Zwei grundsätzliche Richtungsentscheidungen stehen bei den Grünen an: Auf dem Parteitag in Münster wollen sie darüber entscheiden, ob sie – wie etwa die Linkspartei – im Bundestagswahlkampf 2017 die Wiedereinführung einer hohen Vermögensteuer fordern. Das wäre ein klares Signal in Richtung Rot-Rot-Grün. Im Vorfeld gab es in diesem Punkt aber massiven Streit.
Eine Personalfrage als Richtungsstreit: Özdemir, Hofreiter oder Habeck?
Die zweite Entscheidung ist die über den männlichen Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl neben der bereits sicher feststehenden Katrin Göring-Eckhardt – auch dies sozusagen eine in eine Personalfrage verpackte Richtungsentscheidung. Zur Wahl stehen der gemäßigte Parteichef Cem Özdemir, Bundestags-Fraktionschef Toni Hofreiter, der zu den Parteilinken gehört, und der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck. Hier kommt es im Januar 2017 zum Mitgliederentscheid.
Die Grünen wollen jedenfalls bis zum 40. Geburtstag der Partei im Jahr 2020 ein neues Grundsatzprogramm ausarbeiten. Die 822 Delegierten des Bundesparteitags in Münster beauftragten offiziell den Parteivorstand, den Prozess im kommenden Jahr anzustoßen
Umverteilung oder wirtschaftliche Vernunft?
In der Steuerfrage hat der Parteivorstand zwei Varianten vorgelegt. Die erste (Linksaußen-)Variante sieht die Einführung einer Vermögenssteuer für Beträge ab einer Million Euro und einem Steuersatz von einem Prozent vor. Zum Vergleich: Die Linkspartei will drei Prozent. Die zweite, gemäßigte Möglichkeit sieht statt einer Vermögenssteuer eine neue Erbschaftsteuer vor, die mit moderaten Steuersätzen, Freibeträgen und Stundungsmöglichkeiten so ausfallen soll, dass Unternehmer nicht über Gebühr belastet werden.
Die beiden Bundestags-Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter präsentierten einen Kompromissvorschlag, nach dem die Vermögenssteuer nur für „Superreiche“ gelten soll. Aber auch diese Entschärfung fand bislang keine Mehrheit.
Steuererhöhungspläne führten schon 2013 zur Wahlniederlage
Falls die Grünen deutlich höhere Steuern beschließen, laufen sie Gefahr, in die Falle zu tappen, die sie schon bei der Bundestagswahl 2013 massiv Stimmen kostete – damals unter der Regie des Partei-Linksaußen Jürgen Trittin. Die Grünen wurden in weiten Teilen der Wählerschaft völlig zu Recht als Steuererhöhungspartei und zudem als Verbotspartei wahrgenommen, und fuhren mit 8,4 Prozent ein enttäuschendes Ergebnis ein.
Konflikt um die grüne DNA.
Parteichef Özdemir erklärte nun, die Grünen wollten im Bundestagswahlkampf 2017 keinesfalls auf Steuerthemen setzen. „Wir haben unsere Lehre gelernt“, sagte Özdemir im Deutschlandfunk. Weiter erklärte er, man werde sich stattdessen auf die eigentlichen „Gerechtigkeitsbotschaften“ konzentrieren – was auch immer das letztlich sein könnte. Er wünsche sich weniger Streit um Instrumente und stattdessen mehr Verständigung über die Ziele, so Özdemir.
Grüne suchen krampfhaft nach zugkräftigen Themen
Den Steuerstreit bewerten Beobachter als „Konflikt um die grüne DNA“. Schon seit der von Kanzlerin Merkel 2011 eingeleiteten Energiewende, die die einstige Anti-Atom-Partei einigermaßen ratlos zurückließ, suchen die Grünen neue zugkräftige Themen. Der linke Flügel, zu dessen Vertretern Parteichefin Simone Peter und Fraktionschef Hofreiter gehören, streben eine „gerechte Gesellschaft“ an, worunter sie – wie alle linken Ideologen – die massive staatliche Umverteilung von Vermögen verstehen.
Die „Realos“, zu denen Parteichef Cem Özdemir zählt, wollen zwar auch mehr „soziale Gerechtigkeit“, aber nicht um den Preis deutlich höherer Steuern, da dies in ihren Augen die Konjunktur hemmen könnte. Außerdem dürfte es vermutlich nicht einmal den Grünen entgangen sein, dass Bund und Länder seit Jahren bei den Steuereinnahmen von Rekord zu Rekord eilen – eine Entwicklung, bei der eigentlich Steuersenkungen fällig wären.
Konfrontation zwischen Kretschmann und Parteilinken
2013 wie auch jetzt ist Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann – neben Özdemir – der deutlichste Kritiker von Steuererhöhungen. Kretschmann, der in Stuttgart mit einem grün-schwarzen Bündnis regiert, hat auch jetzt seine Truppen gegen die Parteilinken in Stellung gebracht, wie Beobachter berichten. Beispielsweise fordern die baden-württembergischen Minister Edith Sitzmann, Manne Lucha und Franz Untersteller in einem Änderungsantrag den kompletten Verzicht auf eine Vermögenssteuer. „Die (Wieder-)Einfühung der Vermögenssteuer wäre nicht der richtige Weg, um die Chancengleichheit in unserem Land wieder zu verbessern“, heißt es in dem Antrag aus Baden-Württemberg.
Wenn wir bei der Bundestagswahl eine ausschlaggebende Rolle spielen wollen, müssen sich alle am Riemen reißen.
Reinhard Bütikofer
Unmittelbar vor Beginn des Parteitags häuften sich die Einigkeitsappelle. Der Streit zwischen Linken und Realos dürfe nicht eskalieren, warnte der frühere Parteivorsitzende Reinhard Bütikofer in der Stuttgarter Zeitung. „Wenn wir bei der Bundestagswahl eine ausschlaggebende Rolle spielen wollen, müssen sich alle am Riemen reißen.“ Das gelte für Realos und Linke genauso wie für die Parteiführung, also Özdemir und Peter. „Dass die Flügel unterschiedliche Akzente setzen, ist eine Stärke, wenn wir das nicht gegeneinander ausspielen. Das muss jetzt der Parteitag leisten“, so Bütikofer.
Sogar Göring-Eckhardt will Vermögen schröpfen
Die als Gemäßigte geltende Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckhardt indes deutete Kompromissbereitschaft in Sachen Vermögenssteuer an – also entgegen der Linie von Özdemir und Kretschmann. „Die Superreichen tragen heute nicht in dem Maße zur Finanzierung des Gemeinwesens bei wie die breite Mittelschicht. Deshalb brauchen wir eine angemessene Besteuerung von sehr hohen Vermögen in Deutschland“, sagte Göring Eckhardt den Ruhr-Nachrichten.
Parteichefin Simone Peter selbst ging im ZDF davon aus, dass der Steuerkonflikt beigelegt wird. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir hier zu einer Einigung kommen“, sagte sie. Das Bedürfnis der Grünen sei groß, zu einer Verständigung zu kommen, – „und dann auch gemeinsam in den Wahlkampf damit zu gehen“. Also doch ein Steuer-Wahlkampf? Amtskollege Özdemir dürfte das mit Stirnrunzeln registrieren.
(dpa/DLF/ZDF/Stuttgarter Zeitung/Ruhr-Nachrichten/wog)