Kämpferischer Blick: Der designierte Ministerpräsident Daniel Günther und Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU) im Wahlkampf in Schleswig-Holstein. (Foto: Imago/Agentur 54 Grad)
Landtagswahl

Der Kater nach dem Rausch

Kommentar Die CDU freut sich über den „Merkel-Effekt“, Schulz ist ein Klotz am Bein der SPD. Die Bekanntheit eines Kandidaten wird überschätzt. FDP und Grüne flirten heftig miteinander, die Grünen müssen sich Richtung „Jamaika“ bewegen. Eine Wahlanalyse.

„Albigs Privatleben“ sei der Grund für die schwere Niederlage der SPD im nördlichsten Bundesland gewesen, streut die SPD-Führung in Berlin. Geradezu krampfhaft wollen die Genossen die Verantwortung von Parteichef und Kanzlerkandidat Martin Schulz fernhalten. Doch genau der trägt auch seinen Teil der Schuld an der Niederlage – ausweislich der Nachwahlbefragungen an der Küste.

„Von Martin Schulz habe ich in letzter Zeit gar nichts mehr gehört“, sagten 63 Prozent der Schleswig-Holsteiner zu Infratest-dimap (ARD), während 72 Prozent sagten: „Angela Merkel sorgt dafür, dass es uns in einer unruhigen Welt gut geht.“ Gleichzeitig ermittelte die Forschungsgruppe Wahlen fürs ZDF einen Beliebtheitswert von Schulz von 1,1, während der von Merkel auf 2,1 stieg. Die lokalen Spitzenkandidaten Albig und Günther lagen mit 1,6 und 1,7 praktisch gleichauf. Das zeigt: Es handelt sich auch um eine Niederlage für Schulz und einen Sieg für Merkel – egal, welche Parolen die Bundes-SPD nun ausgibt. Von einem Schulz-Effekt sei nichts mehr zu spüren, so die Demoskopen. Statt dessen sprechen sie jetzt vom „Merkel-Effekt“.

Beschädigter Schulz, triumphierende Merkel

Die Online-Redaktion der ARD-Tagesschau schreibt in ihrer Analyse: „Schulz kassiert das 0:2“ – also die zweite Niederlage des ehemaligen Hoffnungsträgers nach der Pleite an der Saar. „Seine SPD ist vom Weg abgekommen, es läuft nicht“, so die Kommentatorin. „Innerparteilicher Rausch reicht eben nicht, um Wähler zu überzeugen.“ Und der Spiegel meint: „Ausgeschulzt“. So ein Debakel – die Abwahl eines ihrer amtierenden Ministerpräsidenten – erlebte die SPD zuletzt 2005, das war Peer Steinbrück in NRW. Wenige Monate darauf gewann die CDU auch die Bundestagswahl, Merkel wurde Kanzlerin.

Das Debakel von Saarbrücken im März dieses Jahres konnte die SPD-Spitze noch einseitig auf die Beliebtheit der dortigen CDU-Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer schieben. In Kiel nun konnte von einem Amtsbonus nicht die Rede sein, denn die SPD verlor 3,2 Prozentpunkte, nachdem sie vor fünf Jahren gleichauf mit der Union gelegen war. Klar wird das SPD-Desaster beim Blick auf die Wählerwanderung: Die SPD verlor 24.000 Stimmen an die CDU und weitere 15.000 an die FDP. Zusätzlich konnte die CDU 51.000 ehemalige Nichtwähler mobilisieren, die FDP immer noch 16.000. Davon kündet die deutlich höhere Wahlbeteiligung von 64,2 statt 60 Prozent.

Viel wurde in Schleswig-Holstein geredet von einem unglücklichen Interview in der Bunten, das Ministerpräsident Albig kurz vor der Wahl gegeben hatte – ausgerechnet er, der unter den drei SPD-Bundesfinanzministern Lafontaine, Eichel und Steinbrück viele Jahre Ministeriumssprecher war und wirklich als Medienprofi gelten darf. Seine Frau sei mit Kindern und Haushalt zuhause „gefangen“ gewesen, während er dauernd unterwegs gewesen sei, sagte Albig in der Bunten. Und weiter: Sein Leben habe sich „schneller entwickelt“ als ihres und man habe sich kaum noch auf Augenhöhe ausgetauscht. Vor allem viele weibliche Wähler wird diese Äußerung abgeschreckt haben, doch war dieses Interview wohl nicht allein wahlentscheidend.

Jugendlicher Kandidat überzeugte die Frauen

Der sehr jugendlich wirkende CDU-Spitzenkandidat Daniel Günther hingegen verstand es, buchstäblich von Null auf Eins zu springen. Erst seit einem halben Jahr ist er CDU-Spitzenkandidat, noch vor einigen Wochen kannten ihn nur 30 bis 40 Prozent der Schleswig-Holsteiner – und nun ist er auf bestem Wege, Ministerpräsident zu werden. Das zeigt, dass der Bekanntheitsgrad eines Kandidaten zu Beginn einer Kampagne gern überschätzt wird. Fernsehdiskussionen und Plakate sorgen während des Wahlkampfs immer dafür, dass ein Kandidat bekannt wird – und dann ist eben wichtig, wie er „rüberkommt“. In der TV-Diskussion im NDR jedenfalls schlug sich Günther hervorragend und schlagfertig gegen den träge und moralinsauer wirkenden Albig.

Mehr noch: Mit dem jugendlich-frischen Günther schaffte es die CDU, ihr sonst übliches Defizit bei weiblichen Wählern auszugleichen: Seine Zustimmung bei Frauen (33 Prozent) ist laut Forschungsgruppe Wahlen sogar geringfügig höher als bei Männern (32). Allerdings hat auch die CDU noch große offene Baustellen: Mit 41 Prozent liegt ihre eindeutig stärkste Wählergruppe im Altersbereich über 60 Jahren, wogegen sie bei unter 30-Jährigen nur 22 Prozent erzielt. Bei den jungen Wählern hat die CDU also noch viel Luft nach oben. Im „aktiven“ Altersbereich zwischen 30 und 59 Jahren kommen die Christdemokraten auf mittelmäßige 30 Prozent.

CDU-Themen schlugen durch

Zudem verstand es die CDU geschickt, ihre Themen Verkehr (vor allem marode Straßen und schleppende Autobahn-Planung als Versäumnis der Landesverwaltung), Bildung (komplette Rückkehr zum G9) und Wirtschaft/Arbeitsplätze zu kommunizieren. So nennen von allen befragten Schleswig-Holsteinern die Themen Schule/Bildung (33 Prozent) und Verkehr (30) als wichtigste Probleme – und die höchste Kompetenz bei diesen Themen liegt eindeutig bei der CDU und nicht bei der SPD: (35 zu 25 respektive 37 zu 17 Prozent). Der klaren Forderung der CDU, flächendeckend zum neunjährigen Gymnasium zurückzukehren, schließen sich 76 Prozent der Bürger an.

Auch bei dem im strukturschwachen Küstenland Schleswig-Holstein immer sehr bedeutenden Thema Arbeitsplätze hat die CDU mit 38 Prozent die höchste Kompetenz, die SPD nur 28. Sogar im blumig-phantasievollen Bereich „Zukunft“ führt die CDU mit 33 zu 28 Prozent. Das einzige Thema, das die Leute eindeutig mit der SPD verbinden – „Soziale Gerechtigkeit“ – kommt in der Liste der fünf wichtigsten Probleme gar nicht vor  (Forschungsgruppe Wahlen/ZDF).

FDP und Grüne flirten schon am Wahlabend heftig

Auffällig stark, nämlich deutlich zweistellig, sind in Schleswig-Holstein FDP und Grüne, das liegt an deren Spitzenpersonal. Viele Wähler halten die schleswig-holsteinische FDP für eine „One-Man-Show“ des überaus spitzzüngigen und mediengewandten Wolfgang Kubicki. Die Grünen wiederum haben mit dem bundesweit bekannten Umweltminister Robert Habeck ein echtes Glaubwürdigkeits-Pfund: Er wirkt in Interviews nachdenklich und sagt auch Dinge, die gegen die grüne Parteilinie gehen. Kubicki und Habeck führten vor den ARD-Kameras bereits kurz nach Schließung der Wahllokale einen regelrechten politischen Flirt auf und betonten ihre enge Freundschaft sowie ihre politischen Gemeinsamkeiten.

Kubicki bezeichnete es allerdings bereits am Wahlabend als „grotesk“, wollte die SPD nach dieser „krachenden“ Niederlage nun mit einer Ampel-Koalition weitermachen, allerdings nun statt der angeblichen Dänenpartei SSW eben mit der FDP als Mehrheitsbeschaffer. Mittlerweile schloss die FDP auch formal eine Ampel-Koalition aus. Ein Bündnis mit der SPD wäre der FDP in der Glaubwürdigkeit der Wähler auch bundesweit ganz gewiss schlecht bekommen. Also ist es nun an den Grünen, sich zu bewegen, denn die Wähler haben ja klargemacht, dass sie keine SPD-geführte Regierung mehr wollen.

Eine „Jamaika“-Koalition aus CDU, Grünen und FDP, zu der auch CDU-Spitzenkandidat Günther bereit ist, wäre gewiss ein interessantes Signal auch für andere Länder. Bisher hat nur das Saarland mit dem früheren CDU-Ministerpräsidenten Peter Müller praktische Erfahrung mit einem solchen Bündnis auf Landesebene: Es lief mehr schlecht als recht, allerdings vor allem wegen provinziell-persönlicher Kleinigkeiten zwischen FDP und Grünen. Jedenfalls ist wird es eine interessante Herausforderung für die CDU, gerade den maroden Straßenbau mit einem grünen Koalitionspartner forcieren zu wollen – oder auch den ungebremsten Ausbau der Windkraft einzuhegen. Schleswig-Holstein und die gesamte Nordseeküste mit den vielen Windrädern wirkt auf Besucher ja schon heute wie ein einziger Vogelschredder.

AfD-Sitze verhindern stabiles Schwarz-Gelb

Die AfD ist in ihren mittlerweile zwölften Landtag eingezogen. Allerdings gehen ihre Ergebnisse von Wahl zu Wahl zurück. In Schleswig-Holstein erreichte die rechtspopulistische Protestpartei nur noch 5,9 Prozent. Das liegt wohl teilweise an der spürbaren Verschärfung der Asyl- und Sicherheitsgesetze durch die Bundesregierung und dem Abebben der Flüchtlingswelle. Auch könnte sich bei den Protestlern die Erkenntnis durchgesetzt haben, dass oft „links außen“ regiert wird, wer „rechts außen“ wählt: Denn jede Proteststimme schwächt nun einmal vor allem die bürgerlich-konservativen Kräfte.

Die Berliner Bürgerschaftswahl mit der folgenden rot-rot-grünen Regierung ist ein schlagendes Beispiel dafür. Darauf wies CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer in der „Berliner Runde“ des ZDF hin. Auch in Schleswig-Holstein ist die AfD eher schädlich für eine vernünftige Politik, betonte er, denn die Stimmen für die AfD verhinderten an der Küste möglicherweise eine stabile CDU-FDP-Regierung. In der Tat: Laut amtlichem Endergebnis kommen CDU und FDP zusammen auf 34 Sitze, damit fehlen drei Sitze zur Mehrheit. Die AfD hat fünf Sitze. Deshalb muss mit den Grünen ein unsicherer Kantonist mit ins Boot – Richtung „Jamaika“.