AKP in Deutschland: Großkundgebung von 20.000 Erdogan-Anhängern in Köln im Juli 2016. (Foto: Imago/C. Hardt/Future Image)
Türkei

Erdogan ante portas

In Deutschland wächst der Widerstand gegen einen möglichen Wahlkampfauftritt des türkischen Autokraten Recep Erdogan. Kritik gibt es an den zahlreichen türkischstämmigen Erdogan-Jublern hierzulande sowie am umfassenden türkischen Spitzelsystem – sogar in deutschen Schulen. Islamisten werden im Hamburger Ditib-Umfeld enttarnt.

Die Bild-Zeitung hatte unter Berufung auf einen Diplomaten aus Ankara berichtet, Erdogan wolle im März nach Nordrhein-Westfalen kommen, um vor dem Referendum in der Türkei für das von ihm angestrebte Präsidialsystem zu werben. Die Türken entscheiden am 16. April in einem Referendum über das Präsidialsystem, das Erdogan deutlich mehr Macht verleihen und das Parlament weitgehend entmachten würde. Abstimmen dürfen auch die rund 1,4 Millionen Türken, die in Deutschland leben. Ministerpräsident Binali Yildirim war am vergangenen Samstag vor 10.000 Menschen in Oberhausen aufgetreten, um für die Reform zu werben. „Unser Staatspräsident beabsichtigt ebenfalls, zu den türkischen Bürgern in Europa zu sprechen“, erklärte Yildirim später bei der Sicherheitskonferenz in München. In welcher Stadt sei noch nicht klar. „Aber es laufen Vorbereitungen.“

Wer, wie in Oberhausen geschehen, diese Partei öffentlich abfeiert, schürt massive Zweifel daran, ob er noch auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht, und muss sich die Frage gefallen lassen, ob er mit dem liberalen Deutschland seinen Lebensmittelpunkt richtig gewählt hat.

Kai Wegner, CDU, zu den AKP-Anhängern in Deutschland

Erdogan absolvierte bereits 2008 und 2014 höchst umstrittene Wahlkampfauftritte vor Tausenden Anhängern in Köln. 2010 rief er gar bei einer Kundgebung in Köln aus: „Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschheit.“ Ob der türkische Präsident in den kommenden Wochen tatsächlich wieder nach Nordrhein-Westfalen kommt, ist weiter unklar. In den großen Arenen in Oberhausen und Gelsenkirchen gibt es bislang offenbar keine Buchungsanfragen. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte in Berlin, ein „konkreter Wunsch Erdogans“ sei der Regierung nicht bekannt. Auch der Sprecher der türkischen Botschaft in Berlin, Refik Sogukoglu, erklärte: „Die Botschaft hat offiziell vom Präsidialamt keine Informationen bekommen.“

Widerstand gegen den türkischen Diktator

„Ein Wahlkampfauftritt Erdogans in Deutschland ist unerwünscht“, schrieb der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt im Weser-Kurier. „Jeden Versuch, den türkischen Konflikt nach Deutschland zu tragen, müssen wir konsequent unterbinden.“ Der Großstadtbeauftragte der Unionsfraktion im Bundestag, Kai Wegner (CDU), forderte in der Welt von in Deutschland lebenden Türken ein klares Bekenntnis zu den hier geltenden Werten. „Die Erdogan-AKP ist eine Partei, welche Journalisten und Oppositionelle einsperrt, das Volk bespitzelt, die Demokratie schleift und obendrein die Todesstrafe einführen möchte.“ Zivilisatorische Mindeststandards würden grob verletzt. „Wer, wie in Oberhausen geschehen, diese Partei öffentlich abfeiert, schürt massive Zweifel daran, ob er noch auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht, und muss sich die Frage gefallen lassen, ob er mit dem liberalen Deutschland seinen Lebensmittelpunkt richtig gewählt hat.“ Denn in Oberhausen hatten die Zehntausend nach der Wiedereinführung der Todesstrafe gerufen.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) verknüpfte einen möglichen Auftritt Erdogans mit dem Fall des derzeit in polizeilichem Gewahrsam in der Türkei befindlichen Welt-Korrespondenten Deniz Yücel. „Wer bei uns die Meinungsfreiheit in Anspruch nimmt, muss auch selbst Rechtsstaat und Pressefreiheit gewährleisten“, sagte Maas der Zeitung taz. Was das Verfassungsreferendum angeht, so hat sich die türkische Seite bereits an das Auswärtige Amt gewandt mit der Bitte, die Abstimmung für die Auslandstürken auch in Deutschland abhalten zu dürfen.

Da sitzt ein deutscher Staatsbürger, ein Journalist, in einem Nato-Land in Haft – und vom Außenminister hört man nichts oder zu wenig.

Cem Özdemir, in Richtung Sigmar Gabriel

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir forderte von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel mehr Einsatz für den deutsch-türkischen Journalisten. „Da sitzt ein deutscher Staatsbürger, ein Journalist, in einem Nato-Land in Haft – und vom Außenminister hört man nichts oder zu wenig.“ Die Bundesregierung müsse Erdogan „deutlich machen, dass er vor dem Referendum hier nicht erwünscht ist“, sagte Özdemir. Auch die nordrhein-westfälische Landesregierung will keinen Auftritt Erdogans.

Ankaras Spitzel sogar in deutschen Schulen

Belastet wird das deutsch-türkische Verhältnis derzeit auch durch neue Spitzelvorwürfe an die Adresse Ankaras. So sollen laut dem TV-Magazin Report München einerseits deutlich mehr nach Deutschland entsandte Imame als Spitzel gegen die Gülen-Bewegung eingesetzt worden sein als bisher bekannt. „Jeder Zehnte“ der 900 Ditib-Imame sei betroffen.

Nach Erkenntnissen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sollen andererseits türkische Konsulate in Nordrhein-Westfalen türkischstämmige Lehrer und Eltern angestiftet haben, kritische Lehrer zu melden, berichten die Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Demnach habe es Ende Januar entsprechende Infoveranstaltungen in den Konsulaten in Düsseldorf, Essen, Köln und Münster gegeben. „Schüler sollen sogar ihre Lehrer filmen und die Aufnahmen an türkische Behörden weiterleiten“, so der GEW-Landesvize Sebastian Krebs. In Düsseldorf sollen sich dabei Lehrer der Spionage demonstrativ verweigert haben. Der Gewerkschaft liegen zudem sogenannte „Jahrespläne für das Unterrichtsfach Türkisch und türkische Kultur“ vor, die offenbar von den Konsulaten an Lehrer in Deutschland verteilt werden. „Diese Lehrpläne sind stark nationalistisch gefärbt“, kritisierte Krebs. Justiz und Sicherheitsbehörden sind laut dem NRW-Schulministerium bereits informiert. Die Konsulate wurde zur Stellungnahme aufgefordert. Sie widersprechen den Spitzel-Vorwürfen. „Wir organisieren regelmäßig Treffen für türkische Eltern und Lehrer. In diesen geht es aber ausschließlich um Bildungsfragen“, betonte der Düsseldorfer Generalkonsul. Gegen den Islamverband Ditib ermittelt die Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts auf Spionage durch seine Imame.

Islamisten bei der Ditib?

Besorgniserregende Äußerungen hat auch das Magazin „Panorama 3“ des NDR im Umfeld der Ditib Hamburg gefunden. Auf Facebook veröffentlichten Funktionäre und Anhänger islamistische Ansichten.

Was für einen Wert haben sie schon, wenn sie keine Muslime sind.

Facebook-Ansichten von Ditib-Moscheevereinen

Ishak Kocaman, Vorsitzender des Ditib-Moscheevereins in Hamburg-Wilhelmsburg, zitierte dort immer wieder radikale Prediger. „Demokratie ist für uns nicht bindend“, ist dort als türkisches Zitat unter anderem zu lesen. „Uns bindet Allahs Buch, der Koran.“ Auf einem anderen Bild steht die Aussage: „Ich spucke auf das Gesicht der Türken und Kurden, die nicht islamisch leben. Was für einen Wert haben sie schon, wenn sie keine Muslime sind.“ Vor den TV-Reportern wiegelte Kocaman ab: Wichtig sei der offizielle Kurs von Ditib und der setze auf Zusammenleben. Das Magazin fand aber weitere kriegerische Äußerungen von Teilnehmern einer Ditib-Pilgerreise nach Mekka. Bei einem Erdogan-Bild steht: „Mein Führer, gib uns den Befehl und wir zerschlagen Deutschland.“

Das bringt nun Hamburgs SPD-Bürgermeister in Bedrängnis. Der NDR-Bericht zeige, dass Aussagen von Olaf Scholz, es gebe „keine Hinweise auf antiwestliche, antichristliche, antisemitische und demokratiefeindliche Entwicklungen bei Ditib-Nord“, falsch seien, so der CDU-Fraktionschef im Senat, André Trepoll, gegenüber der Zeitung Die Welt.

Die türkische Opposition wird verurteilt

Knapp zwei Monate vor dem Referendum ist unterdessen der staatliche Druck auf die pro-kurdische Oppositionspartei HDP massiv erhöht worden. Die inhaftierte Ko-Chefin Figen Yüksekdag verlor nach einem Gerichtsurteil ihr Mandat im Parlament in Ankara, wie ihre Partei bestätigte. Ihr ebenfalls inhaftierter Ko-Vorsitzender Selahattin Demirtas wurde zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Die HDP ist die zweitgrößte Oppositionspartei im Parlament und strikt gegen das von Staatschef Erdogan angestrebte Präsidialsystem.

Die Rechtslage

Ein Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster, der sich auf die Kundgebung vom Sommer 2016 in Köln bezog, zu der Erdogan aus der Türkei live auf eine Großleinwand zugeschaltet werden sollte, bestätigte die Untersagung der Übertragung durch den örtlichen Polizeipräsidenten Jürgen Mathies – wegen der aufgeheizten Atmosphäre nach dem angeblichen Putschversuch in der Türkei. Die Richter urteilten, weder das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit noch andere Grundrechte gewährten den Veranstaltern einer Demonstration „einen Anspruch darauf, ausländischen Staatsoberhäuptern oder Regierungsmitgliedern die Gelegenheit zu geben, in der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen“ in ihrer amtlichen Funktion „zu politischen Themen zu sprechen“. Ausdrücklich erklärte das Gericht, es sei „Sache des Bundes, zu entscheiden, ob und unter welchen Rahmenbedingungen sich ausländische Staatsoberhäupter oder Regierungsmitglieder auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland im öffentlichen Raum durch amtliche Äußerungen politisch betätigen dürfen“. Schwierig wird es allerdings, wenn Politiker als Privatpersonen und noch dazu in geschlossenen Räumlichkeiten auftreten, die einen höheren Eingriffsschutz genießen.

Aus dem Bundesinnenministerium hieß es, grundsätzlich seien die Bundesländer für die Anwendung des Versammlungsrechts zuständig. Eine Einreiseverweigerung würde obendrein zu einem außenpolitischen Eklat führen.