Grünes Vorbild? Inger Nilsson als Pippi Langstrumpf mit dem Affen Herr Nilsson. (Bild: Imago/Milestone Media)
Asylpolitik

2 mal 3 macht 4

Die Grünen-Spitze rechnet mit dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer ab. Im baden-württembergischen Wahlkampf hatte der Kommunalpolitiker seiner Partei aufgrund ihrer Realitätsferne "Pippi-Langstrumpf-Politik" vorgeworfen und betont: "Wir müssen die unkontrollierte Einwanderung beenden." Parteichefin Simone Peter rückt ihn dafür an den rechten Rand – und bekennt sich zu Pippi.

Der grüne Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, sah den Ärger kommen. Per SMS erbat er bei Parteikollegen vorab um Nachsicht für das Interview, das er dem Nachrichtenmagazin Spiegel gegeben hatte. Doch auf Gnade konnte er kaum hoffen. Denn gezielt hatte er in dem Gespräch gegen Tabus verstoßen, die seine Parteispitze im Umgang mit der Flüchtlingswelle aufrecht erhält. „Stoppen ist unmöglich, aber wir müssen die unkontrollierte Einwanderung beenden. Das bedeutet nicht, dass wir niemanden mehr reinlassen. Aber wir entscheiden, wer kommt“, hatte Palmer erklärt. Die europäischen Außengrenzen müssten mit europäischen Grenzschützern gesichert werde. Grenzzäune findet der Kommunalpolitiker gut, solange sie auch von ausreichend viel Personal bewacht werden. Palmer erläuterte: „Grenzer sind immer bewaffnet, genau wie die Polizisten im Tübinger Bahnhof. Aber kein Grenzer schießt auf Flüchtlinge.“

Nur mal kurz die Welt retten?

Manches grüne Mantra stieß der Mann aus dem Südwesten dabei um. Millionen Kinder auf der Welt würden hungern und sterben, es gebe Bürgerkriege und entsetzliches Leid und Elend. „Aber wir können diese Menschen nicht alle bei uns aufnehmen, wir müssen dort helfen, wo sie leben.“ In Deutschland jedenfalls schwinde die Akzeptanz für eine allzu offene Asylpolitik. Von der so genannten „Willkommenskultur“ bleibe oft nicht viel übrig, „sobald in der eigenen Nachbarschaft ein Flüchtlingsheim geplant wird“. An seine eigene Partei gerichtet, ergänzte Palmer an dieser Stelle: „Es sind nicht die Zeiten für Pippi-Langstrumpf- oder Ponyhof-Politik.“

2 mal 3 macht 4, wi-di-wi-di-witt, und 3 machte Neune./ Ich mach‘ mir die Welt, wie-di-wie-di-wie sie mir gefällt.“

„Pippi Langstrumpf“-Lied, erste Strophe

Sich die Welt so zurecht zu denken, wie-di-wie-die-wie sie dann auch Strategen der Grünen gefällt – gegen diese Haltung polemisierte Palmer aus der Perspektive eines vom Flüchtlingszuzug direkt betroffenen Bürgermeisters. Tübingen hat bei rund 85.000 Einwohnern bereits 1300 Flüchtlinge aufgenommen hat.

Verkehrte Welt: Ein Grüner bekommt die Nazikeule zu spüren

Prompt zog Palmer den Ärger vieler Parteioberer auf sich. Parteivorsitzende Simone Peter schimpfte: „Wer Zäune und Mauern zur Begrenzung der Einwanderung von Flüchtlingen fordert, spielt in erster Linie rechten Hetzern in die Hände.“ Das altbekannte grüne Totschlagargument gegen Kritiker der offenen Grenzen – nun auch im Einsatz gegen die eigenen Leute. Die Bundestagsabgeordnete Agnieszka Brugger legte drauf: „Mit Verantwortungsethik, Realpolitik und grünen Werten haben seine Äußerungen leider nicht mehr viel zu tun. Ich finde sie verantwortungslos, verzagt und unklug.“

Ich muss den Leuten ja ins Gesicht sagen, die Unterkunft kommt neben ihr Haus.

Boris Palmer

Palmers Aussagen stehen vor dem Hintergrund des baden-württembergischen Wahlkampfs. Die Stimmung in der Bevölkerung scheint nicht den Wünschen der Grünen-Chefetage zu entsprechen. Per Facebook-Eintrag konterte der Tübinger OB mittlerweile: „Ich muss den Leuten ja ins Gesicht sagen, die Unterkunft kommt neben ihr Haus.“ Ein eindeutiger Hinweis auf den Elfenbeinturm, in dem viele grüne Bundespolitiker zu leben scheinen. Auffällig zurückhaltend reagierte der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der zur Wiederwahl antritt ­– er antwortete gar nicht auf Palmer. Auch Peters Co-Vorsitzender, der wie Palmer aus dem Südwesten stammende Cem Özdemir, antwortete betont unaufgeregt: „Boris Palmer ist ein guter OB in Tübingen, aber in dieser Frage spricht er weder für die Landes- noch für die Bundespartei.“

Der aus Tübingen stammende Bundestagsabgeordnete Chris Kühn hingegen wies Palmer zurecht, wie es sich für Grüne geziemt: „Die Bürgerinnen und Bürger, mit denen ich spreche, sind nicht wegen der Flüchtlinge in Tübingen besorgt, sondern wegen der Zunahme an rechter Gewalt, Hetze und Rassismus.“ Mit dem „Alarmismus und dem Pessimismus“, die Palmer vertrete, sei nichts zu erreichen.

Grüne Denkverbote

Der Gescholtene hatte all das geahnt. Schon in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk im vergangenen Oktober, als er Kanzlerin Angela Merkel entgegengetreten war („Ich weiß nicht, ob wir es schaffen werden.“), hatte er gesagt: „Ich glaube, es gibt da ein Diskursverbot, eine Blockade.“ Auf der Straße treffe er viele Menschen, „die das so erleben, dass man nichts Kritisches sagen darf über diese Situation, weil man dann zu einem Rechten gestempelt wird“.

Am vergangenen Wochenende postete die Grünen-Chefin Peter, die Palmer an den rechten Rand zu rücken versucht, ergänzend auf ihrer Facebook-Seite ein Foto von Pippi Langstrumpf. Mit dem Bekenntnis: „Ich bin Pippi-Langstrumpf-Fan. Sie ist frech, unkonventionell und emanzipiert – wie Grüne eben.“ Mit einem leichten Hang – 2 mal 3 macht 4 – zur Dyskalkulie.

Ich hab ein Haus, ein Äffchen und ein Pferd,/ und jeder, der uns mag,/ kriegt unser Einmaleins gelehrt.

Refrain „Pippi Langstrumpf“-Lied