Türken attackieren Bundestag wegen „Völkermord“-Begriff
Der Bundestag will die Verbrechen des Osmanischen Reiches an den Armeniern im Ersten Weltkrieg in einer Resolution als „Völkermord“ bezeichnen. Die Türkei versucht, mit Demonstrationen und Massenbriefen ihrer Lobby-Organisationen, Abgeordnete unter Druck zu setzen. Ausgerechnet SPD-Vizeparteichefin Özoguz stützt die aggressive Erdogan-Fraktion. Die Art und Weise des Protests erschreckt.
Armenier-Resolution

Türken attackieren Bundestag wegen „Völkermord“-Begriff

Der Bundestag will die Verbrechen des Osmanischen Reiches an den Armeniern im Ersten Weltkrieg in einer Resolution als „Völkermord“ bezeichnen. Die Türkei versucht, mit Demonstrationen und Massenbriefen ihrer Lobby-Organisationen, Abgeordnete unter Druck zu setzen. Ausgerechnet SPD-Vizeparteichefin Özoguz stützt die aggressive Erdogan-Fraktion. Die Art und Weise des Protests erschreckt.

Türkische Lobbygruppen haben in Berlin gegen die geplante Armenien-Resolution des Bundestags protestiert. Rund 1000 Menschen zogen nach Polizeiangaben vom Potsdamer Platz zum Brandenburger Tor. „Der Bundestag ist nicht zuständig! Parlamente sind keine Gerichte!“, hieß es auf Transparenten. Die Demonstranten, von denen viele türkische Flaggen und vorgedruckte Plakate und Transparente schwenkten, protestieren dagegen, dass in der Resolution die Massaker an den Armeniern 1915 im Osmanischen Reiche als „Völkermord“ eingestuft werden.

Der Bundestag will die gemeinsame Resolution von Union, SPD und Grünen am Donnerstag dennoch verabschieden, auch um sich der deutschen Mitverantwortung durch das damalige Deutsche Kaiserreich zu stellen. Nach Schätzungen kamen bei den Massakern des Osmanischen Reiches an den Armeniern vor 101 Jahren zwischen 800.000 und 1,5 Millionen Angehörige der christlichen Minderheit ums Leben.

Anders als in der Türkei muss hier kein Abgeordneter Angst haben, ins Gefängnis geworfen oder gar ermordet zu werden.

Cem Özdemir

Viele Bundestagsabgeordnete werden derzeit auch persönlich von türkischen Organisationen unter Druck gesetzt. Pro-türkische und Pro-Erdogan-Lobby-Organisationen rufen dazu auf, ein vorformuliertes Schreiben an die Fraktionen zu verschicken. Darin wird vor Folgen „für das friedvolle Zusammenleben zwischen Deutschen und Türken hierzulande, aber auch in der Türkei“ gewarnt, falls der Bundestag die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915 als Völkermord einstuft. Verwiesen wird darin auf die mehr als 30.000 Deutschen, die sich in der Region Antalya niedergelassen haben – eine mehr oder weniger direkte Drohung gegen deutsche Staatsangehörige. Von armenischen Organisationen gingen im Gegenzug viele E-Mails bei Abgeordneten ein mit der Forderung, sich dem Druck der türkischen Seite nicht zu beugen.

Erdogan-Anhänger beschimpfen deutsch-türkische Abgeordnete

Unter besonderem Druck stehen offenbar Bundestagsabgeordnete mit türkischen Wurzeln. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir berichtete von Beschimpfungen und Drohungen an seine Adresse: „Es sind immer die gleichen Ausdrücke: Verräter, Armenierschwein, Hurensohn, armenischer Terrorist und sogar Nazi.“ Özdemir fügte an, dies dürfe trotzdem dürfe keine Ausrede sein: „Anders als in der Türkei muss hier kein Abgeordneter Angst haben, ins Gefängnis geworfen oder gar ermordet zu werden.“ Die Dokumente des Auswärtigen Amtes über die Massaker an den Armeniern seien eindeutig, sagte Özdemir. „Nach dem Beschluss des Bundestags wird es für die Türkei viel schwerer, den Völkermord noch länger zu leugnen.“

Bereits im Titel des gemeinsamen Antrags von Union, SPD und Grünen wird der von Ankara scharf abgelehnte Begriff „Völkermord“ erwähnt. Die Überschrift der Bundestagsdrucksache lautet: „Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten im Osmanischen Reich vor 101 Jahren.“ Weiter heißt es: „Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gekennzeichnet ist.“ Ebenso wird in der Begründung des Antrags darauf verwiesen, dass „zahlreiche unabhängige Historiker“ die Geschehnisse vor hundert Jahren als Völkermord werten – übrigens auch das 2001 von der armenisch-türkischen Versöhnungskommission eingesetzte „International Center of Transitional Justice“, das alle Voraussetzungen der UN-Genozidkonvention als erfüllt ansah.

Koalition rechnet nicht mit gravierenden außenpolitischen Folgen

Derweil rechnen Union und SPD nicht mit gravierenden außenpolitischen Folgen, sollte die Resolution wie geplant verabschiedet werden. Die beiden Regierungsfraktionen wollen den Antrag gemeinsam mit den Grünen beschließen. Für Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) kann der Völkermord-Beschluss demnach zu einer Aussöhnung beitragen: „Wir wollen an der Aufarbeitung mit dem Ziel mithelfen, das Trennende zwischen Armeniern und der Türkei zu überwinden.“

Es geht uns nicht darum, dass die türkische Regierung eine Schuld am Völkermord eingesteht, sondern dass sie sich zu ihrer historischen Verantwortung bekennt.

Franz Josef Jung

Der für Außenpolitik zuständige stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Unionsfraktion, Franz Josef Jung, sagte der FAZ: „Ich kann die ganze Aufregung nicht so recht verstehen: Schon vor einem Jahr haben sowohl der Bundestagspräsident als auch der Bundespräsident die Verbrechen eindeutig als Völkermord bezeichnet, und damals hat die Türkei auch nicht überreagiert. Warum sollte es jetzt anders sein?“ Der CDU-Politiker bekräftigte, „dass wir die Türkei nicht auf die Anklagebank setzen wollen. Es geht uns nicht darum, dass die türkische Regierung eine Schuld am Völkermord eingesteht, sondern dass sie sich zu ihrer historischen Verantwortung bekennt.“

Mindestens drei SPD-Abgeordnete knicken vor Erdogan ein

Peinlich hingegen die Anbiederung von drei SPD-Abgeordneten an das Erdogan-Regime: Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) wird der Abstimmung wegen einer Auslandsreise, die er ganz gewiss auch anders hätte planen können, fernbleiben. Der türkischstämmige SPD-Abgeordnete Mahmut Özdemir machte einen Kotau in Richtung Erdogan-Regime, kritisierte die geplante Resolution und kündigte an, der Bundestagsabstimmung fernzubleiben.

Die anstehende Verabschiedung der Armenier-Resolution durch den Bundestag kann keine geschichtliche Aufarbeitung zwischen der Türkei und Armenien verhindern, da es diesen Prozess auf ausdrückliche Intervention von Erdogan hin nicht gibt.

Cem Özdemir

Die stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Aydan Özoguz, fatalerweise auch noch Staatsministerin im Kanzleramt und „Integrationsbeauftragte“ der Bundesregierung, behauptete in der ARD, die Resolution würde eine gemeinsame Aufarbeitung von Türken und Armeniern „verhindern“ und „in weite Ferne rücken“. Özoguz sagte, es sei „zu erwarten, dass durch diese Abstimmung Türen eher zugeschlagen und die geschichtliche Aufarbeitung zwischen der Türkei und Armenien sogar verhindert wird“. Außerdem unterstellt Özoguz den Initiatoren der Abstimmung politische Motive: „Die Instrumentalisierung dieses Themas ärgert mich.“ Warum sie trotz dieser massiven Kritik dennoch offenbar plant, der Resolution zuzustimmen, erklärte sie nicht.

Ausgerechnet der Grüne Özdemir sagte der „Süddeutschen Zeitung„, was von Özuguz Äußerungen zu halten ist: „Die anstehende Verabschiedung der Armenier-Resolution durch den Bundestag kann keine geschichtliche Aufarbeitung zwischen der Türkei und Armenien verhindern, da es diesen Prozess auf ausdrückliche Intervention von Erdogan hin nicht gibt.“ Mangelnde Aufarbeitung sei „also gerade kein Argument gegen die Resolution, sondern eines dafür“, sagte Özdemir. Der Armenien-Antrag unterstütze „die Aussöhnung, indem er unter anderem den Mut der türkischen Zivilgesellschaft ausdrücklich betont“.

(dpa/FAZ/BamS/wog)