Zaun oder kein Zaun, das ist hier eigentlich keine Frage: Oktoberfest-Eingang 2015. (Bild: avd)
Oktoberfest 2016

Münchner SPD gegen mobilen Wiesn-Zaun

Auf dem nächsten Oktoberfest wird es keine mobilen Zäune an der Theresienhöhe für eine kurzfristige Komplettsperrung bei drohender Überfüllung geben. Der Wirtschaftsausschuss der Stadt München stimmte ebenso wie der SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter am Dienstag dagegen. Es ist ein riskantes Votum gegen die ausdrückliche Empfehlung der Sicherheitsexperten und Wiesnreferent Josef Schmid (CSU).

Auf der Wiesn 2016 wird es keine mobilen Zäune an der Theresienhöhe für eine kurzfristige Komplettsperrung bei Massenandrang geben. Der Wirtschaftsausschuss der Stadt München stimmte am Dienstag nach teils reger Diskussion einer Vorlage zu mehr Sicherheit auf dem Oktoberfest zu, die den umstrittenen Vorschlag nicht mehr enthielt. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sagte, die mobilen Zäune enthielten Unwägbarkeiten, die auch er „nicht auf die Seite schieben“ könne. Beschlossen wurde aber, unter anderem die Zahl der Ordner zu erhöhen und an allen Zugängen stichprobenartig Taschen kontrollieren zu lassen.

Wiesn-Chef und Wirtschaftsreferent Josef Schmid (CSU) hatte die mobilen Zäune auf etwa 350 Meter Länge an der oberen Hangkante der Theresienhöhe vorgeschlagen, um an extremen Tagen kurzzeitig eine Komplettsperrung zu ermöglichen. Denn an allen anderen Stellen ist das Areal ohnehin bereits mit Bauzäunen und Schaustellerwagen auf rund drei Viertel des äußeren Randes des Festgeländes abgeriegelt. Zunächst sollten auch andere Maßnahmen eine Überfüllung verhindern, etwa U-Bahnen, die nicht mehr an der Theresienwiese halten oder Radiodurchsagen. Erst als letztes Mittel sollte der Zaun aufgerollt werden – im Falle einer Panik wäre er auch schnell wieder abgebaut. Für den Fall einer Panik liegt außerdem noch der weitläufige Hang zwischen dem Zaun und dem Festgelände, wo sich die Menschen verteilen könnten. Weiter waren Tore eingeplant, durch die ein Ein- und Austritt möglich gewesen wäre. Auch die ÖDP im Stadtrat erklärte, das Argument mit der Gefahr durch eine Panik sei deshalb nicht relevant.

SPD und Grüne verantworten die Sicherheitslücke

Die Entscheidung, die von SPD und Grünen zu verantworten ist, ist riskant und widerspricht den ausdrücklichen Empfehlungen der Sicherheitsexperten und der Polizei, die hier laut eigenen Angaben eine „relevante Sicherheitslücke“ sehen. Letztes Jahr wurde am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, eine „grenzwertige Überfüllung“ des Oktoberfestes festgestellt, im Jahr davor war es der zweite Wiesn-Samstag. An diesen Tagen wichen die am Haupteingang abgewiesenen Besucher auf den im Volksmund als „Kotzhügel“ bekannten Hang aus, um von dort auf die Wiesn zu gelangen.

Es geht nicht um eine permanente Sperrung des Oktoberfestes.

Josef Schmid

„Extrem schwierig“ sei die Suche nach Alternativen für den Zaun, so die Münchner Polizei, die nicht für Überängstlichkeit bekannt ist. Eine Sicherung mit Personal sei „kompliziert“. Alternativen hatte die ablehnende Stadtratsmehrheit aber sowieso nicht parat. Auch Schmid machte noch einmal klar: „Es geht nicht um eine permanente Sperrung des Oktoberfestes, sondern darum, eine Überfüllung frühzeitig zu verhindern.“ Nach den Erfahrungen der letzten beiden Jahre sei die Maßnahme aber notwendig, angemessen und erforderlich.

Die Absperrungen sollten nach dem Vorschlag des Wiesn-Chefs, zugleich Zweiter Bürgermeister der Stadt, an extremen Tagen kurzzeitig eine Komplettsperrung des Geländes ermöglichen und damit eine Überfüllung verhindern. „Dieser Zaun soll die Sicherheitslücke auf der Theresienwiese schließen“, erklärte Schmid. Er befand sich damit mit den Sicherheitsexperten und der Polizei in Übereinstimmung, die ebenfalls für die Zäune plädiert hatten. Meist gehe es nur um wenige Stunden, an denen es bedrohlich eng wird, betonten die Veranstalter.

KVR-Chef Böhle sieht Problem in fehlender Erprobung

Der neue Kreisverwaltungsreferent Thomas Böhle (SPD), der das Amt erst vergangene Woche übernommen hatte, sprach sich dafür aus, zumindest in diesem Jahr auf Zäune zu verzichten und stattdessen die Lage an den Brennpunkten direkt auf der Wiesn zu entschärfen. Die angedachten mobilen Absperrungen hätten sich zwar bei Sportveranstaltungen und Konzerten bewährt. Doch auf der Wiesn drängten die Menschen nicht nur zu Tausenden hinein, sondern gleichzeitig zu Tausenden hinaus. Es sei daher nicht klar, ob solche Zäune auf dem Oktoberfest bei einer Panik nicht sogar zu einer zusätzlichen Gefahr werden könnten.

Eine Woche davor war Böhle noch komplett anderer Ansicht und hielt das Konzept für „sachgerecht“. Nun hielt er den Vorschlag, den alle Sicherheitsbehörden gemeinsam erarbeitet hatten, für nicht „hinreichend durchdacht und belastbar“. Nach seiner unerwarteten Wende verwies Böhle auf fehlende Erprobung, es brauche erst eine Weiterentwicklung. Doch Böhles eigenes Referat hatte dieses Konzept mit erarbeitet und für gut befunden. Der Münchner Merkur berichtet zudem, dass die Münchner Allianz Arena die Rollzäune bereits seit 2006 zu ihrer vollen Zufriedenheit in Betrieb hat, gerade wegen der schnellen Auf- und Abbaumöglichkeiten.

Ich höre nichts, wie das KVR eine Überfüllung verhindern will.

Manuel Pretzl, CSU-Stadtrat

Auch die FDP und die Grünen wunderten sich über den Richtungswechsel Böhles. Doch damit nicht genug: Der SPD-Mann versuchte auch noch, Schmid den schwarzen Peter zuzuschieben. Es sei nun Aufgabe des Wirtschaftsreferates, das Konzept zu überarbeiten, so das Kreisverwaltungsreferat. Alternativen konnte es selbst aber nicht nennen. „Ich höre nichts, wie das KVR Überfüllung verhindern will“, war CSU-Stadtrat Manuel Pretzl erbost. Dabei ist jedem klar, dass die Sicherheitslücke ohne Zaun nur mit mehreren hundert Ordnern zu schließen wäre. Die Kosten dafür wären immens, ganz abgesehen davon, dass auf die Schnelle so viele ausgebildete Sicherheitsleute wohl nicht zu bekommen wären. Bliebe am Ende nur die Polizei, die aber in der derzeitigen Weltlage bei der Wiesn wichtigere Aufgaben zu erfüllen hat, als mit mehreren hundert Mann (inklusive der Schichtwechsel) auf Zuruf mit Blaulicht zum Hang zu rasen und diesen zu sichern. Der Leitende Polizeidirektor Peter Kuhn ist sich sogar sicher: „Mit Personaleinsatz schaffen wir das nicht.“

Parteipolitik statt Sicherheit für die Wiesn-Besucher?

All das legt den Schluss nahe, dass Böhle von seinem SPD-Parteifreund Reiter „eingefangen“ wurde und deshalb einknicken musste. Dafür sprechen auch die weiteren Äußerungen des roten Oberbürgermeisters. „Das nächste Mal wünsche ich mir eine erkennbar abgestimmte, mit den Stellungnahmen der zuständigen Fachstellen versehene Beschlussvorlage“, sagte der Rathaus-Chef. Er sagte das über eine erkennbar mit den zuständigen Referaten abgestimmte Beschlussvorlage, bei denen alle relevanten Fachstellen ihre Ansicht vortrugen.

Schmid: In Sicherheitsfragen sollte man auf die Experten hören

Die CSU im Stadtrat ist zwar einerseits wütend, aber noch viel mehr entgeistert ob dieser SPD-Entscheidung gegen alle Sicherheitsbedenken. Schmid akzeptierte den Beschluss, hatte aber deutliches Bauchgrimmen. Der mobile Zaun an der Hangkante zur Schwanthalerhöhe hätte eine relevante Sicherheitslücke geschlossen, so der Zweite Bürgermeister. „Alle in die Beratung des Sicherheitskonzepts involvierten Sicherheitsexperten haben dafür plädiert, diese Sicherheitslücke zu schließen. Ich akzeptiere das Votum der Mehrheit des Stadtrats, mache es mir aber ausdrücklich nicht zu eigen.“ Er sei „der festen Überzeugung, dass man gut beraten ist, in Sicherheitsfragen auf Experten zu hören“ und dankte der Münchner Polizei „für ihre klaren Worte in der heutigen Sitzung“.

Die Mehrheit des Münchner Stadtrats hat heute entschieden, der einhelligen Empfehlung der Sicherheitsexperten, die diese auf Arbeitsebene gegeben haben, nicht zu folgen. Ich halte das für einen großen Fehler.

Josef Schmid

Die Veranstalter werben nun auch verstärkt dafür, nicht am Wochenende zu kommen. Gerade von Freitag bis Sonntag ist der Andrang der Gäste aus Deutschland in den vergangenen Jahren gestiegen. Im Internet veröffentlicht die Stadt zum Fest ein „Wiesn-Barometer“, das stark und weniger besuchte Zeiten angibt und damit einen entspannten Wiesnbesuch besser planbar machen soll. All das wird jedoch an den stark besuchten Wiesn-Tagen kaum helfen.

Kritik an OB Reiter

Felix Müller kommentierte im Münchner Merkur die SPD-Wende so: „Parteienstreit ist wichtig. Er kann Politik unterhaltsam machen. Und er ist für eine Demokratie unerlässlich, schließlich muss der Wähler Konzepte erkennen können, zwischen denen er sich entscheidet. Doch es gibt Themen, die eignen sich nicht für diese Art der Auseinandersetzung. Eines dieser Themen ist die Sicherheit auf der Wiesn. Die Zeiten sind zu ernst, als dass man mit ihr spielen sollte.“

Was am Dienstag im Münchner Rathaus aufgeführt wurde, war ein unwürdiges Schauspiel. Einen neuen Zaun an der Theresienwiese zu fordern, war nicht populistisch. Im Gegenteil: Viele Münchner hätten erst einmal ein ungutes Gefühl bekommen. Der Plan von Wiesn-Chef Schmid war aber wohldurchdacht.

Felix Müller, Münchner Merkur

Sein Fazit für den verabschiedeten Lücken-Plan fällt so aus: „Man könnte sagen: Der Plan endet allen Warnungen zum Trotz dann, wenn es auf der Theresienwiese wirklich ernst zu werden droht. Bleibt zu hoffen, dass es trotzdem auch an den Wochenenden zu keinem gefährlichen Gedränge kommt (von der terroristischen Gefahr ganz zu schweigen). Und, dass es dem Münchner Rathaus in Zukunft gelingt, den Eindruck zu vermeiden, man spiele parteipolitische Spielchen auch dort, wo man einfach auf die Experten hören sollte.“

Sicherheitspaket beschlossen

Mit dem verabschiedeten millionenschweren Maßnahmenbündel will die Stadt München 2016 für mehr Sicherheit auf dem Oktoberfest sorgen. Mehr als die Terrorangst bereitet den Veranstaltern des größten Volksfestes der Welt (17. September bis 3. Oktober) aber eine mögliche Überfüllung Kopfzerbrechen.

Rund 100 Ordnungskräfte, Lautsprecherdurchsagen, stichprobenartige Taschenkontrollen an allen Zugängen und als letzte Möglichkeit eine kurzzeitige Schließung der Zugänge zum Fest gehörten zu dem Konzept, über das der Wirtschaftsausschuss der Stadt nun beraten hat. Allein für die zusätzliche Bewachung muss die Stadt voraussichtlich 2,2 Millionen Euro mehr ausgeben als im Vorjahr. Die Stadt habe „wegen der logistischen Herausforderungen und der Eilbedürftigkeit“ und unter Einberechnung der erhöhten Unterbringungskosten Stundensätze von 60 Euro akzeptieren müssen.