Einheimische am Strand im syrischen Badeort Tartus. Hundert Kilometer entfernt bombardiert Assads Armee die Menschen. (Foto: Imago/ITAR-TASS)
Syrien

Asylbewerber auf Heimaturlaub?

Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl beantragen und für die Ferien in die Heimat reisen? Die Bundesanstalt für Arbeit bestätigt: "Es gibt solche Fälle." In Bayern ist der Behörde ein einziger bekannt: Ein Syrer fuhr mit seiner Tochter kurzzeitig nach Hause, weil das Mädchen sich nach der daheim gebliebenen Mutter sehnte. Es gibt allerdings Anzeichen, dass es doch viel mehr Fälle gibt.

Bikinimädchen entsteigen der Brandung, junge Männer jagen auf Jetskis über die Wellen, Palmen und Sonnenschirme am Strand. „Syria – Always beautiful“, unter diesem Slogan wirbt das syrische Tourismusministerium derzeit mit einem PR-Video, das Medien weltweit mit Verwunderung über die verzerrte Realität des Regimes von Diktator Assad kommentierten.

Die Reklame-Aufnahmen aus dem Mittelmeer-Resort Tartus, rund 100 Kilometer westlich der zerstörten Bürgerkriegsstadt Homs, dürfte der syrische Flüchtling aus Würzburg allerdings nicht im Kopf gehabt haben. Den Mann trieb das Heimweh seiner kleinen Tochter, als er die Reise in sein zerrüttetes Heimatland antrat. Denn er hatte Syrien ohne seine Ehefrau verlassen, in der Hoffnung sie bald nachholen zu können. Doch als sich das Verfahren in der Bundesrepublik hinzog, litt das Mädchen immer stärker unter der Trennung von der Mutter. Vater und Tochter fuhren für einige Tage nach Hause, kehrten später wieder zurück nach Würzburg.

Eine extrem ominöse Geschichte.

Richard Paul, Geschäftsführer der Arbeitsagentur Donauwörth

Eine Geschichte, wie sie nur selten publik wird. Bekannt wird sie nur, weil der Syrer arbeitslos gemeldet war. Wer Leistungen von der Bundesanstalt für Arbeit (BA) bezieht, hat zwar ein Recht auf 21 Tage „Ortsabwesenheit“, wie die drei Wochen Urlaub im Amtsdeutsch heißen. Der Arbeitslosengeldbezieher muss sie aber von seinem Kundenbetreuer im Jobcenter absegnen lassen. „Wir konnten diese Geschichte kaum glauben. Man fragt sich: Wie kann das sein?“, sagt Richard Paul, seit Anfang September Geschäftsführer der Arbeitsagentur-Niederlassung in Donauwörth, der zuvor mehr als zehn Jahre in Würzburg tätig war. Es gebe im Alltag auf dem Amt jedoch „Konstellationen, die fasst man gar nicht“. Asylbewerber, die in ihre angeblich lebensbedrohliche Heimat zurückkehren – Paul meint: „Kein Massenphänomen, das sind krasse Einzelfälle.“

Flüchtlinge auf Heimaturlaub

Der Würzburger Fall ist auch der bislang einzige, der in Bayern bekannt ist. Das ergab eine Recherche des Bayernkurier in sämtlichen Niederlassungen der BA im Freistaat. Zuvor hatte die Welt am Sonntag von Flüchtlingen auf Heimreise aus Berlin berichtet. Eine Sprecherin der Bundesanstalt in Nürnberg hatte bestätigt: „Es gibt solche Fälle.“ Die Behörde führe darüber jedoch keine Statistiken. Zudem sei sie aus Datenschutzgründen nicht zur Weitergabe von Fällen an das für die Asylverfahren zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) berechtigt, sollte ein ALG-Bezieher vorübergehend nach Hause reisen und dies einem BA-Mitarbeiter auch noch mitteilen.

Ich habe die Geschichte gelesen und mich gewundert, dass jemand, der bedroht ist, in seine Heimat reist.

Reinhold Huber, BA Kempten-Memmingen

Dass es sich trotz mutmaßlicher Dunkelziffer eher um Ausnahmen im Heer der bundesweit derzeit rund 495.800 Asylbewerber handelt (Stichtag: 30. Juni 2016), legt die Bayernkurier-Recherche nahe. Flüchtlinge auf Heimaturlaub? Brigitta Teder von der Arbeitsagentur in Traunstein sagt: „In unserem Bereich, der vier Landkreise umfasst, haben wir einen solchen Fall noch nicht gehabt.“ Reinhold Dauerer von der Agentur in Schwandorf erklärt: „Nie von so einem Fall gehört. Mein Eindruck ist, dass die meisten von denen sehr froh sind bei uns und nicht zurückwollen.“ Claudia Suttner aus der Agentur in Ansbach-Weißenburg berichtet: „Sowas ist mir nicht zu Ohren gekommen. Aber ich bin mir sicher, dass ich das mitkriegen würde, wenn es so etwas gäbe.“ Reinhold Huber von der Agentur Kempten-Memmingen sagt: „Ich habe die Geschichte gelesen und mich gewundert, dass jemand, der bedroht ist, in seine Heimat reist. Daraufhin habe ich unter meinen Kollegen herumgefragt. Aber kein einziger hat von einem solchen Fall gewusst oder gehört.“

Das Recht jedes Arbeitslosen auf Freizeit

Die Liste ähnlicher Stellungnahmen ließe sich fortsetzen. Ähnlich wie diese Arbeitsagentur-Mitarbeiter äußerten sich auch Kollegen in den Niederlassungen Aschaffenburg, Schweinfurt, Bamberg-Coburg, Nürnberg, Fürth, Regensburg, Augsburg, Freising, München, Weilheim, Rosenheim und Passau. Aus der Regionaldirektion Bayern mit Sitz in Nürnberg lässt ein Sprecher verlauten, über solche Vorgänge lägen keine Daten vor. Entscheidend für die Sachbearbeiter in den Agenturen sei auch nicht, wo Arbeitslosengeld-Bezieher ihre freie Zeit verbringen – sondern dass sie im Fall eines Jobangebots schnell zur Stelle sind.

Die Aufregung um das Thema ist speziell in sozialen Netzwerken dennoch groß. Einer Meldung der Presseagentur dpa zufolge prüfen die deutschen Behörden nun einen Informationsaustausch zu Reisen von Flüchtlingen in ihre Heimatländer. In Einzelfällen informieren Ausländerbehörden und die Bundespolizei, teilte eine Sprecherin des BAMF mit. Vor allem bei der Ein- oder Ausreise über Flughäfen oder an den Grenzen würden Meldungen gemacht. Reisen in den Verfolgerstaat könnten nach einer Prüfung des Falles zur Aberkennung des Schutzstatus führen. Es gebe freilich „durchaus nachvollziehbare Gründe“ für eine kurzzeitige Rückkehr, sagte die Sprecherin, etwa die schwere Erkrankung eines nahen Verwandten. „Handelt es sich jedoch um eine Reise zu Urlaubszwecken, kann dies ein Indiz dafür sein, dass bei dem Flüchtling keine Furcht vor Verfolgung vorliegt.“ Den Nachweis dafür zu führen, dürfte jedoch schwierig werden.

189 Flüchtlinge in der Schweiz verlieren den Asylstatus

In der Schweiz gehen die Flüchtlingsbehörden schon seit längerem restriktiv mit solchen Fällen um. Einer Mitteilung des Staatssekretariats für Migration (SEM) haben dort im vergangenen Jahr 189 Flüchtlinge ihren Asylstatus verloren, weil sie nach Hause gefahren waren. Davon stammten 63 aus dem Irak, 21 aus Vietnam, 20 aus Bosnien-Herzegowina, 17 aus der Türkei, 14 aus Tunesien und 7 aus Eritrea. Die 189 Aberkennungen sind laut SEM eine Höchstmarke, im Jahr 2012 lag die Zahl in der Schweiz bei 35, im Jahr 2010 bei 85.

Auch in Deutschland scheint es viel mehr dieser Urlaubs-Fälle zu geben, als der Bundesanstalt für Arbeit bekannt sind. Wie aus Sicherheitskreisen inoffiziell zu hören ist, gibt es solche Fälle von heimurlaubenden Asylbewerbern in großer Zahl. Dies sei schon zu Zeiten der Jugoslawienkriege in den 90er Jahren so gewesen und daran habe sich bis heute nichts geändert.