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Österreich

Vor der Präsidentschaftswahl in Österreich

Der längste Wahlkampf in der Geschichte Österreichs brachte keine Klärung: Das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen wiederholt sich. Doch jetzt geht es nicht nur darum, wer in die Hofburg einzieht, sondern um einen großen Richtungsstreit in ÖVP und SPÖ.

In beiden Volksparteien gibt es Parteiflügel, die sich eine Koalitions-Option mit der FPÖ offenhalten wollen. In den Umfragen zur Parteipräferenz liegt die ÖVP derzeit bloß auf dem dritten Platz. Am kommenden Sonntag, beim letzten Anlauf zur Wahl eines österreichischen Bundespräsidenten, spielt die ÖVP aber die Rolle des „Züngleins an der Waage“. Das lässt sich an einem Rechenbeispiel demonstrieren. Geht man von den aktuellen Umfragedaten aus (FPÖ 31, SPÖ 26, ÖVP 22, Grüne 13 und Neos 6 Prozent), dann brauchen sowohl der Grüne Ex-Parteichef Alexander van der Bellen als auch der FPÖ-Vize Norbert Hofer für eine Mehrheit die Stimmen der Volkspartei.

Sowohl der Grüne Ex-Parteichef Alexander van der Bellen als auch FPÖ-Vize Norbert Hofer brauchen die Stimmen der ÖVP.

Aufgrund der vorliegenden Meinungsumfragen dürfte sich das Stimmverhalten in den letzten Monaten kaum verändert haben. Jedenfalls nicht seit der Stichwahl um das Amt des Bundespräsidenten am 22. Mai, bei der Van der Bellen mit nur 31.000 Stimmen Vorsprung vor Hofer über die Ziellinie ging. Nachdem sich die FPÖ schwer tat, diese Niederlage zu verkraften, nahm sie Verfahrensfehler von Bezirkswahlbehörden (bei denen es sich aber um keine Einflussnahme auf das Wahlverhalten handelte) zum Anlass einer Wahlanfechtung. Dieser gab dann auch noch der Verfassungsgerichtshof statt und bescherte somit Österreich den längsten Wahlkampf seiner Geschichte, der nach 11 Monaten am kommenden Sonntag seinen Abschluss findet. Und bis dato herrscht – so die Demoskopen unisono – ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Die zentralen Themen

Trotz der Überlänge des Wahlkampfes haben sich die politischen Diskussionen in der Öffentlichkeit, das Auftreten und die Aussagen der beiden Kandidaten kaum geändert, was zwar zu gewissen Ermüdungserscheinungen führte, aber kaum Auswirkungen auf eine relativ hohe Wahlbeteiligung haben dürfte. Sie kreisten um Themen wie Sicherheit, Umgang mit der Migrantenkrise, Verhältnis zur Türkei und zu Russland, Zukunft der EU, Rolle Österreichs in der EU sowie nicht zuletzt das Amtsverständnis.

Keine offiziellen Wahlempfehlungen

Bereits im ersten Wahlgang im April waren die Kandidaten von SPÖ und ÖVP, Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol, ausgeschieden und bekamen so die Rechnung für den grassierenden Politik-Frust präsentiert. Letztlich blieben nur Van der Bellen und Hofer im Rennen, deshalb nahmen beide Regierungsparteien davon Abstand, eine offizielle Wahlempfehlung abzugeben.

Van der Bellen war einmal Mitglied der SPÖ, ehe er zu den Grünen wechselte.

Was allerdings eine Reihe von Spitzenpolitikern beider Couleurs nicht davon abhielt, sich zu deklarieren. Offensiv und zahlreich taten dies die Sozialdemokraten für Van der Bellen. Schließlich war er einmal sogar Mitglied der SPÖ, ehe er zu den Grünen wechselte. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) ließ sich sogar in ein Fundraising-Dinner einspannen. Und auch der mittlerweile zum Alt-Präsidenten mutierte Heinz Fischer machte sein Stimmverhalten öffentlich.

Die gespaltene ÖVP

Etwas anders sah und sieht die Situation auf der ÖVP-Seite aus. Hier herrschte keine Begeisterung, für einen der beiden verbliebenen Kandidaten zu stimmen. Innerhalb der Partei machte sogar in Hinblick auf das noch aus der Vergangenheit stammende Gleichgewichtsdenken die These die Runde, dass man eigentlich Hofer wählen müsse, um Heinz-Christian Strache nach den nächsten Nationalratswahlen als Bundeskanzler zu verhindern.

Hofer dagegen punktete damit, dass er sich als Christ bekannte und ein gestandener Konservativer war.

Vielen missfiel auch die Tatsache, dass Van der Bellen in seiner Jugend kurzzeitig mit kommunistischen Ideen liebäugelte und vor allem schon frühzeitig der Kirche den Rücken gekehrt hatte. Hofer dagegen punktete damit, dass er sich als Christ bekannte (wenngleich er aus recht fadenscheinigen Gründen 2009 vom Katholizismus zum Protestantismus gewechselt hatte) und ein gestandener Konservativer war. Symptomatisch dafür waren die Diskussionen, die etwa innerhalb der Jugendlichen und Studenten verliefen und eine Sympathie für den Burschenschafter Hofer erkennen ließen.

Pro-Europäer für Van der Bellen

Der eigentliche Knackpunkt war für den engagiert pro-europäischen Flügel in der ÖVP aber die doch unterschiedliche Einstellung zur Zukunft der EU. Hofer hatte dabei im ersten Abschnitt des überlangen Wahlkampfes sogar mit einer möglichen Volksabstimmung über den Öxit – den Ausstieg Österreichs aus der EU – spekuliert. Als er und seine Partei freilich merkten, dass die Österreicher konstant und mit einer deutlichen Mehrheit für das gemeinsame Europa sind, wurde davon rasch wieder Abschied genommen. Was blieb, war aber doch ein diffuses Verständnis einer funktionierenden und kraftvollen europäischen Gemeinschaft.

Für Überraschung sorgte ÖVP-Parteichef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, der fand, dass Van der Bellen für das Ansehen des Standorts Österreich besser wäre.

Daher ließen sich eine Reihe von erfahrenen, altgedienten Politikgrößen der Volkspartei nicht davon abhalten, ein Komitee zu gründen, das sich für die (Wieder-)Wahl Van der Bellens stark machte. Eine Liste prominenter ÖVPler, angefangen von den ehemaligen Parteichefs Erhard Busek, Josef Riegler, Willi Molterer bis zu Josef Pröll, weiters Ex-EU-Kommissar Franz Fischler, Nationalbankpräsident Claus Raidl und Othmar Karas, dem Fraktionsführer der ÖVP im EU-Parlament, schmückt dieses Komitee. Die Regierungsspitzen von Bund und Ländern freilich hielten sich bedeckt. Nur Vorarlbergs Landeshauptmann Hubert Wallner wagte sich hinaus und deponierte, dass er eine sehr kritische Haltung zu Hofer hätte. Für Überraschung sorgte dann Parteichef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, der fand, dass Van der Bellen für das Ansehen des Standorts Österreich besser wäre.

Überdruck im ÖVP-Kessel

Spätestens ab diesem Zeitpunkt hatte man den Eindruck, dass Überdruck im Kessel ÖVP herrscht. Konstatierten doch die Meinungsforscher, dass etwa 60 Prozent des ÖVP-Klientels Van der Bellen und immerhin 40 Prozent Hofer ihre Stimme geben würden. Nicht zuletzt, so wird kolportiert, gab es eine beachtliche Gruppe, die die Ansicht vertrat, man dürfe die Hofer-Sympathisanten nicht im Stich lassen. Es war dann just der Chef der Parlamentsfraktion Reinhold Lopatka, der sich öffentlich für die Wahl Hofers aussprach.

Eine Spaltung, die darauf hinweist, dass es am Sonntag nicht nur darum geht, wer nun für die nächsten sechs Jahre in die Hofburg einzieht, sondern auch um eine Richtungsentscheidung innerhalb der Volkspartei.

Damit wurde eine gewisse Spaltung der Volkspartei in der Öffentlichkeit sichtbar. Einerseits weil sich Lopatka damit einen schweren Rüffel seines Parteichefs Mitterlehner einholte, andererseits aber auch Zustimmung aus den Ländern – so vor allem aus Niederösterreich, wo Landeshauptmann Erwin Pröll die Zügel fest in der Hand hat – erhielt. Eine Spaltung, die darauf hinweist, dass es am Sonntag nicht nur darum geht, wer nun für die nächsten sechs Jahre in die Hofburg einzieht, sondern auch um eine Richtungsentscheidung innerhalb der Volkspartei.

Sand im Getriebe der Regierungskoalition

Die Initialzündung dafür hatte SPÖ-Bundeskanzler Kern geliefert. Nach dem Wechsel an der SPÖ-Spitze, dem abrupten Abtritt von Werner Faymann im Mai von der politischen Bühne, versucht der neue – soeben vom Vorstandssessel bei den Bundesbahnen ab engagierte – Spitzenmann einen so genannten „New Deal“. Tatsächlich freilich erfolgte dieser auf Kosten des Koalitionspartners. Kern musste sich profilieren, sagte die gemeinsamen Auftritte nach dem Ministerrat ab, versuchte eigene politische Ideen wie die einer Maschinensteuer einzubringen, blockte Vorstellungen nach schärferen Asylregeln immer wieder ab, war zwischen dem rechten und linken Parteiflügel ständig hin- und hergerissen.

Ein Treffen von Kern mit dem FPÖ-Parteichef, das nicht nur in höchst amikaler Weise verlief sondern allgemein auch noch als „Kuschelkurs“ interpretiert wurde.

Der Sand im Getriebe der SPÖVP-Regierungskoalition wurde fast tägliches Thema in den Medien. Während Mitterlehner, der aus der Schule der Sozialpartner kommt, immer wieder bemüht war, den schiefen Koalitions-Haussegen zurecht zu rücken, regten sich in der SPÖ die Stimmen, eine Annäherung zur FPÖ zu suchen, um sich so die Option auf einen Regierungswechsel von Schwarz-Rot auf Rot-Blau offen zu halten.

SPÖ auf Kuschelkurs zur FPÖ

Zwar gilt noch immer in der SPÖ die so genannte Vranitzky-Doktrin, wonach keine Koalition mit den Freiheitlichen eingegangen werden dürfe. Diese Regel hatte aber der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl bereits mit der Bildung seiner rot-blauen Landesregierung umgangen. Zudem hatte es sich Kern vorgenommen, die in den letzten Jahren massiv erfolgte Abwanderung vor allem der Arbeiter und Wohlstandsverlierer zur FPÖ wieder rückgängig zu machen und daher als ersten Schritt den Schulterschluss mit Strache & Co. zu suchen. Höhepunkt war dann ein Treffen von Kern mit dem FPÖ-Parteichef, das nicht nur in höchst amikaler Weise verlief sondern allgemein auch noch als „Kuschelkurs“ interpretiert wurde.

ÖVP-Kontaktschiene reicht in die 1980er Jahre

Damit aber begannen die Alarmglocken bei der ÖVP zu schrillen. Der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer warnte seine Parteifreunde davor, nicht auf die Zuschauerrolle degradiert zu werden. Und schon kurz darauf machte sein Landsmann Lopatka sichtbar, dass es sehr wohl auch in der ÖVP Bemühungen gibt, mit den Freiheitlichen ein gutes Verhältnis zu pflegen. Diese Kontaktschiene reicht übrigens bis in die Zeit von Vizekanzler und Außenminister Alois Mock zurück, der vor 30 Jahren die Volkspartei wieder zurück auf die Regierungsbank geführt hatte und schon damals eine Koalition mit der Jörg-Haider-FPÖ bilden wollte, aber dafür keine Mehrheit im Parteivorstand fand. Dass seit 1986 im Nationalrat eine bürgerliche Mehrheit besteht, aber die ÖVP nur von 2000 bis 2006 einen Bundeskanzler (Wolfgang Schüssel) stellte, ist ein eigenes Kapitel.

ÖVP-Bemühungen, mit den Freiheitlichen ein gutes Verhältnis zu pflegen.

Tatsächlich freilich wird sich nun zeigen, was das Werben um die FPÖ deren Kandidaten Hofer wirklich bringt. Dass ein Teil der ÖVP ihn wählen wird, steht fest. Aber auch für SPÖler könnte er wählbar sein, nachdem die FPÖ plötzlich vom SPÖ-Parteivorsitzenden höchstpersönlich nicht mehr als der „Gott-sei-bei-uns“ angesehen wird.

Warten auf den Trump-Effekt

Schlussendlich spannend wird es am Sonntag (das endgültige Wahlergebnis steht allerdings erst Montag abends fest) noch aus einem anderen Grund. Gemeinsam mit Italien, wo Ministerpräsident Matteo Renzi um die Zustimmung für seine Verfassungsreform ringt, nicht nur gegen Berlusconis „Forza Italia“, sondern insbesondere gegen die populistische „Cinque Stelle“-Bewegung kämpft, wird sich in Österreich zeigen, ob es auch in Europa so etwas wie einen Trump-Effekt gibt.

Die FPÖ hat es verstanden, mit einer Art Volkssprache viele Sorgen und Probleme zu artikulieren, die eben nicht nur Arbeiter und Wohlstandsverlierer, sondern auch den Mittelstand bewegen.

Viele Politikwissenschaftler sehen im Erfolg von Donald Trump den Aufstand einer bislang schweigenden Mehrheit, die sich gegen das so genannte politische Establishment wehrt, die das Lavieren der alteingesessenen Politikerklasse satt hat, die sich nicht von der Political Correctness ständig vorschreiben lassen will, was gesagt und getan werden darf und was tabu ist. Genau dafür aber steht die FPÖ, die es verstanden hat, mit einer Art Volkssprache viele Sorgen und Probleme zu artikulieren, die eben nicht nur Arbeiter und Wohlstandsverlierer, sondern auch den Mittelstand bewegen.

Möglich ist aber auch, dass in unruhigen weltpolitischen Zeiten die Bürger sich bei jenen besser aufgehoben fühlen, die eine gewisse Stabilität und Kontinuität vermitteln.

Und irgendwie steht halt Hofer für diese schweigende Mehrheit, während Van der Bellen schon trotz allem Grün-Touch, der immer wieder offen auch für Wege abseits des Main-Streams ist, das Establishment repräsentiert. Genauso wie es denkbar ist, dass sich Österreichs Wählerschaft von ähnlichen Motiven leiten lässt wie so manche der Trump-Wähler, genauso ist es möglich, dass in unruhigen weltpolitischen Zeiten die Bürger sich bei jenen besser aufgehoben fühlen, die eine gewisse Ruhe und Besonnenheit ausstrahlen, die kein zusätzliche Unruhe in die Gesellschaft bringen, sondern eine gewisse Stabilität und Kontinuität vermitteln.