Das Wahldesaster der CDU in Mecklenburg-Vorpommern erlebte die Kanzlerin auf dem G20-Gipfel in China mit. (Foto: imago/ITAR-TASS)
CDU in der Krise

Flüchtlingspolitik als Ventil für Systemkritik

CSU-Parteichef Seehofer hat Kanzlerin Merkel angesichts des Wahldebakels der CDU in Mecklenburg-Vorpommern zum sofortigen Kurswechsel aufgefordert und ihr eine Frist bis Oktober gesetzt. Auch viele weitere Unions-Politiker fordern, die CDU müsse wieder die konservativen Stammwähler in den Mittelpunkt rücken. Der Dresdener Politologe Patzelt wirft der CDU-Führung Arroganz vor.

Nach dem Wahldebakel der CDU bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern kommt aus der CSU scharfe Kritik am Kurs von Kanzlerin Merkel. „Die Lage für die Union ist höchst bedrohlich“, die Menschen wollten „diese Berliner Politik nicht“, sagte Horst Seehofer in der Süddeutschen Zeitung.

Die Menschen fühlten sich nicht mehr mitgenommen. Die Flüchtlingspolitik sei dabei nur ein Ventil, die Problematik liege wesentlich tiefer. Er sei überzeugt, „dass dahinter eine Systemkritik steckt“. Seine „mehrfache Aufforderung zur Kurskorrektur“ in der Flüchtlingspolitik sei nicht aufgenommen worden, das „desaströse“ Wahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern sei eine Folge davon.

Klare inhaltliche Orientierung

Der CSU-Chef forderte von Merkel eine „inhaltlich klare Orientierung“ bei mehreren Themen und setzte dafür eine Frist: „Steuern, innere Sicherheit, Rente, Zuwanderung – spätestens September, Oktober muss eine Klärung her. Dann müssen wir sehen, ob wir uns einigen können mit der CDU.“ Die CSU hat noch nicht entscheiden, ob sie eine weitere Kanzlerkandidatur Merkels 2017 unterstützt. Erst die Themen, dann die Personalien lautet hier das Motto.

„Ich muss nicht mal ein Wort meiner damaligen Äußerungen umstellen“, betont Seehofer mit Blick auf Merkels Grenzöffnung für Flüchtlinge vor genau einem Jahr. Er müsse keine seiner Aussagen zur Flüchtlingspolitik korrigieren. „Wir hatten eine erste gute Halbzeit der großen Koalition. Dieser Weg ist bekanntlich im Spätsommer 2015 durch eine andere Definition der Zuwanderungspolitik verlassen worden. Die CSU wurde darüber weder informiert, noch war sie daran beteiligt“, so der CSU-Chef.

Botschaft muss lauten: Wir haben verstanden

Die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, sprach sich unterdessen für eine ehrliche und umfassende Analyse des Wahldebakels aus. „Es geht darum zu zeigen: Wir haben verstanden“, sagte Hasselfeldt der Neuen Osnabrücker Zeitung. Die Flüchtlingspolitik sei ein großes Thema gewesen, „aber auch Ventil für viele andere diffuse Ängste“.

„Aus einem ,Wir schaffen das‘ sollte eher ein ,Wir haben verstanden und wir ändern das‘ werden“, sagte der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) in den ARD-Tagesthemen: „Wir brauchen eine Obergrenze, wir brauchen eine wirksame Kontrolle, wir müssen endlich wissen, wer sich überhaupt in Deutschland im Land aufhält.“

Stephan Mayer (CSU), innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, sagte der Passauer Neuen Presse: „Niemand erwartet, dass die Bundeskanzlerin behauptet, dass wir es nicht schaffen würden, aber es reicht nicht, nur zu sagen, dass sich die massenhafte Zuwanderung des Jahres 2015 nicht wiederholen darf.“ Der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Max Straubinger, sagte: „Das Wording muss sich ändern. Die Gesamtunion muss deutlich machen, dass sie eine Begrenzung der Zuwanderung will.“

Klare Sprache, klares Konzept und Taten folgen lassen

Auch die CSU-Landtagsfraktion erwartet nun dringend eine Kurskorrektur von der Bundeskanzlerin in der Asylpolitik – vor allem eine Obergrenze für Flüchtlinge. Und wenn diese Obergrenze erreicht sei, müssten die Grenzen lückenlos kontrolliert und weitere Flüchtlinge zurückgewiesen werden, verlangte Fraktionschef Thomas Kreuzer. „Wenn die Zahlen jetzt wieder deutlich steigen, müssen wir das in diesem Jahr noch machen.“ Und Kreuzer schloss nicht aus, dass die Zahl neuer Flüchtlinge heuer auf 400.000 steigen könnte, auch wegen des Familiennachzugs.

Reine Worte allein reichten nicht aus, sagte Kreuzer nach Merkels Äußerungen vom Vortag. Es müsse nicht nur die Kommunikation verändert werden, sondern es müsse konkrete „Taten und Handlungen“ geben. Als Beispiel neben der Obergrenze für Flüchtlinge nannte der Fraktionsvorsitzende konsequentere Abschiebungen – auch in sichere Gegenden von Ländern wie Afghanistan.

Kritik kommt auch aus der CDU

Der Vorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak (CDU), forderte von Merkel Konsequenzen nach der verlorenen Landtagswahl. „Wir brauchen in der Flüchtlingspolitik eine klare Sprache und ein unmissverständliches Signal der Bundesregierung, dass Multikulti ein Auslaufmodell ist“, sagte der JU-Chef der in Düsseldorf erscheinenden Rheinischen Post.

Der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers zweifelt gar am Status der CDU als Volkspartei im Nordosten. Den Zeitungen der Funke Mediengruppe sagte der frühere CDU-Spitzenpolitiker: „Das Selbstverständnis einer Volkspartei hängt nicht allein von Wahlergebnissen ab. Aber es hängt davon ab, ob sie überall in der Gesellschaft vertreten ist. Das ist man mit 19 Prozent natürlich nicht mehr.“

Arroganz der CDU gegenüber konservativen Stammwählern

„Die Arroganz und der Hochmut der CDU haben den Erfolg der AfD überhaupt erst möglich gemacht“, diagnostizierte der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der TU Dresden im Focus. „Die CDU hat es seit Jahren vernachlässigt, den rechten Rand der Wählerschaft an sich zu binden  – und auf diese Weise eine Partei rechts von sich entstehen lassen.“

Patzelt erinnerte an das „Mantra von Franz Josef Strauß, genau das nicht zuzulassen“. Dies sei im Norden Deutschlands gern als „bayerische Dummheit abqualifiziert“ worden. „Doch dumm ist in Wirklichkeit, jetzt als CDU ein ähnliches Problem zu haben wie die SPD“, kritisierte der Politikwissenschaftler.

Geht es der CDU ähnlich wie der SPD?

Die heutige Schwäche der Sozialdemokraten gehe nämlich darauf zurück, dass es mit der Linken und den Grünen inzwischen zwei wählbare Alternativen zur SPD gibt. „Das beschneidet das Wählerpotenzial der SPD enorm – und in Baden-Württemberg sehen wir, in welche Machtlosigkeit das führen kann“, so Patzelt.

Als Beispiele nannte der Politologe die Themen Kernenergie, Familienmodell oder Einwanderungspolitik, wo Merkel Positionen der SPD und der Grünen übernommen habe. „Es gab also eine Art Frontbegradigung nach links, doch keine kompensierende Integration nach rechts“, stellte Patzelt fest. „Die Konservativen in der Union wurden vielmehr marginalisiert. Seit Jahren fühlen sie sich als fünftes Rad am Wagen; da muss man sich nicht wundern, wenn sie sich irgendwann einem anderen Gefährt einfügen“, sagte er mit Blick auf die AfD.

Kauder bremst Kritik in Unionsfraktion

Bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern war die CDU nur noch auf 19 Prozent gekommen und damit erstmals hinter die AfD (20,8 Prozent) zurückgefallen. Ungeachtet des Erfolgs der Rechtspopulisten gab es bei einer Sitzung der Unionsfraktion im Bundestag aber keine offene Kritik an der Flüchtlingspolitik von CDU-Chefin Merkel.

Zwar sei die Stimmung der Abgeordneten gedämpft gewesen, hieß es aus Teilnehmerkreisen. Es habe aber eine ruhige Diskussion und kein „Scherbengericht“ für Merkel gegeben. Fraktionschef Volker Kauder (CDU) habe den Zusammenhalt der Union angemahnt. Merkel nahm an der Sitzung nicht teil, sie war auf der Rückreise vom G20-Gipfel in China.

(dpa/Focus Online/wog)