Hat fast nur rote Laternen gesammelt: Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen und stellvertretende SPD-Vorsitzende. (Bild: Imago/Sven Simon)
SPD-Sinkflug

Kammerflimmern

Kommentar Das Abstiegsgespenst geht um bei den Genossen: Was passiert, wenn die SPD ihre „Herzkammer“ an Rhein und Ruhr verliert – oder schwächer abschneidet als die CDU? Die neuesten Umfragen zeigen: Die Bürger dort haben genug vom rot-grünen Versagen.

Ausgerechnet das kleine Saarland brachte die Wende: Die dortige Wahl am 26. März deckte schonungslos auf, dass der Schulz-Hype vom Januar nur ein innerparteiliches SPD-Phänomen sowie eine medial überhöhte One-Man-Show war, die einige Wochen hielt. So wie es im Fußball heißt: „Die Wahrheit ist auf dem Platz“, gilt in der Demokratie immer noch: „Die Wahrheit ist in der Wahlurne.“ Daran können Jubelorgien der Genossen und 100-Prozent-Ergebnisse auf Parteitagen ebenso wenig ändern wie aufgeregte Moderatorinnen und Interviewer, die den Schulz-Rausch geradezu persönlich ins Wohnzimmer der Zuschauer zu transportieren versuchen.

Doch den bodenständigen Menschen im Saarland war das alles Wurst: Die Aussicht auf Rot-Rot-Grün – die SPD wäre an der Saar sogar mit dem parteieigenen Gottseibeiuns und SPD-Spalter Oskar Lafontaine ins Koalitionsbett gestiegen – schreckte sie dermaßen ab, dass sie konsequenterweise die beliebte CDU-Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer stärkten und die SPD erneut als Juniorpartner der Christdemokraten in die Regierung zwangen. Minus 1,0 Prozentpunkte für die SPD, aber plus 5,5 Prozentpunkte für die CDU, das war ein deutliches Stoppsignal für alle Schulz-Euphoriker. Die Saarländer wollten sich die Erfolge ihres Landes bei Haushaltssanierung und Neuaufstellung der Wirtschaft nicht von Linksideologen kaputtmachen lassen.

SPD-Tricks verfangen nicht mehr

Die SPD-Parteiführung in Berlin versuchte lange, diesen Sieg an der Saar rhetorisch von Kanzlerin Merkel fernzuhalten und allein auf die Popularität der Ministerpräsidentin zurückzuführen. Doch die nächste Watschn kam an der Küste: In Schleswig-Holstein verlor die regierende SPD noch mehr als an der Saar, nämlich 3,2 Punkte, die CDU gewann 1,2 Punkte hinzu – und diese Niederlage ist sogar historisch. Denn erstmals seit 2005 hat die CDU es damit mutmaßlich geschafft, einen amtierenden SPD-Ministerpräsidenten aus dem Amt zu jagen. Die Signalwirkung seinerzeit war verheerend: Es handelte sich um einen gewissen Peer Steinbrück in NRW, der sein Amt an Jürgen Rüttgers verlor. Die Folgen für den Bund sind bekannt: SPD-Kanzler Schröder erzwang Neuwahlen, seitdem ist Angela Merkel im Kanzleramt.

Die zwei jüngsten Umfragen in NRW vom Donnerstag verheißen einen Erdrutsch: Die CDU führt hier jeweils mit einem Prozentpunkt vor der SPD (32 zu 31 Prozent bei Forschungsgruppe Wahlen/ZDF; 31 zu 30 Prozent bei INSA/Bild). Auch wenn Umfragen durch die vielen unentschlossenen Wähler fehlerhaft sein können, fällt bei der ZDF-Erhebung auf: Hier kommt die FDP mit dem brillanten Redner Christian Lindner auf volle 13,5 Prozent, damit wäre Schwarz-Gelb mit 45,5 Prozent erstmals vor Rot-Rot-Grün mit 43,5 Prozent. Eine Regierungsbildung ohne die SPD könnte dennoch schwierig werden, denn wegen der AfD steuert NRW auf einen Sechsparteien-Landtag zu. Die 6,5 Prozent für die AfD (laut ZDF) wirken praktisch wie eine Sperrminorität. Wer also einen kompletten Regierungswechsel will, ist gut beraten, nicht AfD zu wählen.

Wenn die „Herzkammer“ flimmert…

Denn um es ganz deutlich zu sagen: Kaum eine Landesregierung hatte es jemals mehr verdient gehabt, abgewählt zu werden, wie die rot-grüne in Düsseldorf. Die miserable Lage in Wirtschaft, Infrastruktur, Finanzen, Bildung und Sicherheit ist ihr ureigener „Verdienst“. Dass „Schuldenkönigin“ Hannelore Kraft nach sieben Jahren Regierungszeit und bis auf fünf Jahre ununterbrochener SPD-Herrschaft seit 1967 in NRW die Schuld bei angeblichen „Altlasten“ der Vorgängerregierung abladen wollte, ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten.

Ähnlich stark wie 2005 könnte auch diesmal die Signalwirkung sein, die von der „Herzkammer der SPD“ in Nordrhein-Westfalen ausgeht, dem vielzitierten „sozialdemokratischen Stammland“: Falls die SPD die Staatskanzlei in Düsseldorf tatsächlich an die CDU verliert, oder wenn die Genossen auch „nur“ hinter der CDU landen, könnte die Flutwelle, die von Rhein und Ruhr an die Spree schwappt, auch die Bundestagswahlkampagne der SPD wegschwemmen.

Stimmungsumschwung in Umfragen erkennbar

Die jüngsten Bundestagswahl-Umfragen nehmen das bereits vorweg – man beachte die Tendenz: 9. Mai (INSA/Bild): 35 Prozent CDU/CSU, 27 Prozent SPD. 10. Mai (Forsa/RTL): 36 Prozent CDU/CSU, 29 Prozent SPD. Und 11. Mai (Infratest dimap/ARD): 37 Prozent CDU/CSU, 27 Prozent SPD. Also wieder zehn Punkte Abstand, so wie unter SPD-Chef Gabriel. Zwar reicht es noch nicht zu Schwarz-Gelb im Bund, aber es sind ja noch vier Monate bis zur Wahl. Immerhin liegen bei der allerjüngsten Umfrage von dimap CDU/CSU plus FDP mit 45 Prozent vor Rot-Rot-Grün mit 42 Prozent. Allein die AfD würde auch hier eine schwarz-gelbe Regierung verhindern, falls die Wahl genau so ausginge.

Bleibt eine Frage, nachdem sogar Hannelore Kraft eingesehen hat, dass Rot-Rot-Grün im Westen ein Wählerschreck ist, und eine Koalition mit der Linkspartei nun nach langem Zögern auch ausdrücklich ausgeschlossen hat: Warum beharrt Schulz weiter auf der rot-rot-grünen Option? Weil die gesamtsozialistische Wiedervereinigung von Anfang an seine einzige Machtperspektive war. Niemand hatte je ernsthaft eine große Koalition unter Führung der SPD erwartet. Daher auch die massive Gerechtigkeits-Rhetorik zu Beginn seiner Kandidatur: Dies erwärmt die Herzen aller Genossen – von Sozialdemokraten, Sozialisten, Grünen und Kommunisten gleichermaßen. Aber es wird wohl nicht reichen, um das Kanzleramt zu erobern. Denn die Bevölkerung hat Schulz durchschaut: als inhaltsleeren ichbezogenen Dampfplauderer.