Skepsis vor dem EU-Türkei-Gipfel
Österreichs Außenministerin lehnt ein Abkommen mit Ankara "um jeden Preis" ab und warnt die EU davor, ihre eigenen Werte aufzugeben. Kritisch äußert sich auch die CSU: Es dürfe weder ein Flüchtlings-Abkommen zu Lasten Deutschlands geben noch eine EU-Mitgliedschaft der Türkei. Eine Mehrheit der Deutschen zweifelt an der Wirksamkeit der geplanten Vereinbarungen.
Flüchtlingskrise

Skepsis vor dem EU-Türkei-Gipfel

Österreichs Außenministerin lehnt ein Abkommen mit Ankara "um jeden Preis" ab und warnt die EU davor, ihre eigenen Werte aufzugeben. Kritisch äußert sich auch die CSU: Es dürfe weder ein Flüchtlings-Abkommen zu Lasten Deutschlands geben noch eine EU-Mitgliedschaft der Türkei. Eine Mehrheit der Deutschen zweifelt an der Wirksamkeit der geplanten Vereinbarungen.

Kurz vor Beginn der erneuten Verhandlungen zwischen der EU und der Türkei hat sich die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner skeptisch über das Zustandekommen eines ein Flüchtlingsabkommens geäußert. „Natürlich müssen wir mit der Türkei zusammenarbeiten, aber nicht um jeden Preis“, sagt Mikl-Leitner im ZDF-Morgenmagazin.

Die Türkei dürfe nach Einschränkungen der Pressefreiheit nicht mit Verhandlungen für eine Visa-Liberalisierung belohnt werden, betonte die Politikerin. „Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir uns noch ernst nehmen.“ Die EU dürfe bei einem Deal mit Ankara nicht die eigenen Werte über Bord werfen.

Der Spiegel zieht seinen Korrespondenten ab

Wie schlecht es inzwischen in der Türkei um Grundrechte wie die Meinungs- und Pressefreiheit bestellt ist, zeigt der Fall des Spiegel-Korrespondenten Hasnain Kazim. Er werde das Land verlassen und künftig von Wien aus berichten, erklärte er gegenüber dpa. „Die Türkei hat mir die Akkreditierung als Korrespondent verweigert“, so Kazim. Er habe seinen Presseausweis für dieses Jahr vor mehr als drei Monaten beantragt. Offiziell werde der Antrag weiterhin bearbeitet. Weder er noch der Spiegel rechneten aber damit, dass er noch bewilligt werde. Kazim übte Kritik an der Regierung in Ankara. „Ich glaube, von Pressefreiheit kann man in der Türkei schon seit langem nicht mehr sprechen.“ Bereits im vergangenen Jahr war der Türkei-Korrespondent der FAZ nach Athen gezogen.

Zum zweiten Mal in diesem Monat kommen die EU-Chefs heute in Brüssel zusammen. Im Mittelpunkt des Gipfels stehen die Verhandlungen mit der Türkei über ein Flüchtlingsabkommen. Ziel der EU ist es, den Flüchtlingszustrom nach Europa einzudämmen. Der Pakt mit Ankara ist wegen zahlreicher Bedenken in vielen Mitgliedstaaten umstritten und deshalb noch nicht in trockenen Tüchern. Kanzlerin Angela Merkel hatte vor dem Treffen für das Abkommen geworben und weitere Milliardenhilfen für die Türkei in Aussicht gestellt.

CSU-Generalsekretär Scheuer warnt vor „Deutschland-Türkei-Pakt“

Die CSU hat ebenfalls große Zweifel am Zustandekommen und der raschen Wirkung eines EU-Türkei-Abkommens zur Lösung der Flüchtlingskrise. Unter anderem sei offen, wie die geplanten Flüchtlingskontingente innerhalb der EU verteilt werden könnten, die der Türkei abgenommen werden sollen, sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Zeige sich, dass lediglich ein Deutschland-Türkei-Pakt herauskomme, werde dies die Probleme nur verstärken. Scheuer bezweifelte auch, dass die Verhandlungen über Visaerleichterungen wie geplant bis zum Sommer abgeschlossen werden könnten. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer hatte bereits deutlich gemacht, dass seine Partei „keine EU-Vollmitgliedschaft“ der Türkei und „keine volle Visa-Freiheit“ wolle.

Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans erläuterte in Brüssel Einzelheiten des geplanten Abkommens und Forderungen der EU: So verlange die EU-Kommission Garantien für Flüchtlinge. „Der Fall jeder einzelnen Person, die um internationalen Schutz bittet, muss für sich geprüft werden“, sagte Timmermans. „Es muss ein persönliches Gespräch geben (…) und die Person muss immer ein Recht auf Berufung haben“, erklärte er und fügte hinzu: „Lassen Sie mich glasklar sein: Es kann keine Pauschal-Rückführungen geben.“ UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi hatte zuvor Bedenken gegen pauschale Rückführungen angemeldet.

Türkei soll irreguläre Migranten zurücknehmen

Nach der Grundsatzvereinbarung zwischen der EU und der Türkei sollen alle „irregulären Migranten“ aus Griechenland in die Türkei zurückgeschickt werden. Für jeden Syrer, der dabei in die Türkei zurückkehrt, soll die EU einen Syrer aufnehmen.Diese Vereinbarung soll nach den Worten von Timmermans aber nur vorübergehend gelten. „Das kann keine unbefristete Verpflichtung vonseiten der EU sein“, sagte ein Diplomat laut dpa-Bericht. Das sogenannte Eins-zu-Eins-Verfahren solle zu einem späteren, bisher nicht genau festgelegten Zeitpunkt durch eine Umsiedelung auf freiwilliger Basis abgelöst werden. In einer bereits vorab formulierten gemeinsamen Erklärung der EU und der Türkei heißt es, dass zunächst 72.000 Plätze für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt werden sollen, die auf bereits bestehenden Zusagen beruhten.

Nach der geplanten Vereinbarung würden künftig nahezu alle Flüchtlinge, die auf die griechischen Inseln übersetzen, wieder in die Türkei zurückgeschickt werden. Nur Migranten, für die die Türkei kein sogenanntes „sicheres Drittland“ ist, könnten in der EU bleiben. Dafür müssten sie sich in Griechenland gegen ihre Ausweisung wehren und Gehör finden – denkbar wäre dies vielleicht bei syrischen Kurden. Die Einstufung der Türkei als sicheren Hafen für Asylsuchende will die EU Griechenland überlassen. Athen müsste dazu feststellen, dass die Türkei Schutzstandards für Flüchtlinge vorsieht, die denen der Genfer Konvention entsprechen, erläuterten Mitarbeiter der EU-Kommission. Timmermans sagte, er gehe davon aus, dass sowohl griechisches als auch türkisches Recht geändert werden müssten.

Die meisten Deutschen glauben nicht an das Abkommen

Bei der deutschen Bevölkerung überwiegen die Zweifel an der Wirksamkeit des geplanten Abkommens. In einer repräsentativen N24-Emnid-Umfrage befürchten 71 Prozent der Befragten, dass ein Deal mit der Türkei den Flüchtlingsandrang nicht nachhaltig begrenzen wird. Nur 26 Prozent der Deutschen glauben an eine dauerhafte Eindämmung des Flüchtlingszustroms.

(mit Material von dpa)