Die Kindergeld-Zahlungen Deutschlands an Ausländer im EU-Ausland haben sich 2016 auf 470 Millionen Euro summiert. (Foto: Imago/Karina Hessland)
Ausländer-Kindergeld

Gabriel schließt sich CSU-Forderung an

Mit knapp dreijähriger Verspätung hat sich SPD-Chef Gabriel der CSU-Forderung angeschlossen, dass Kinder von EU-Ausländern, die nicht in Deutschland leben, nur das ortsübliche Kindergeld erhalten sollen – und nicht das wesentlich höhere deutsche. Die CSU hatte das bereits im Frühjahr 2014 angeregt. Damit soll ein Fehlanreiz für die Zuwanderung ins deutsche Sozialsystem abgeschafft werden.

Das Kindergeld für EU-Ausländer sollte nach dem Willen von SPD-Chef Sigmar Gabriel gekürzt werden, wenn die Familie im Heimatland lebt. „Wenn ein Kind nicht bei uns lebt, sondern in seinem Heimatland, dann sollte auch das Kindergeld auf dem Niveau des Heimatlandes ausgezahlt werden“, sagte der Wirtschaftsminister und Vizekanzler in einem Interview.

Damit schließt sich Gabriel – freilich ohne das zuzugeben – einer alten CSU-Forderung an. Die CSU hatte diese Idee nach einem abgestuften Kindergeld für EU-Ausländer erstmals im Europawahlkampf im Frühjahr 2014 erhoben, um Fehlanreize für eine Zuwanderung in das deutsche Sozialsystem zu beseitigen. Damals hatte die CSU für diese Forderung das übliche Protestgeschrei inklusive Nazikeule der linken Parteien und Medien geerntet, die der CSU vorwarfen, Stimmung gegen Ausländer zu machen. Doch heute sieht sogar die SPD ein, dass dieses Luxus-Kindergeld zum Teil genau die falsche Klientel aus osteuropäischen EU-Ländern anzieht.

August 2014: CSU fordert gestaffeltes Kindergeld

„Die CSU fordert schon seit Jahren eine Abstufung der Kindergeldbeträge. Im Jahr 2014 haben wir vorgeschlagen, die Höhe entsprechend der Lebenshaltungskosten am Wohnort des Kindes zu reduzieren“, sagt die Aschaffenburger CSU-Abgeordnete Andrea Lindholz zum Bayernkurier. Die ist Fachanwältin für Familienrecht und war im Innenausschuss des Bundestages Berichterstatterin der Unionsfraktion zu diesem Thema. „Im Unterhaltsrecht gibt es bereits entsprechende Tabellen. Als zuständige Berichterstatterin im Innenausschuss habe ich mich dafür persönlich eingesetzt“, erinnert Lindholz.

Europa ist keine Sozialunion! Dafür sind die Lebensstandards in Europa viel zu unterschiedlich.

Andrea Lindholz, CSU-Bundestagsabgeordnete und Familienrechtlerin

Über die „plötzliche Erkenntnis“ des SPD-Chefs zu Beginn des Bundestagswahlkampfs ärgert sich Lindholz – vor allem angesichts der früheren verstockten Haltung des Koalitionspartners. Denn mit dessen Einverständnis hätte der Gesetzgeber da schon lang etwas ändern können. „Es ist schon ein starkes Stück, dass die SPD erst jahrelang blockiert und dann zu Beginn des Wahljahres der SPD-Vorsitzende plötzlich unsere Forderung aufgreift“, sagt sie zum Bayernkurier. „Anstatt unsere Vorschläge für den Wahlkampf zu missbrauchen, hätte ich erwartet, dass der SPD-Vorsitzende die CSU von Anfang an unterstützt. Es geht beim Kindergeld schlicht um eine Frage der Gerechtigkeit.“

Fehlanreize abstellen, Missbrauch verhindern

Forciert hatte die CSU den Vorstoß nach einem Bericht von Lindholz im Innenausschuss. Mit Blick auf den Abschlussbericht der Bundesregierung zum Thema Armutsmigration stellte Lindholz damals fest: „Die Höhe des Kindergeldes muss den Lebenshaltungskosten am Wohnort des Kindes entsprechen. Im Unterhaltsrecht gibt es eine solche Abstufung entlang nationaler Lebensstandards bereits. Ich begrüße den im Abschlussbericht formulierten Prüfauftrag an die Bundesregierung ausdrücklich. Sollten sich auf nationaler Ebene keine rechtliche Lösungen finden, müssen wir eben die einschlägigen EU-Verordnungen ändern.“

Grundsätzlich betonte Lindholz im Sommer 2014, dass die EU eben keine Sozialunion ist – eine Erkenntnis, die Gabriel anscheinend erst jetzt übermannt, rund zweieinhalb Jahre später. „Dafür sind die Lebensstandards in Europa viel zu unterschiedlich“, so Lindholz. „Es ist nicht nur legitim, sondern absolut notwendig, dass wir Fehlanreize unseres Sozialsystems abstellen und Missbrauch verhindern.“

Bestehende Regelung benachteiligt deutsche Kinder

Anhand einer Modellrechnung wies Lindholz sogar nach, dass deutsche Kinder durch die geltende Regelung im Endeffekt benachteiligt werden – aufgrund der höheren Lebenshaltungskosten hierzulande. „Es kann nicht sein, dass der deutsche Staat für ein Kind, das in Rumänien lebt, ebenso 184 Euro zahlt, wie für ein Kind, das in München lebt. Der Durchschnittslohn eines Arbeiters in Rumänien beträgt rund 380 Euro. Kinder in Deutschland werden massiv benachteiligt. Damit wird das Vertrauen der Eltern in die Europäische Union untergraben. Wer das ignoriert, kippt Wasser auf die Mühlen der Populisten“, warnte Lindholz.

Berechnungen aus dem Finanzministerium besagten schon 2014, dass allein durch die Anträge von EU-Ausländern, die saisonal in Deutschland arbeiten, mit Mehrkosten von rund 200 Millionen Euro jährlich zu rechnen sei. Bis zum Jahr 2020 ergibt das Mehrausgaben von zwei Milliarden Euro, einschließlich der Lasten für zusätzliches Personal in den Kindergeldkassen. Bei SPD, Grünen und linken Medien sorgte die CSU-Offensive damals für die übliche propagandistische Empörung. Von einem „Sommertheater“ sprach der unterfränkische SPD-Abgeordnete Bernd Rützel. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann erklärte, dass die Kindergeld-Regel „geltendes Recht“ in Deutschland und Europa sei.

Bemerkenswerter Stimmungswandel in der SPD

Welch ein Stimmungswandel bei der SPD in den vergangenen zweieinhalb Jahren angesichts der zwischenzeitlichen Flüchtlingskrise eingetreten sein muss, lässt hingegen die neueste Äußerung von SPD-Parteichef Gabriel erahnen: Er sagte – ganz im Sinne der Union –, Freizügigkeit dürfe nicht missbraucht werden, um in Sozialsysteme einzuwandern. Er warte seit Monaten darauf, dass der zuständige Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) einen Vorschlag für eine solche Kindergeld-Kürzung vorlege.

Gabriel sagte, es gebe in manchen deutschen Großstädten ganze Straßenzüge mit Schrottimmobilien, in denen Migranten nur aus einem Grund wohnten: „Weil sie für ihre Kinder, die gar nicht in Deutschland leben, Kindergeld auf deutschem Niveau beziehen.“ Dies entspricht der derzeitigen Rechtslage. Gabriel pocht aber auf Korrekturen: „Es gibt in Europa ein Recht auf Zuwanderung in Arbeit, aber kein Recht auf Zuwanderung in Sozialsysteme ohne Arbeit.“ Dieser Ansatz deckt sich praktisch zu 100 Prozent mit der Position der CDU und CSU.

EU-Kommission und SPD haben das Problem viel zu lang ignoriert

Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber wundert sich über den Stimmungswandel in der SPD und ärgert sich über kurze Gedächtnis der Öffentlichkeit. „Der Tourismus in die Sozialsysteme ist ein gravierendes Problem, vor dem sowohl die EU-Kommission als auch die SPD viel zu lange die Augen verschlossen haben. Dass die Kindergeldzahlungen vom Aufenthaltsland der Kinder abhängig gemacht werden muss, ist eine alte CSU Forderung, für die wir schon viel Prügel eingesteckt haben.“

Es gab genügend Möglichkeiten, das zu ändern.

Markus Ferber, CSU-Europaabgeordneter

Ich frage mich, warum hat sich Herr Gabriel nicht schon viel früher, in der Koalition in Berlin, als auch in Brüssel für dieses Thema eingesetzt? Als man im Februar dieses Jahres den Briten ein Angebot machen wollte, Mitglied der EU zu bleiben, lag genau dieser Vorschlag auf dem Tisch. Jetzt mit dieser Forderung um die Ecke zu kommen, ist ein billiges Wahlkampfmanöver.“

CDU begrüßt die SPD-Wendung

„An der Union wird es sicher nicht scheitern“, sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber in Berlin nach einer Sitzung der engsten Führungsspitze der Partei. Die Union habe die Forderung, das Kindergeld auch an den Aufenthalt des Nachwuchses in der Bundesrepublik zu knüpfen, schon vor längerem erhoben. Nun müsse geprüft werden, welche Auswirkungen das habe und wie eine Regelung umzusetzen sei.

An der Union wird es sicher nicht scheitern. Wenn die SPD da mal nicht auf der Bremse steht, sondern hilft, dann habe ich gar nichts dagegen.

Peter Tauber, CDU-Generalsekretär

Mit Blick auf die Forderung Gabriels an Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), sich zu trauen, einen entsprechenden Vorschlag vorzulegen, ergänzte Tauber: „Einfach nur machen, das sagt sich so leicht.“ Unter anderem müsse geklärt werden, ob eine Umsetzung europaweit nötig sei, oder ob das Thema auf Ebene der Nationalstaaten geregelt werden könne. „Wenn die SPD da mal nicht auf der Bremse steht, sondern hilft, dann habe ich da gar nichts dagegen.“ Es sei gut, wenn die SPD sich dem Thema nähere und es nun gemeinsam in der Koalition anpacken wolle.

Auslands-Kindergeld stieg binnen Jahresfrist um 50 Prozent an

Das Bundesfinanzministerium wies darauf hin, dass die EU-Kommission vergangene Woche eine Initiative vorgelegt habe, nach der das Kindergeld in der EU nicht an das Preisniveau im Aufenthaltsland des Kindes angepasst werden soll. „Wir bedauern diese Entscheidung“, erklärte ein Sprecher. „Wir prüfen jetzt, welche Möglichkeiten das Europarecht lässt, dennoch zu einer Änderung zu kommen.“ Die EU-Kommission hob demgegenüber hervor: „Es ist nicht vorgesehen, die Leistungen für Kinder an einen Index zu binden: Das Land der Erwerbstätigkeit des Elternteils (der Eltern) ist auch weiterhin für die Zahlung der Kinderbeihilfe zuständig und dieser Betrag kann nicht angepasst werden, wenn das Kind woanders lebt. Innerhalb der EU werden weniger als 1 Prozent der Leistungen für Kinder von einem Mitgliedstaat in einen anderen exportiert.“ Was sie nicht sagen: Entfallen diese ein Prozent hauptsächlich auf einen oder zwei Staaten, so kann das durchaus zu einer größeren finanziellen Belastung werden. Sie berücksichtigt zudem nicht etwaige Ungerechtigkeiten in Bezug auf die heimische Bevölkerung.

EU-Ausländer haben für die Dauer ihres Arbeitsaufenthaltes in Deutschland Anspruch auf Kindergeld – auch wenn der Nachwuchs in einem anderen EU-Land lebt. Wie die Bild-Zeitung unter Berufung auf Behörden-Daten berichtete, bezogen im November 2016 rund 185.000 Kinder im EU-Ausland ohne deutsche Staatsbürgerschaft das deutsche Kindergeld. Im Dezember 2015 waren dies „erst“ rund 120.000 Kinder, das macht also einen Anstieg von über 50 Prozent binnen eines Jahres. Insgesamt zahlte Deutschland im Jahr 2016 rund 32 Milliarden Euro Kindergeld aus, rund 470 Millionen Euro davon gingen an Nicht-EU-Bürger, die im Ausland leben. Eine Hälfte davon ging nach Polen, gefolgt von Frankreich, Rumänien, Kroatien, die Tschechische Republik und Ungarn.

(dpa/Bild/PM/wog)