Anfang April 1945, noch war der Zweite Weltkrieg nicht zu Ende, wurde die ÖVP gegründet. Im Gegensatz zu Deutschland nicht als christlich-soziale sondern als überkonfessionelle Sammelpartei, die Arbeitnehmer, Bauern und Unternehmer unter einem Dach vereint. Es waren „schwarze“ Politikerpersönlichkeiten wie Julius Raab und Leopold Figl, die damals in einer denkbar schwierigen Zeit den Mut hatten, Weichen für die Zukunft zu stellen.
Ein solches Weichenstellen wird derzeit auch vom Parteivorsitzenden der ÖVP, Vizekanzler Reinhard Mitterlehner verlangt. Als vor bald zwei Jahren Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl kritisierte, dass die österreichische Wirtschaft „abgesandelt“ sei, fielen viele Besserwisser über ihn her und bezichtigten ihn der Nestbeschmutzung. Zwischenzeitlich sind sich nicht nur die Wirtschaftsforscher einig, dass die Alpenrepublik einiges von ihrem hervorragenden Status eingebüßt hat. Mit der gerade beschlossenen Steuerreform, die im Durchschnitt jedem Einkommensbezieher 900 Euro im Jahr bringen soll, will man altes Terrain zurückgewinnen.
Eine Art Reformstillstand der SPÖVP-Koalition
Keine Frage, diese Maßnahme ist ein positives Zeichen, aber nur Teil eines Reformweges. So müssen die unverändert hohe Abgabenquote gesenkt, eine Bildungs- und Staatsreform durchgesetzt, das Wirtschaftswachstum angekurbelt, die Lohnnebenkosten reduziert, Maßnahmen gegen die (noch immer vergleichsweise relativ niedrige) Arbeitslosenrate getroffen und die Vorreiterrolle im Umweltbereich zurückerobert werden.
Es ist nicht nur das Desaster der Hypo-Alpe-Adria-Bank, bei dessen Aufarbeitung die Regierung und vor allem Finanzminister Hans Jörg Schelling gefordert sind, sondern es war letztlich eine Art Reformstillstand der SPÖVP-Koalition in den letzten Jahren, die zum Verlust einiger Top-Positionen geführt hat. Trotz dieser Erkenntnis erfolgt die Aufarbeitung der Problemzonen nicht von allen Entscheidungsträgern mit aller Konsequenz. Anstatt dringend notwendige Reformmaßnahmen sofort in Angriff zu nehmen, werden diese auf die lange Bank geschoben. In der trügerischen Hoffnung, dass sich das eine oder andere Problem von selbst erledigen könnte.
Ein klassisches Beispiel dafür ist die Diskussion über eine Pensionsreform. Als das heutige Pensionssystem vor über 50 Jahren geschaffen wurde, betrug der Abstand zwischen Pensionsantritt und Lebenserwartung sieben Jahre. Heute sind es 21 Jahre. Mehr noch, Österreich zählt in der EU zu den Staaten mit dem niedrigsten Pensionsalter. Eine Erhöhung um ein Jahr würde dem Staat 1,3 Milliarden Euro bringen. Geld, das in wichtige Zukunftsp rojekte investiert werden könnte. Bloß die SPÖ und ihr Bundeskanzler Werner Faymann legen sich quer. Durch Jahrzehnte hat sich die Partei das Image eines Hüters der Pensionsprivilegien zugelegt, mit dem Gespenst „Pensionsklau“ sogar Wahlkämpfe gewonnen. Und sie will davon nicht abrücken, aus Angst, Wählerklientel zu vergrämen. Was nichts daran ändert, dass erst jüngst bei den Gemeinderatswahlen in Niederösterreich und der Steiermark die SPÖ in traditionell sozialdemokratischen Städten schwere Verluste erlitt.
Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPÖ und ÖVP mit der FPÖ
Es gibt aber noch andere Bereiche, wo die SPÖ auf Positionen beharrt anstatt einzulenken. Das betrifft etwa den ideologisch motivierten Streit, ob die gemeinsame Schule der 10- bis 14-jährigen das derzeit differenzierte Schulangebot ablösen soll. Die unbefriedigenden Ergebnisse mit der erst vor kurzem geschaffenen Neuen Mittelschule sind keine Empfehlung für die Einführung der Gesamtschule – führen aber zu keiner Haltungsänderung.
Aktuell liegen SPÖ und ÖVP mit der Oppositionspartei FPÖ ziemlich Kopf an Kopf. Grüne und Neos sind weit dahinter. Bei der Kanzlerfrage liegt der „schwarze“ Mitterlehner vor dem „roten“ Faymann. Deutlich dahinter rangiert der „blaue“ Strache. Wenngleich diese Regierung noch gut drei Jahre Amtszeit vor sich hat, eine Energieinjektion könnte der Volkspartei zum 70. Geburtstag durchaus noch Flügel verleihen.
Der Autor Herbert Vytiska war Pressesprecher des ehemaligen österreichischen Außenministers Alois Mock.