Bringt seine grünen Parteifreunde häufig mit Klartext auf die Palme: Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer. (Foto: Imago/Jürgen Heinrich)
Grüner Einzelgänger

Boris Palmer attackiert linkes Bürgertum

Der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer hat dem linksliberalen Bürgertum eine Mitverantwortung am Anwachsen des Rechtspopulismus zugewiesen. Er selbst sei wegen kritischer Äußerungen zur Flüchtlingskrise massiv angegriffen worden. Palmer gilt bei den Grünen als Einzelgänger, da er die Einwanderungspolitik kritisiert.

In Baden-Württemberg gedeiht eine besondere Spezies von Grünen: Die Beinahe-Realpolitiker Winfried Kretschmann, Cem Özdemir und Boris Palmer stammen sämtlich aus dem Ländle. Letzterer ist als Oberbürgermeister von Tübingen mit täglichen Problemen konfrontiert, die die Kommunen vor allem in der Flüchtlingskrise massiv überforderten.

Ich habe ein Jahr lang erlebt, welche innere Gegenwehr es verursacht, wenn man sich grundlos als Rassist und unmoralischer Mensch beschimpfen lassen muss. Diese Attacken bekehren niemand. Sie verstärken den Unwillen.

Boris Palmer, zu Vorwürfen aus der eigenen Partei

So hat er bereits früher die Abschiebung von zugewanderten Gewalttätern in deren Heimat gefordert – auch nach Syrien. Dies sei von der Genfer Flüchtlingskonvention durchaus gedeckt. Seiner eigenen Partei riet er mehrfach zu mehr Realismus in der Flüchtlingsfrage. Weil er diese Themen klar benennt und seine Meinung offen äußert, wird er von vielen Linken massiv kritisiert, teilweise sogar als Rassist beschimpft. Niels Annen (SPD) nannte ihn den „Donald Trump der Grünen“.

Linksliberales Bürgertum ist in der Flüchtlingsfrage moralisch überheblich

Nun hat Boris Palmer in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) das linksliberale Bürgertum, aus dem die Grünen stammen, massiv kritisiert und dessen „moralischer Selbsterhöhung“ in der Flüchtlingsfrage eine Mitschuld am Anwachsen des Rechtspopulismus gegeben. Palmers Meinung nach ist der Flüchtlingsdiskurs entscheidend dafür, „ob Deutschland den Weg des Rechtspopulismus geht, den das liberale Milieu mit immer größerem Entsetzen und Erstaunen in westlichen Demokratien um sich greifen sieht“.

Sie sind einfach nur Menschen wie Du und ich. Deshalb gibt es Fleißige, Dankbare, Gebildete und Analphabeten, Grapscher und Verbrecher unter ihnen.

Boris Palmer, über Asylbewerber

Palmer weist dem ignoranten linken Zeitgeist eine klare Mitverantwortung für das Entstehen des Populismus zu: „Nur wenn das linksliberale städtische Bürgertum seine moralische Selbsterhöhung überwindet und Toleranz für Andersdenkende auch praktiziert, wenn es wehtut, gibt es eine Chance, den Extremismus auszugrenzen und den Populismus einzuhegen. Wir müssen uns für die Integration unserer Gesellschaft nach innen mindestens so sehr anstrengen wie für Flüchtlinge.“ Für ihn sei nun eine immer drängendere Frage, „wie man mit den Sorgen, Nöten, Ängsten und Abwehrreflexen einer großen Minderheit umgehen soll“.

Intolerante Linke drohen Andersdenkenden mit gesellschaftlicher Ächtung

Aus der CSU erfährt Palmer Zustimmung: Der CSU-Landtagsabgeordnete Josef Zellmeier betonte auf Facebook: „Die Analyse und der Appell von Boris Palmer sind ausgesprochen überzeugend.“ CSU-Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer sieht das ganz ähnlich, doch hält er Palmer für isoliert innerhalb der Grünen: „Leider sieht seine Partei das völlig anders und naiv.“

Boris Palmer schreibt weiter: Wer ernsthaft Freiheit, Demokratie, Grundgesetz und das Asylrecht in Deutschland verteidigen wolle, dürfe sich aber nicht darauf beschränken, gesellschaftliche Ächtung anzudrohen und innere Bekehrung zu verlangen. „Das wird nicht passieren“, so Palmer. Dadurch behalte nur jeder seine Meinung für sich, auch in Umfragen. In der Wahlkabine sehe aber niemand zu, dann breche sich aufgestaute Wut Bahn, warnt er.

Auf der guten Seite war es kaum mehr auszuhalten.

Boris Palmer

Wie der Tübinger Oberbürgermeister erzählt, habe er selbst nun ein Jahr lang erlebt, welche innere Gegenwehr es verursache, „wenn man sich grundlos als Rassist und unmoralischer Mensch beschimpfen lassen muss“, so Palmer. „Diese Attacken bekehren niemanden. Sie verstärken den Unwillen.“

Das ideologische Schwarz-Weiß überwinden

Nach der anfänglichen Willkommenskultur habe sich das „Bild vom Flüchtling“ inzwischen gewandelt. In einer guten Welt seien Flüchtlinge gute Menschen, da sie vor dem Schlechten fliehen würden. Die Wahrheit sei aber: „Sie sind einfach nur Menschen wie du und ich.“ Deshalb gebe es Fleißige, Dankbare, Gebildete und Analphabeten, Grapscher und Verbrecher unter ihnen, schreibt der 44-Jährige.

Zur Verteidigung der weltoffenen, liberalen und pluralistischen Gesellschaft wird Intoleranz gerechtfertigt und eingesetzt.

Boris Palmer, über das linksliberale grüne Milieu

Zu Beginn der Flüchtlingskrise sei es wichtig gewesen, sich auf die richtige Seite zu stellen. „Das konnte nicht die Seite der Ewiggestrigen, Pegidisten und Brandstifter sein. Aber auf der guten Seite war es kaum mehr auszuhalten“, schrieb Palmer. Daher habe er sich immer wieder polarisierend zu Fragen der Flüchtlingspolitik geäußert. „Die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit wurde zu groß. Für mich wurde es Zeit, auszubrechen, das Grau der Realpolitik zwischen Hell und Dunkel wieder zu besetzen.“

„Die politische Elite und der von urbanen Milieus geprägte linksliberale Zeitgeist haben sich hier auf eine Strategie ‚Wehret den Anfängen‘ festgelegt“, schreibt Palmer. Zur Verteidigung der weltoffenen, liberalen und pluralistischen Gesellschaft werde Intoleranz gerechtfertigt und eingesetzt.

(FAZ/Welt/wog)