Slutwalks wenden sich in München gegen die Verharmlosung von sexualisierter Gewalt. (Bild: imago/Ralph Peters)
Gesetzesänderung

Lücken im Sexualstrafrecht

Die Verschärfung des Sexualstrafrechtes ist ein Erfolg, geht aber noch nicht weit genug. Lücken im Sexualstrafrecht konnten geschlossen werden und das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wurde verbessert. Straftaten wie in Köln aus einer Gruppe heraus stoßen jedoch auf Beweisprobleme. Hamburg legt darum einen weiteren Gesetzentwurf mit dem Tenor "Nein heißt Nein" vor.

Die von der Bundesregierung jetzt beschlossene Verschärfung des Sexualstrafrechts geht jetzt zur Lesung und Abstimmung in den Bundestag.

Wer eine andere Person sexuell missbraucht, die „aufgrund der überraschenden Begehung der Tat zum Widerstand unfähig ist“, soll danach mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft werden, heißt es im Entwurf. Daneben werden auch solche Fälle strafbar, in denen das Opfer sich nicht wehrt, weil es mit negativen Konsequenzen rechnet. Angelika Niebler (CSU), Landesvorsitzende der Frauen-Union begrüßt deshalb die Verschärfung, die von der Frauen-Union Bayern bereits vor der Kölner Silvesternacht gefordert wurde.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass sexuelle Handlungen unter bestimmten Voraussetzungen auch dann unter Strafe gestellt werden, wenn der Täter keine Gewalt angewendet oder damit gedroht hat. Das ist eine wichtige Entscheidung zugunsten der Opfer, für die sich die Gruppe der CSU-Frauen im Bundestag schon seit längerem stark gemacht hatte.

Angelika Niebler (CSU), Landesvorsitzende der Frauen-Union

Lücken bleiben

Doch auch nach dem neuen Gesetzentwurf müssen Opfer vor Gericht rational begründen, warum sie sich nicht gewehrt haben. Denn der Straftatbestand der Vergewaltigung ist nur dann erfüllt, wenn sich das Opfer subjektiv als schutzlos empfindet oder der Täter einen „Überraschungsmoment“ ausnutzt. Hamburg hat deshalb eine Bundesratsinitiative gestartet, die über die Pläne des Bundes hinausgeht. „Wir wollen, dass der Grundsatz ‚Nein heißt Nein‘ bei der Reform des Sexualstrafrechts Leitformel wird“, sagte Justizsenator Till Steffen. Dafür müsse jedoch das komplette Sexualstrafrecht überarbeitet werden und nicht nur einzelne Paragrafen, argumentiert das SPD-geführte Bundesjustizministerium in seinem Entwurf.

„Istanbuler Konvention“ gefordert

Nach dem vom rot-grün regierten Hamburg vorgelegten Antrag soll Deutschland auch die sogenannte Istanbuler Konvention ratifizieren und umsetzen. Nach der „Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“ des Europarats wird jede nicht einverständliche sexuelle Handlung unter Strafe gestellt. Dabei solle die Strafbarkeit auch solche Handlungen umfassen, bei denen die Opfer keinen Widerstand leisten. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Konvention gezeichnet und beabsichtigt, sie zu ratifizieren.

CSU sieht noch Handlungsbedarf

Im nun anstehenden parlamentarischen Verfahren sieht auch Michael Frieser, Demografiebeauftragter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion noch Handlungsbedarf. Insbesondere im Hinblick auf sexuelle Belästigungen, die nicht die Grenze zur sexuellen Nötigung überschreiten. Teilweise massive und traumatisierende Übergriffe dürfen laut Frieser in Zukunft nicht als „harmloses Grabschen“ abgetan werden. Diese Forderung unterstützt auch die Vorsitzende der oberfränkischen Frauen-Union, Bundestagsabgeordnete sowie frühere Richterin und Staatsanwältin, Silke Launert. Ebenso sei ein Tatbestand denkbar, der den bestraft, der sich aus einer Gruppe heraus an sexuellen Handlungen an einer anderen Person beteiligt. Damit wären dann auch Taten wie in Köln abgedeckt, ohne dass man jedem Beteiligten seinen konkreten persönlichen Tatanteil nachweisen muss.

Die Gerichte ziehen den Beleidigungstatbestand aber nicht selten als ‚Krücke‘ heran, also um eine Lücke im Strafrecht zu überbrücken.

Winfried Bausback

Bayerns Justizminister Prof. Dr. Winfried Bausback lehnt die vorgesehene Streichung des besonders schweren Falls bei einer Nötigung zu sexuellen Handlungen ab. „Fälle, in denen Opfer genötigt oder erpresst werden, sexuelle Handlungen an sich selbst vorzunehmen, könnten dann nicht mehr so hart bestraft werden wie bisher“, so Bausback. „Vor allem im Bereich des Internets kommt es häufig vor, dass gerade jugendlichen Opfern mit der Veröffentlichung kompromittierender Bilder gedroht wird, wenn sie nicht sexuelle Handlungen an sich vornehmen. Für diese Fälle des sogenannten ‚Sextings‘ muss das Strafrecht weiterhin eine klare und scharfe Antwort haben!“ Ein weiteres Defizit des Entwurfs sei, dass er Fälle nicht erfasse, in denen der Täter eine erheblich verminderte Widerstandsunfähigkeit des Opfers zur Vornahme sexueller Handlungen ausnutze. „Gerade zum Schutz geistig behinderter Menschen müssen solche Täter strafrechtlich belangt werden können“, betont Bausback. Schutzdefizite sieht der bayerische Justizminister zudem bei sexuellen Belästigungen körperlicher Art, welche die sog. „Erheblichkeitsschwelle“ nicht überschreiten: „Ich denke dabei vor allem an flüchtige Griffe an die Geschlechtsteile, also das sogenannte Begrapschen.“ Zwar könne ein solches Verhalten häufig als Beleidigung sanktioniert werden. „Die Gerichte ziehen den Beleidigungstatbestand aber nicht selten als ‚Krücke‘ heran, also um eine Lücke im Strafrecht zu überbrücken“, so Bausback. „Diese Lücke muss geschlossen werden. Für eine Frau ist etwa ein Griff an den Busen mehr als beleidigend. Es ist ein gravierender Eingriff in ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Das muss auch im Strafgesetzbuch klar und deutlich zum Ausdruck kommen.“

Die Ereignisse in Köln haben deutlich gemacht: Sexuelle Übergriffe durch oder aus Gruppen heraus müssen angemessen erfasst und geahndet werden.

Winfried Bausback

Weiter schütze das Strafrecht Opfer nicht ausreichend bei sexuellen Übergriffen, die aus Gruppen heraus oder durch Gruppen begangen werden. Bausback: „Die Ereignisse in Köln haben deutlich gemacht: Sexuelle Übergriffe durch oder aus Gruppen heraus müssen angemessen erfasst und geahndet werden. Insbesondere müssen auch ‚passive‘ Gruppenmitglieder vom Strafrecht erfasst sein. Insofern sollten wir dringend über die Schaffung eines neuen eigenen Straftatbestandes des ’sexuellen Missbrauchs aus Gruppen‘ nachdenken.“ Der bayerische Justizminister abschließend: „Das grundrechtlich garantierte Recht auf sexuelle Selbstbestimmung muss effektiv geschützt werden – und zwar ohne Wenn und Aber. Die bislang ergriffenen Maßnahmen gehen in die richtige Richtung. Hier dürfen wir aber nicht stehen bleiben, sondern müssen die nächsten Schritte gehen!“

 

Andererseits warnt der Abgeordnete Frieser davor, der Gesetzentwurf dürfe nicht zu weit gehen. Im Strafrecht müssen Formulierungen präzise und unmissverständlich gefasst sein, damit erkennbar sei, ab wann die Grenze zur Strafbarkeit überschritten ist.

Die Kommunikation zwischen Mann und Frau darf dabei auch nicht lebensfremd überspannt werden.

Michael Frieser, Demografiebeauftragter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Auch Bayerns Justizminister Winfried Bausback geht der Entwurf nicht weit genug. Er lehnt die vorgesehene Streichung des besonders schweren Falls bei einer Nötigung zu sexuellen Handlungen ab. „Fälle, in denen Opfer genötigt oder erpresst werden, sexuelle Handlungen an sich selbst vorzunehmen, könnten dann nicht mehr so hart bestraft werden wie bisher“, so Bausback. „Vor allem im Bereich des Internets kommt es häufig vor, dass gerade jugendlichen Opfern mit der Veröffentlichung kompromittierender Bilder gedroht wird, wenn sie nicht sexuelle Handlungen an sich vornehmen. Für diese Fälle des sog. „Sextings“ muss das Strafrecht weiterhin eine klare und scharfe Antwort haben!“

Schwelle für Strafbarkeit bisher hoch

Die Schwelle für eine Strafbarkeit ist bisher hoch. Tatjana Hörnle, Professorin für Strafrecht an der Humboldt-Universität Berlin, macht in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeine deutlich, wann es nach geltendem Recht zur Anklage kommt. Entscheidend ist, ob ein Vorfall unter den Tatbestand der sexuellen Nötigung zu fassen ist. Dieser liegt nur vor, wenn Täter zweistufig vorgehen. Dazu muss der Täter das Opfer konfrontieren oder einschüchtern, beispielsweise durch körperliche Gewalt oder Gewaltandrohung. Oder er muss die konkrete Furcht vor körperlicher Verletzung ausnutzen. Das muss einer sexuellen Handlung vorausgehen. Das geltende Recht erfasst aber nicht eine zweite, offenbar nicht seltene Vorgehensweise, wie sie sich in Köln und anderen Orten gezeigt hatte: das Ausnutzen eines Gedränges oder das Ausnutzen des Umstands, dass Opfer abgelenkt sind. Wer überraschend zugreift und mit diesem schnellen Zugriff eine sexuelle Handlung vollendet, begeht bisher keine Straftat. Denn die strafrechtliche Definition von „sexueller Nötigung“ erfasst derzeit den überrumpelnden sexuellen Körperkontakt nicht. Das soll sich jetzt mit der Verschärfung ändern. Es bleibt jedoch der bereits oben angesprochene Makel, dass die persönliche Beteiligung jedes Einzelnen aus einer Gruppe heraus schwer zu beweisen sein dürfte.

(dpa/FAZ/LTO/AS)