Ohel-Jakob-Medaille: Bundeskanzlerin Angela Merkel (2.v.r.) mit (v.l.) Horst Seehofer, Charlotte Knobloch und Dieter Reiter vor der Synagoge. (Bild: IKG/Astrid Schmidhuber/fkn)
Ohel Jakob Medaille

Keinen Millimeter Platz

Am zehntem Jahrestag der Einweihung der neuen Münchner Hauptsynagoge Ohel Jakob und zugleich am Jahrestag der "Reichspogromnacht" der Nazis gegen jüdische Einrichtungen zeichnete die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern Bundeskanzlerin Angela Merkel für ihren Kampf gegen den Antisemitismus aus.

Im Beisein vieler hochrangiger Gäste, darunter fast die gesamte Bayerische Staatsregierung, der Stadtrat, viele Abgeordnete und Diplomaten, Friedrich Kardinal Wetter und Landesbischof Johannes Friedrich, feierte die Israelitische Kultusgemeinde am Mittwochabend das zehnjährige Bestehen ihrer Hauptsynagoge Ohel Jakob im Herzen der Münchner Innenstadt. Die Kultusgemeinde würdigte mit ihrer höchsten Auszeichnung den entschlossenen Einsatz von Bundeskanzlerin Angela Merkel gegen jede Form von Antisemitismus und ihr entschiedenes Bekenntnis zum Staat Israel. Die Präsidentin Charlotte Knobloch erinnerte an den 9. November 1938, die „Reichspogromnacht“. „In diesen Stunden vor 78 Jahren war ich gerade sechs Jahre alt geworden. Ich irre an der Hand meines Vaters durch München, meine Heimatstadt, die ich in diesem Moment verliere. Ich sehe den dunklen Qualm aus der Synagoge aufsteigen, die vielen Menschen, die zuschauen, niemand hilft. Ich kann das Weinen nicht mehr unterdrücken. Schnell zieht mein Vater mich weiter, bloß nicht auffallen, nicht stehenbleiben!“ Mit dem Totengebet Kaddish zum Beginn der Veranstaltung habe man der „Millionen von Menschen gedacht, die in der Shoa ermordet wurden Wir haben sie in unsere Mitte geholt. Sie sind bei uns, sie bleiben es, an jedem Tag.“

Ich sehe den dunklen Qualm aus der Synagoge aufsteigen, die vielen Menschen, die zuschauen, niemand hilft. Ich kann das Weinen nicht mehr unterdrücken.

Charlotte Knobloch, erinnert sich an die Reichspogromnacht

Ganz bewusst sei an jenem Datum, 68 Jahre später, die neue Münchner Hauptsynagoge als Zeichen der Hoffnung feierlich eröffnet worden – „den Blick nach vorne gerichtet, für unsere Nachkommen, für deren Zukunft – in Sicherheit, Frieden und Freiheit“. Heute erinnere das Datum auch an den Mauerfall 1989, der den Menschen in der DDR die Freiheit brachte. „Der 9. November – ein Tag, an dem die Tief- und Höhepunkte unserer Vergangenheit wie unter einem Brennglas erscheinen.“

Grund zur Freude, Grund zur Warnung

Knobloch sprach von einer ungeahnten Initialzündung durch den Bau: „Landauf, landab entstanden seither Synagogen und Gemeindehäuser. Das Judentum hat in Deutschland wieder eine erkennbare Präsenz.“ Bei allem Grund zur Freude seien aber auch Rückschritte zu benennen. „In Europa – auch hierzulande – herrscht regelrecht eine braune Renaissance.“ Zudem könne auch der islamistische Terror jederzeit jeden treffen. „Wir mussten lernen, dass Menschen, denen wir mit Toleranz begegnet sind, unsere Werte nicht akzeptieren, gar verachten. Auf dieser Basis ist Integration unmöglich oder gescheitert.“ Darauf müsse der wehrhafte Staat mit ultimativen Konsequenzen reagieren. „Wir erleben, dass Antisemitismus immer offener, ungeniert und auch gewaltsam geäußert wird.“ Zu viele Menschen hätten sich schon an antijüdische Ressentiments „von rechts, von links, aus den Reihen der Muslime sowie aus der bürgerlichen Mitte“ gewöhnt.

Sie sind ein verlässlicher Freund und Partner Ihres fünften Stammes!

Charlotte Knobloch, zu Horst Seehofer

Umso mehr dankte Knobloch dem Bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, dem letztjährigen Preisträger, für seine verlässliche Freundschaft an der Seite der jüdischen Gemeinschaft und des Staates Israel. „Sie sind ein verlässlicher Freund und Partner Ihres fünften Stammes!“

Merkels Würdigung

Über die diesjährige Preisträgerin, Bundeskanzlerin Angela Merkel, sagte Knobloch: „Sie steht wie keiner ihrer Amtsvorgänger in unverrückbarer Entschlossenheit, Eindeutigkeit und Glaubwürdigkeit, beherzt und kämpferisch an der Seite der jüdischen Menschen in Deutschland und des Staates Israel.“ Das entspreche ihrer tiefen Überzeugung. „Die Sicherheit und die Geborgenheit jedes einzelnen jüdischen Menschen in Deutschland sind für Sie Teil der Staatsräson unseres Landes – und mehr als das: Sie sind Ihnen Herzensangelegenheit, niemals verhandelbar, keine leeren Worte.“ Dem Antisemitismus habe Merkel den Krieg erklärt.

Das ist unsere Revanche! Unser Fortbestand, unser Überleben, unsere Synagoge.

Yisrael Meir Lau

Der Oberrabbiner von Tel Aviv-Jaffa und Vorsitzende des Beirats der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem, Yisrael Meir Lau, sagte in einem kurzen Grußwort, er selbst sei noch nicht acht Jahre alt gewesen, als er zusammen mit seinem Bruder aus dem KZ Buchenwald befreit wurde – der Vater wurde im KZ Treblinka ermordet. Als er vor 10 Jahren die Synagoge in München mit eröffnet habe, sei ihm der Gedanke gekommen: „Das ist unsere Revanche! Unser Fortbestand, unser Überleben, unsere Synagoge. Wir ließen diese Kette nicht abreißen.“ Ohel sei eigentlich ein provisorisches Zelt, doch die Münchner Synagoge solle dauerhaft bleiben.

Bayern bleibt wehrhaft gegen Antisemiten

Hass und Gewalt haben in unserem Land nichts zu suchen – Antisemitismus und Rechtsradikalismus haben hier keinen Millimeter Platz!

Horst Seehofer

Der bayerische Ministerpräsident Seehofer sagte in seinem Grußwort: „Der 10. Jahrestag der Einweihung der neuen Münchner Hauptsynagoge Ohel Jakob ist ein großartiges Jubiläum für unser Land. Mit der Synagoge und dem jüdischen Gemeindezentrum blüht jüdisches Leben wieder im Herzen unserer Stadt. Unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger sind unverzichtbarer Teil unseres Landes.“ Er erinnerte an den Ausspruch von Charlotte Knobloch vor zehn Jahren „Wer baut, der bleibt!“ Er dankte ihr für ihren „unermüdlichen Kampfgeist“ und bekräftigte die Zusage seines Vorgängers Günther Beckstein den jüdischen Mitbürgern gegenüber: „Sie sind der fünfte Stamm Bayerns!“

Für dieses Glück der Gegenwart sei er zutiefst dankbar, so Seehofer. „Es ist für uns zugleich Auftrag und Verpflichtung. Hass und Gewalt haben in unserem Land nichts zu suchen – Antisemitismus und Rechtsradikalismus haben hier keinen Millimeter Platz!“, betonte der Ministerpräsident. Jeder, der hier lebe, müsse diese Werte akzeptieren. Auch an den kürzlich verstorbenen Zeitzeugen und KZ-Überlebenden Max Mannheimer erinnerte Seehofer: „Sein Satz ‚Ich kann nicht hassen‘ ist uns Auftrag und Verpflichtung.“

Die Bundeskanzlerin stehe entschlossen und unbeirrbar an der Seite der jüdischen Gemeinschaft und habe vor dem israelischen Parlament, der Knesset, die Sicherheit Israels zur deutschen Staatsräson erklärt. „Ich gratuliere ihr zur Ohel-Jakob-Medaille in Gold. Möge jüdisches Leben in Bayern auch in Zukunft blühen und gedeihen.“

Schneier: Merkel blieb standhaft

Der Laudator, Arthur Schneier, Holocaust-Überlebender, Oberrabbiner der Park East Synagoge New York und Präsident der Stiftung „Appeal of Conscience“, nannte Merkel „eine Frau des Gewissens und der Prinzipien“. Schneier freute sich, dass Deutschland heute wieder eine große jüdische Gemeinschaft beheimate. „Die Bundesrepublik Deutschland steht beispielhaft ein für die Erinnerung und Verantwortung, die aus einer tragischen Vergangenheit entspringt, sowie für den Geist der Versöhnung. Über die Jahre hat sich eine besondere, eine verständige und kooperative Beziehung mit dem jüdischen Volk und dem Staate Israel entwickelt. Ihre Grundlage kann und wird nicht von denen verzerrt werden, die antizionistische Parolen verwenden, um ihren Antisemitismus zu verbergen“, so der Rabbiner. Leider hebe der Judenhass „auch in dieser Generation wieder sein hässliches Haupt“. Merkel aber sei bei allen antisemitischen Attacken und Versuchen der Geschichtsfälschung immer „standhaft“ geblieben. „Sie sind kein Fähnchen im Wind.“

Merkels Kampfansage an den neuen Judenhass

Mit einer Kampfansage an jede Art von Hass, Rassismus und Antisemitismus hat dann die Preisträgerin und Kanzlerin Angela Merkel an die Opfer der NS-Pogromnacht von 1938 erinnert. Die Ereignisse in jener Nacht seien Vorbote gewesen „für den größten Völkermord in der Geschichte der Menschheit“. Merkel hob in ihrer Rede die Leistung der jüdischen Gemeinden für die Integration der Zuwanderer aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion hervor und schlug den Bogen zu den aktuellen Herausforderungen der Integration: „Dort wo Alt und Neu aufeinandertreffen, braucht es Verständigung über Werte, Regeln, Gewohnheiten, um auf einem gemeinsamen Fundament aufbauen zu können.“

Sie haben die Hand zur Versöhnung ausgestreckt und Brücken gebaut über Gräben, die eigentlich unüberwindbar waren.

Angela Merkel, über die Jüdische Gemeinde

Dazu gehöre insbesondere auch das Wissen über die deutsche Geschichte, das man auch den Flüchtlingen aus den arabischen Ländern beibringen müsse, in denen der Hass auf Israel Alltag sei: „Wir sind es den Opfern der Shoah wie uns selbst schuldig, das Wissen um das Geschehene von Generation zu Generation weiterzugeben und uns entschieden gegen die Bedrohungen durch Hass und Antisemitismus zu wenden.“ Mit Blick auf das Erstarken des Antisemitismus bis in die Mitte der Gesellschaft hinein sagt die Kanzlerin: „Das dürfen wir nicht ignorieren. Das muss entschiedenen Widerspruch finden, in Wort und in Tat.“ Die Israelitische Kultusgemeinde stehe für Weltoffenheit und ein gutes Zusammenleben im Freistaat Bayern und im ganzen Land. „Sie haben die Hand zur Versöhnung ausgestreckt und Brücken gebaut über Gräben, die eigentlich unüberwindbar waren.“ Die Ohel Jakob Synagoge habe sich in den letzten Jahren zu einem Ort des Dialogs und der Begegnung entwickelt: „Ich sehe dieses großartige Engagement als ein Zeichen des Vertrauens in unser Land wie die Ohel-Jakob-Medaille, die Sie mir verliehen haben.“ Auch Merkel erinnerte an einen Ausspruch Max Mannheimers: „Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dafür, dass es nicht wieder geschieht, dafür schon!“

Neue Hoffnung

Oberbürgermeister Dieter Reiter erinnerte an die Reichspogromnacht, deren Startschuss im Münchner Ratshaussaal durch eine Hetzrede von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels gegeben wurde. Die damalige Münchner Stadtverwaltung sei dabei „willfähriger Handlanger und eigenständiger Akteur“ gewesen. Reiter betonte: „Mit dem neuen Jüdischen Zentrum auf dem Jakobsplatz und vor allem auch der neuen Hauptsynagoge Ohel Jakob ist nach alledem also erneut die Hoffnung gewachsen, dass wir nun endlich zu jener Zusammengehörigkeit finden, die die Menschlichkeit schlechthin gebietet. Und die wir nie wieder aus den Händen geben dürfen.“

Die Eröffnung der neuen Münchner Hauptsynagoge vor 10 Jahren

hatte enorme symbolische Kraft. Mit dem Bau der Synagoge und dem Umzug der Kultusgemeinde an den St.-Jakobs-Platz besiegelte die jüdische Gemeinschaft ihr Selbstverständnis als fester Bestandteil der Münchner Stadtgesellschaft und das endgültige Ende des Charakters als „Liquidationsgemeinde“, als die sie 1945 wiedergegründet worden war.

Die Eröffnung des neuen Jüdischen Zentrums in München war eine Initialzündung weit über Bayern hinaus. In der ganzen Bundesrepublik entstanden in den folgenden Jahren jüdische Gemeindezentren und Synagogen als bauliche Symbole eines vitalen Judentums in der Bundesrepublik.

Am 9. November 1938 hatten die Nationalsozialisten Hunderte Synagogen in ganz Deutschland in Brand gesteckt und Tausende jüdische Geschäfte zerstört. Viele Juden wurden verschleppt und ermordet. Die Nacht gilt als Auftakt zur systematischen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung.