht einfach Leute an die Türkei ausliefern, die bei uns Asyl beantragt haben“, sagte Gabriel. Insgesamt haben bis Anfang Mai 414 türkische Soldaten, Diplomaten, Richter und Regierungsmitarbeiter Asylanträge in Deutschland gestellt. „Wir wünschen uns nicht, dass Angehörige von Fethullah Gülen in Deutschland geduldet werden“, so der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Die Gülen-Sekte war einst eng mit Erdogan verbündet bei der Unterwanderung der türkischen Justiz, Armee und Polizei. Nun wird sie aber für den angeblichen Putsch 2016 gegen Erdogan verantwortlich gemacht.

Anti-IS-Kampf künftig von Jordanien aus

Keine Probleme sieht Gabriel beim zweiten türkischen Standort mit Bundeswehrsoldaten in Konya. Dabei handele es sich um einen Nato-Stützpunkt, weshalb dort nach Ansicht der Türkei andere Regeln gelten würden. Für einen baldigen Abzug der 260 Soldaten aus Incirlik sprachen sich sowohl die verteidigungspolitischen Sprecher von CDU und SPD aus, Henning Otte und Rainer Arnold, aber auch der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter.

Die Sperenzchen Erdogans schaden dem gemeinsamen Wirken von Nato-Partnern, nicht zuletzt im Kampf gegen die Terrormiliz IS.

Florian Hahn, verteidigungspolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag

Mit seiner Sturheit und seinem Trotz untergrabe das Erdogan-Regime auch die Solidarität in der Nato, so der allgemeine Tenor in Berlin. „Zum wiederholten Mal wurde Abgeordneten ein Besuch der Soldaten in Incirlik verwehrt, das ist indiskutabel“, hatte der CSU-Verteidigungsexperte Florian Hahn bereits Mitte Mai erklärt, als das Erdogan-Regime erneut einen Parlamentarier-Besuch untersagt hatte. „Ein Zugang des Parlaments zur Truppe muss durchgehend möglich sein. Diese Sperenzchen Erdogans schaden dem gemeinsamen Wirken von Nato-Partnern, nicht zuletzt im Kampf gegen die Terrormiliz IS.“ Die Nato müsse daher grundsätzlich klären, wie eine reibungslose Zusammenarbeit mit der Türkei in Zukunft wieder gewährleistet werden kann, forderte Hahn mehr internationalen Druck auf Ankara.

Tornado-Einsatz zwei Monate unterbrochen

Künftig soll sich die Bundeswehr mit ihren Tornado-Aufklärungsflugzeugen und einem Tankflugzeug vom jordanischen Flughafen Al-Azrak aus am Kampf gegen den IS beteiligen, so der Plan der Bundesregierung. „Wir sind auf eine Verlegung vorbereitet“, erklärte Verteidigungsministerin von der Leyen. Durch den bevorstehenden Umzug der Soldaten würden die Flugeinsätze zeitweise unterbrochen.

Die Bundeswehr war seit Januar 2016 in Incirlik aktiv, um den Nato-Bündnispartner Türkei vor Luftangriffen aus Syrien zu schützen und um den Kampf der internationalen Anti-Terror-Koalition gegen die Terrormiliz IS zu unterstützen. Nach Angaben der Bundeswehr hat die Truppe seither in 400 Flügen mit insgesamt 2000 Einsatzflugstunden mehr als 2000 Luftbetankungen von alliierten Flugzeugen durchgeführt. Die Tornados führten mehr als 900 Aufklärungsflüge aus, bei denen die Erkenntnisse schon vor der Landung weitergereicht wurden.

Türkei reagiert trotzig

Wegen des Umzugs muss der Tornado-Einsatz voraussichtlich etwa zwei Monate unterbrochen werden. Das Tankflugzeug muss wahrscheinlich nur eine Pause von zwei bis drei Wochen einlegen. Von der Leyen erhielt vom Kabinett den Auftrag, mit den Nato-Partnern zu klären, wann der Abzug genau beginnen soll und wer in der Übergangszeit einspringen kann.

Unterdessen reagierte der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim trotzig auf den bevorstehenden Abzug deutscher Soldaten von der Luftwaffenbasis Incirlik. „Es gibt keine Entscheidung, die von unserer Seite aus getroffen wurde. Sollen sie machen, wie sie wollen“, sagte Yildirim in Ankara.