Bayerns früherer Ministerpräsident Edmund Stoiber fordert eine Kehrtwende in der Flüchtlingsfrage. (Bild: CSU)
Edmund Stoiber

„Solange Deutschland offene Grenzen hat, wird das Problem weiter bestehen“

Bayerns früherer Ministerpräsident Edmund Stoiber spricht sich vehement für nationale Maßnahmen in der Flüchtlingskrise aus - und hofft, dass das mehr Zeit bringt, bis europäische Lösungen möglich sind. Von der Bundeskanzlerin erwartet der CSU-Ehrenvorsitzende eine Kehrtwende - das Verhalten des Nachbars Österreich trifft bei Stoiber dagegen auf Zustimmung.

Bayerns langjähriger Ministerpräsident Edmund Stoiber hat sich in einem Zeitungsinterview mit der Tageszeitung Die Welt für das Ergreifen nationaler Maßnahmen zur Eindämmung des Flüchtlingszustroms nach Deutschland und Europa ausgesprochen.

„Deshalb braucht es eine Kehrtwende – und eine Obergrenze“

Die Politik offener Grenzen habe dazu geführt, dass die Flüchtlingsproblematik in vielen Ländern Europas – in Osteuropa, aber auch in Italien und Frankreich – in erster Linie als deutsches Problem angesehen werde, sagte Stoiber. „Deshalb braucht es eine Kehrtwende“, stellte Stoiber fest. „Deshalb braucht es eine Obergrenze. Deshalb braucht es Transitzonen an den Grenzen.“ Nationale Maßnahmen sind nach Ansicht Stoibers notwendig, „damit europäische Maßnahmen zwingend werden“. Die derzeitige Situation führe zu einer Stärkung rechter und extremer Parteien in ganz Europa. Dabei reicht es nach Auffassung des CSU-Ehrenvorsitzenden nicht aus, nur auf die AfD zu blicken. „Wir müssen auch auf Le Pen, Wilders und Strache schauen“, warnte Stoiber.

„Der Preis für die Hilfe der Türkei wird immer höher“

Die Verhandlungen der Europäischen Union mit der Türkei über eine bessere Sicherung der EU-Außengrenzen sieht der Alt-Ministerpräsident dagegen kritisch. Der Preis, den die Türkei für ihre Hilfe aufrufe, werde zusehends höher, stellte Stoiber klar. „Wir brauchen die Türkei zur Grenzsicherung Europas. Aber das wird noch eine geraume Zeit dauern, auch nach dem Treffen Anfang März“, sagte der CSU-Mann mit Blick auf das geplante Gipfeltreffen zwischen EU-Vertretern und der türkischen Führung, das nach der Absage der Gespräche beim Brüsseler EU-Gipfel notwendig geworden war.

Enttäuschung über Frankreich, Lob für Österreich

Außerdem vermisst Stoiber eine innereuropäische Diskussion über die künftige Verteilung der Flüchtlinge. „Es war für mich eine Enttäuschung, als Frankreichs Premier Valls auf der Münchner Sicherheitskonferenz betont hat, dass sein Land keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen werde“, gab Stoiber zu. Dagegen findet das Verhalten der österreichischen Regierung die Zustimmung des Alt-Ministerpräsidenten. „Bundeskanzler Faymann sagt klar, was geht und was nicht. 80 Aufnahmen pro Tag, 37.500 im Jahr.“ Darauf könne sich die Bevölkerung einstellen – und diese Positionen entsprächen genau der Positionen der CSU.

Jetzt aber müsse, so der Wunsch Stoibers, auch Deutschland handeln. „Solange Deutschland offene Grenzen hat, wird das deutsche Problem bleiben“, sagte der CSU-Mann. Die jetzt abgehaltene Westbalkankonferenz, bei der sich Österreich mit den Staaten der Balkanroute, aber ohne Griechenland, zu Beratungen getroffen hatte, zwinge die Bundesrepublik zu einer Veränderung ihrer Politik, „wenn wir eine gemeinsame europäische Lösung wollen“.

Stoiber „entsetzt“ über Clausnitz und Bautzen

Die Bilder von Menschen, die Busse mit ankommenden Flüchtlingen in Clausnitz belagern und die Asylbewerber beschimpfen, bezeichnete Stoiber als „entsetzlich“. Dieses Verhalten sei ein Ausdruck fehlender Humanität. Auf der anderen Seite müsse man sich fragen, „woher das kommt“. In Sachsen seien bei den Landtagswahlen nicht einmal die Hälfte aller Berechtigten zur Wahl gegangen, offenbar fehle das Vertrauen in die Institutionen. „81 Prozent der Bürger sagen derzeit, die Bundesregierung habe die Lage nicht unter Kontrolle. Das ist in höchstem Maße gefährlich.“ Die Politik müsse den Menschen klarmachen, dass man dafür sorgen werde, „dass sie nicht überfordert werden“.