Michael Haeupl (SPÖ, links) und Heinz Christian Strache (FPÖ, rechts) am Wahlabend im österreichischen Fernsehen. (Bild: Schaadfoto/Imago)
Wahlen in Wien

„Das war ein Warnschuss“

Bei den Wahlen in Wien bleiben die Sozialdemokraten trotz herber Verluste stärkste Fraktion - die Erfolge der rechtspopulistischen FPÖ aber sind eine Warnung an die Regierung. Für den BAYERNKURIER analysiert Herbert Vytiska das Wahlergebnis und kommt zu dem Schluss: Die politische Landschaft in der Alpenrepublik ist in Bewegung - und die ÖVP muss sich schnell etwas einfallen lassen.

Es kommt selten vor, dass – wie im Fall der österreichischen Bundeshauptstadt Wien – so große internationale Aufmerksamkeit einem kommunalen Wahlgang zukommt. Der Grund dafür war, dass seit Wochen nicht nur das Duell zwischen dem amtierenden Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) und dem Chef der rechtspopulistischen FPÖ, Heinz-Christian Strache, herbeigeredet und herbeigeschrieben wurde. Letzten Ende entschied der Wähler in der Wahlurne anders als von fast allen Meinungsforschungsinstituten vorausgesagt.

Die Wähler düpierten die Meinungsforscher

Bis eine Minute vor Bekanntgabe der ersten Hochrechnung in den Abendstunden das Sonntag sah es nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Häupl und Strache, zwischen SPÖ und FPÖ aus. Aufgrund von Exit-Polls, die sich auch mit den Umfragen der letzten Wochen durchaus gedeckt hatten, stand es 36-38 Prozent für die Sozialdemokraten und 34-36 Prozent für die Freiheitlichen. Bereits die erste echte Hochrechnung, basierend auf Auszählungen der Wahllokale, räumte mit dieser Prophezeiung auf. Das Endergebnis (ohne die Wahlkarten) sicherte der Häupl-Partei klar mit 39,5 Prozent den ersten Platz. Der Herausforderer musste sich mit 31 Prozent begnügen. Ein Ergebnis, das dazu führte, dass bei der SPÖ Jubel aufbrandete, bei der FPÖ eine gewisse Enttäuschung spürbar wurde.

Dass es letzten Endes zu diesem mehr als deutlichen Respektabstand kam, hatte den Grund in einer doch sehr massiven Mobilisierungskampagne des Wahlkampfteams rund um Häupl sowie der Boulevardpresse.

Für beides besteht genau genommen kein Anlass. Denn die SPÖ verlor immerhin gegenüber der letzten Wahl 4,8 Prozent und im Gegenzug gewann die FPÖ 5,5 Prozent. Dass es letzten Endes zu diesem mehr als deutlichen Respektabstand kam, hatte den Grund in einer doch sehr massiven Mobilisierungskampagne des Wahlkampfteams rund um Häupl sowie der Boulevardpresse. Angesichts des drohenden Machtverlustes (seit 70 Jahren wird die Stadt ausschließlich von SPÖ-Bürgermeistern regiert) ließ man in den letzten Tagen nichts unversucht, um vielleicht doch noch den einen oder anderen Bürger dazu zu bringen, seine bereits getroffene Wahlentscheidung zu überlegen.

Mobilisierungskampagne verhalf der SPÖ zu Leihstimmen

Die Wählerstromanalyse lässt das vorläufige Endergebnis ein wenig anders aussehen, als dieses im ersten Augenblick scheint. Verdankt doch die SPÖ ihr nicht ganz so schlechtes Abschneiden einer beachtlichen Anzahl so genannter Leihstimmen. Sowohl bereits entschlossene Nichtwähler, als auch Grüne wie vor allem ÖVP-Anhänger ließen sich von der Argumentation beeindrucken, man müsse Häupl trotz aller Vorbehalte wählen, bloß um Strache zu verhindern. Und die kleineren Parteien zahlten die Rechnung für das Duell. Die Grünen, bisher Koalitionspartner, verloren ein Prozent und halten nunmehr bei 11,6 Prozent. Die Volkspartei – die schon bisher nur ein Mauerblümchendasein in Wien fristete – sackte gleich von 14 auf 9,2 Prozent ab. Allein die junge Partei der Neos, eigentlich eine Abspaltung der ÖVP, schaffte mit 6,2 Prozent auf Anhieb den Sprung ins Landesparlament. Die übrigen Parteien, auch die mehrheitlich türkisch profilierte Gruppierung, blieb unter der Wahrnehmungsgrenze.

SPÖ und ÖVP bekamen letztlich dafür die Rechnung präsentiert, dass es derzeit absolut kein Rezept gegen die Völkerwanderung gibt.

Trotz allem ist das Votum der Wiener Wähler ein Warnschuss. Und zwar in Richtung EU als auch in Richtung Österreich: Faktum ist nämlich, dass die gesamte Flüchtlingsproblematik den Rechtspopulisten unverändert Wählerzuläufe beschert. Und auch bei der Wiener Stimmabgabe das vorrangige Motiv bildete. SPÖ und ÖVP bekamen letztlich dafür die Rechnung präsentiert, dass es zwar derzeit absolut kein Patentrezept gegen die Völkerwanderung gibt, die sich ungebremst in Richtung Europa bewegt, sie selbst aber auch das Gefühl von Orientierungslosigkeit und mangelnder Entschlossenheit in einer zugegebenermaßen schwierigen Situation vermitteln. Nicht nur in Österreich sammeln die Rechtspopulisten Stimmen – und das, weil die EU einfach zu keiner gemeinsamen und klaren Linie in der Asylpolitik kommt.

Vor Änderungen in der österreichischen Innenpolitik

Hinzu kommt, dass generell ein Wandel in der Gesellschaft feststellbar ist, das Zeitalter der so genannten Großparteien vorbei ist. Was jetzt in Wien vor allem die ÖVP trifft – eine Erfahrung, die die SPÖ aber bereits in jüngster Vergangenheit in anderen Bundesländern von Vorarlberg bis Oberösterreich machen musste. Und das sogar am Wiener Wahltag. Bei Bürgermeisterstichwahlen in der oberösterreichischen Industriestadt Wels verlor die SPÖ ihren Stammplatz, schaffte erstmals der Kandidat der FPÖ den Sieg. Durchaus ein Fanal, das mehr als nur lokale Bedeutung hat.

Wenngleich der Wiener Wahlsonntag nicht ganz das erwartete Polit-Erdbeben brachte, so könnten doch gravierendere Änderungen in der österreichischen Innenpolitik anstehen. Das betrifft unter anderem auch die Flüchtlingspolitik. So sehr sich die SPÖ in ihrem Kurs, angelehnt an Angela Merkel’s „Wir schaffen das“, nunmehr bestätigt fühlt, dürfte die ÖVP sich künftig verstärkt an der Horst-Seehofer-Linie orientieren. Soll heißen, mit humanitärer Hilfe allein ist die Völkerwandung nicht in den Griff zu bekommen.

Vor 30 Jahren kam die ÖVP in Wien noch auf 30 Prozent der Stimmen.

Nachdem immerhin jeder fünfte österreichische Wähler aus Wien kommt, wird sich die Volkspartei etwas einfallen lassen müssen, um hier zu verhindern, endgültig zu einer politischen „Quan­ti­té né­g­li­gea­b­le“, einer wegen ihrer Bedeutungslosigkeit zu vernachlässigenden Menge, zu werden. Mit einem Köpfchen-wechsel-dich-Spiel ist es aber in Wien – wo die ÖVP vor 30 Jahren noch 34 Prozent der Stimmen bei Wahlen erhielt und nun am Bodensatz der Stammwähler gelandet ist- nicht abgetan. Es bedarf eines total neuen inhaltlichen Angebots an die so genannte Stadtgesellschaft. Wien ist keine Arbeiterstadt mehr (in den ehemaligen SPÖ-Bezirkshochburgen reüssierten FPÖ-Kandidaten), sondern wird dominiert von einer Dienstleistungsgesellschaft. Aber auch das klassische Bürgertum hat sich gewandelt. Es wartet auf ein neues politisches Angebot.