Die unbekannten Feinde unserer Gesellschaft: Salafisten. (Grafik: www.antworten-auf-salafismus.de)
Salafisten

Den Brandstiftern das Handwerk legen

Seit einem Jahr arbeitet das bayerische Netzwerk gegen Salafismus. Jetzt zogen Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, Sozialministerin Emilia Müller, Justizminister Winfried Bausback und Kultusminister Ludwig Spaenle eine erste Bilanz. Bei der Suche nach Verbündeten setzt man vor allem auf die Mütter.

Insbesondere junge Menschen radikalisieren sich zunehmend. Rund 650 Personen bewegen sich bayernweit in der salafistischen Szene, Tendenz steigend. 20 Prozent der Salafisten sind auch gewaltbereit. Die ultrakonservative Strömung des Islams liefert den Nährboden dafür: So sind laut Innenminister Joachim Herrmann nahezu alle Terroristen von Paris, Brüssel, Würzburg und Ansbach dem Salafismus zuzuordnen.

Wir wollen nicht, dass die Salafisten die besseren Sozialarbeiter sind.

Emilia Müller

Die Bayerische Staatsregierung hat deshalb eine Strategie erarbeitet, um diese Entwicklung einzudämmen. Bereits vor einem Jahr wurde das „Bayerische Netzwerk für Prävention und Deradikalisierung“ gegründet. Die zuständigen Staatsminister des Innern, der Justiz, für Bildung sowie für Soziales zogen jetzt in München eine erste Bilanz. In nur einem Jahr habe das bayerische Netzwerk rund 2000 Personen und Träger aus den Bereichen Politik, Kommunen, Sozialarbeit, Helferkreise und Jugendhilfe zusammengebracht, sagte Sozialministerin Emilia Müller. „Es ist uns gelungen, auch auf kommunaler Ebene Präventionsnetzwerke zu schaffen.“ Der Grund dafür: „Wir wollen nicht, dass die Salafisten die besseren Sozialarbeiter sind.“ Man müsse die Menschen davon abhalten, den salafistischen Seelenfängern auf den Leim zu gehen.

Eine Kultur des Hinschauens

Eine wirksame Präventionsarbeit sei so wichtig wie nie zuvor, betonte Müller. „Was man am Anfang verhindert, muss man nachher nicht reparieren.“ Dazu gehöre besonders die Aufklärung, nicht zuletzt, um die radikale Rhetorik der Salafisten zu entlarven. Dabei helfe etwa die Fachstelle zur Prävention religiös begründeter Radikalisierung des Vereins ‚ufuq.de‘. Die Ministerin forderte „eine Kultur des Hinschauens“ und nannte Lehrer und Familien als wichtige Helfer. Insbesondere Mütter würden in der Regel als Erste merken, wenn sich ihr Kind verändere. Auch deshalb müsse man wieder verstärkt „unsere Werte und unsere Demokratie verteidigen“ und denen „klare Grenzen setzen, die das nicht akzeptieren“.

Im Kampf gegen islamistische Extremisten müssen wir alle Register ziehen.

Joachim Herrmann

Neben der Prävention sowie der Informations- und Aufklärungsarbeit steht die Deradikalisierung. „Im Kampf gegen islamistische Extremisten müssen wir alle Register ziehen“, so Innenminister Joachim Herrmann. „Und natürlich müssen wir uns auch um diejenigen kümmern, die bereits radikalisiert sind.“ Hier habe man im Kompetenzzentrum für Deradikalisierung beim Bayerischen Landeskriminalamt bereits gute Erfahrungen mit dem Partner von Violence Prevention Network e.V. gemacht, der im Einzelfall vertrauliche und kostenlose Beratung, Begleitung und Ausstiegshilfen anbiete, „aktuell in über 50 Fällen“. „Wir müssen alles dafür tun, dass Menschen nicht in unserem eigenen Land von dieser Ideologie infiziert werden.“ Dieser Kampf sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Herrmann bat auch um „Hinweise aus der Bevölkerung“. Die Arbeit des Staates gehe dagegen von der intensiven Beobachtung der Szene über konsequente Strafverfolgung bis hin zu massiven Schlägen gegen extremistische Vereinsstrukturen wie zuletzt gegen ‚Die wahre Religion‘. Deren Unterstützer hatten im Gefolge von Koranverteilungsaktionen gezielt Kämpfer für die IS-Barbaren angeworben.

Radikalisierung hinter Gefängnismauern

Radikalisierung findet nicht zuletzt auch immer häufiger in Justizvollzugsanstalten statt. „Von den rund 11.000 bayerischen Häftlingen haben 46 salafistische Bezüge“, berichtete Justizminister Winfried Bausback. „Radikalisierungstendenzen machen leider auch vor Gefängnismauern nicht halt. Das ist nicht neu und wir legen daher schon seit geraumer Zeit ein besonderes Augenmerk darauf, islamistischen Extremismus im Justizvollzug frühzeitig zu erkennen und zu bekämpfen.“ Seit 1. Dezember 2015 werden die bayerischen Gefängnisse dabei zusätzlich durch die Zentrale Koordinierungsstelle für Maßnahmen gegen Salafismus und Islamismus in Justizvollzugsanstalten unterstützt. Allerdings sei auch die Zeit nach der Haft wichtig, hier dürfe man die Entlassenen nicht allein lassen. Bausback forderte zudem für das Strafgesetzbuch erneut ein Verbot der Sympathiewerbung für Terrorgruppen.

Die Rolle der Schulen

Um einer islamistischen Radikalisierung bereits möglichst früh vorzubeugen, wird auch in den Schulen zielgerichtet aufgeklärt. „Bayerische Schulen engagieren sich stark in der Vermittlung von Werten unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Dabei spielen Geschichte und Sozialkunde sowie das staatliche Schulfach ‚Islamischer Unterricht‘ eine wichtige Rolle“, erklärte Kultusminister Ludwig Spaenle. Die Inhalte des Fachs basierten auf einschlägigen religiösen Quellen und orientierten sich an Grundgesetz und Bayerischer Verfassung. Das Unterrichtsangebot unterstütze die jungen Menschen in der Persönlichkeitsbildung, habe eine gesellschaftlich-integrative Funktion und fördere die interreligiöse Dialogfähigkeit bei den Schülern. Für eine anlassbezogene Prävention gegen den Salafismus stehen seit 2016 auch die ,Regionalbeauftragten für Demokratie und Toleranz‘ an den Schulberatungsstellen zur Verfügung. Die Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit startet zudem 2017 ein Modellprojekt zur Informationsvermittlung an Lehrkräfte und Multiplikatoren zu Erscheinungsformen des politischen Islams und des Salafismus in Bayern.

Das neue Informationsportal

Herrmann und Müller stellten außerdem unter www.antworten-auf-salafismus.de das neue und bundesweit einmalige Internetportal des Netzwerks vor. „Informations- und Hilfesuchende landen im Internet schnell auf salafistischen Seiten, ohne dies überhaupt zu bemerken“, erklärte Emilia Müller. Darum werde auf dem neuen Internetportal leicht verständlich über die Gefahren salafistischer Propaganda aufgeklärt.

Wir wollen nicht, dass radikale Ideologen im Internet die Meinungsführerschaft haben.

Emilia Müller

Dort wird unter anderem erklärt, was Salafismus ist, wie Salafisten organisiert sind und wieso er laut Innenministerium vor allem junge Menschen anzieht. „Wir wollen nicht, dass radikale Ideologen im Internet die Meinungsführerschaft haben“, sagte Müller. Das Portal richtet sich an Jugendliche, Eltern, Lehrer und Aktive in der Jugendarbeit. Neben der Homepage nannte Müller die Familien – und hier vor allem die Mütter – als wichtigste Adressaten bei der Präventionsarbeit. „Wir müssen die Mütter erreichen und sie sensibilisieren.“ Sie sähen als Erste, wenn sich ihr Kind verändere.

Die angebliche Opferrolle der Muslime

Der Präsident des Bayerischen Verfassungsschutzes, Burkhard Körner, warnte bei der Tagung: „Der Salafismus ist die derzeit am schnellsten wachsende islamistische Bewegung in Deutschland“, die weltliche Gesetze als unislamisch und unterlegen ablehne. „Einziger Gesetzgeber ist Gott. Die Folge: Wer weltliche Gesetze macht oder befolgt, macht sich der Vielgötterei schuldig und ist todeswürdig“, erklärte Körner die kruden Gedankengänge der Islamisten.

Die Salafisten würden ständig behaupten, Muslime seien in der westlichen Welt immer die Opfer. Daraus leiteten sie dann ihr angebliches Recht auf Selbstverteidigung ab. Zwar seien „nur“ 20 Prozent der 650 Salafisten in Bayern gewaltbereit, aber beide Teile unterschieden sich letztlich nur „in der Wahl ihrer Mittel“. Zudem rekrutierten sie Kämpfer für den IS, die „größte und am besten ausgerüstete Gruppe der Salafisten“. Besonders radikalisierte Frauen würden dazu eingesetzt, andere zu rekrutieren, aber auch die Szene zu bespitzeln. „In Bayern haben wir Hinweise auf über 90 Personen mit salafistischem Hintergrund, die nach Syrien ausgereist sind oder das planen“, so Körner.

Von den Mädchen kehrt keine zurück.

Burkhard Körner

Darunter seien 14 ausgereiste Frauen, die oft sehr jung seien, manche erst 13 oder 14 Jahre alt. 25 Personen seien zurückgekehrt, zehn im IS-Krieg gestorben. Von den Mädchen sei wegen ihrer untergeordneten Stellung im Salafismus noch keine zurückgekehrt. 39 Gefährder und genauso viele Personen, deren Radikalisierung sehr weit sei, lebten in Bayern. Wegen der territorialen Verluste des IS in Syrien und Irak befürchtet der Verfassungsschützer vermehrt Attentäter, die in den Westen geschickt würden.

Nur sechs Wochen bis zur Radikalisierung

Thomas Mücke vom Violence Prevention Network, eine Beratungsstelle zur Prävention von Extremismus, berichtete aus der Sicht eines Praktikers der Deradikalisierung. Es sei Zeit geworden, dass eine Organisation wie „Die wahre Religion“ verboten wurde. Das trage zur Verunsicherung der Szene bei, auch wenn diese sich wieder neu organisieren werde. Man müsse nun aber das salafistische Denken aus den Jugendlichen herauskriegen. „Wir haben schon mehr als 60 Personen in Bayern beraten, schon etliche Ausreisen verhindert“, so Mücke.

Kein Kind ist geschützt vor dem Ansprechen durch Radikale.

Thomas Mücke

Die Radikalisierung erfolge auf vielen verschiedenen Wegen und treffe keineswegs nur labile, ungebildete Menschen, sondern die ganze Bandbreite der Gesellschaft. „Kein Kind ist geschützt vor dem Ansprechen durch Radikale“, machte Mücke unmissverständlich klar. Es gebe aber bei allen radikalisierten Opfern zwei Gemeinsamkeiten: „Sie wussten nichts über den Islam und in ihrer Familie wurde auf eine entscheidende Lebensfrage zu lange geschwiegen.“ Ganz gezielt würden die Islamisten die Bruchlinien der Menschen suchen und versuchen, sie mit Halt und Inhalt zu füllen. „Diese Szene nutzt jede Krise, jedes kritische Ereignis aus.“

Der Berater warnte: „Ich habe in meinen mehr als 20 Jahren Arbeit noch nie so eine professionelle Vorgehensweise gesehen.“ Gerade junge Mädchen in ihrer pubertären Protestphase seien anfällig, ebenso die ohne oder mit schwachen Vätern, deren Rolle dann von den „hypermaskulinen Islamisten“ wahrgenommen werde. Als Beispiel nannte er eine 17-Jährige, deren Vater verstorben sei und deren Mutter die Trauerarbeit nicht leisten konnte. Dies erledigten die Salafisten. „Schon nach sechs Wochen war dieses Mädchen bereit, auszureisen!“ Man habe ihr gesagt, der Vater warte im Paradies auf sie.

Schon nach sechs Wochen war dieses Mädchen bereit, auszureisen!

Thomas Mücke

Neben der Jenseitsperspektive gebe es aber auch andere Anziehungsfaktoren, etwa den Halt und die Geborgenheit in einer einzigen Gesellschaft, die Gehorsamsorientierung, eine jugendkulturelle Erstansprache, den exklusiven Wahrheitsanspruch, ein Gewalt- und Hassventil sowie eine kollektive Opferidentität. Nach anfangs noch ganz „normalen“ Aktivitäten werde den Angesprochenen ganz langsam der Islamismus eingetrichtert, die angebliche Opferrolle der Muslime – zwar sterben weit mehr Muslime durch Muslime, das wird aber natürlich verschwiegen. Darauf folge die Abkapselung von der gewohnten Umgebung: „Wenn die Familie nicht mitmacht, dann trenne dich von ihnen, das wird ihnen gesagt. Soziale Kontakte gibt es dann nur noch mit Gleichgesinnten“, erklärte Mücke die perfide Strategie. „Dann folgt der Auftrag: Du musst gegen den Krieg gegen uns Muslime etwas tun!“

Die Deradikalisierung

Um Islamisten wieder zu deradikalisieren, müsse man ihnen erst wieder beibringen, „selber zu denken“. Man müsse sie langsam aus der Szene zurückziehen, etwa durch eine Arbeitsstelle, müsse die soziale Integration wieder ermöglichen, ihnen beibringen, dass sie ihre Religion gerade in unserer Gesellschaft friedlich ausleben könnten. Dies gehe aber nur mit intensiver Begleitung, sonst drohe ein Rückfall. Dafür gebe es viel zu wenig Geld, kritisierte Mücke. „In Berlin ist es derzeit noch nicht sicher, ob wir unsere sechsjährige intensive Arbeit überhaupt fortsetzen können.“ Vor allem Eltern suchten jedoch nach Hilfe und riefen die Beratungsstelle an.