Der Wahlsieger kommt: Sebastian Kurz (M.) wird bei der ÖVP-Wahlparty gefeiert. Links neben ihm der deutsche Merkel-Kritiker Jens Spahn (CDU). (Bild: Imago/Eibner Europa)
Österreich

Kurz gewinnt

Gastbeitrag Österreich tickt Mitte und Mitte-Rechts. Und steht davor, mit Sebastian Kurz den jüngsten Regierungschef Europas zu stellen. Er hat es geschafft, die politische Landkarte Österreichs beachtlich zu verändern. Das Endergebnis steht aber noch aus.

Insgesamt hat die zweiundzwanzigste Nationalratswahl in der Geschichte der Zweiten Republik die politische Landkarte Österreichs beachtlich verändert. Seit 1983, als Bruno Kreisky nach zwölf Jahren die absolute Mehrheit verloren hatte, gibt es in der Alpenrepublik eine wenn auch nur knappe Mehrheit von Mitte bis Mitte-Rechts. Allerdings gab es in diesen 34 Jahren nur sechs Jahre mit Wolfgang Schüssel einen von der ÖVP gestellten Bundeskanzler. Ansonsten hatte immer die SPÖ das Zepter in der Hand. Nunmehr verfügen ÖVP und FPÖ gemeinsam über fast 60 Prozent der Stimmen. Mit den NEOS könnte es sogar möglich werden, dass sie die für Verfassungsgesetze nötige Zwei-Drittel-Mehrheit erhalten.

Österreich bleibt auf Pro-EU-Linie

Trotz seiner harten Linie in der Flüchtlingspolitik, die wesentlich dafür ausschlaggebend war, dass der Wählerzustrom zur FPÖ eingebremst und so verhindert werden konnte, dass diese Partei als Erster durchs Ziel geht (was noch zu Jahresbeginn im Bereich des Möglichen war), gilt Kurz als ein klarer Pro-Europäer. Das hat er bereits mit seinem Programm für die österreichische EU-Präsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2018 erkennen lassen. Der Pro-EU-Kurs wird eine Maxime des Regierungsprogramms sein.

Der Wahltag in Österreich verlief für die wahlwerbenden Parteien wie eine Hochschaubahn. Nachdem aufgrund eines Urteils des Verfassungsgerichtshofs vor dem Schluss des letzten Wahllokals um 17 Uhr keine Ergebnisse weitergegeben werden durften, gab es diesmal keine verlässlichen Hochrechnungen. Sondern es sickerten nur vereinzelte Ergebnisse von Gemeinden durch. Entgegen den letzten Umfragen war da plötzlich von einem Kopf-an-Kopf-Rennen der ÖVP mit der SPÖ und der FPÖ die Rede. Erst gegen Abend begann sich heraus zu kristallisieren, dass es die Volkspartei nach 11 Jahren wieder schafft, die Nummer 1 zu werden und damit einen Auftrag zur Regierungsbildung zu erhalten. Das Endergebnis wird freilich erst am Donnerstag vorliegen. Bis dahin kann es noch einige Überraschungen, den Spitzenplatz ausgenommen, geben.

Noch kann sich einiges verschieben

6,4 Millionen Wähler waren wahlberechtigt. 79 Prozent haben vor ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht, das bedeutet eine Steigerung um 4 Prozent (ein europäisches Phänomen). Rund 890.000 Wähler hatten allerdings eine Wahlkarte beantragt. Diese müssen noch ausgezählt werden und können daher noch einige Veränderungen bringen. Vorerst steht fest, dass

  • die ÖVP mit 31,3 Prozent der Wahlsieger ist. Sie dürfte bei den Wahlkartenwählern, so die aktuellen Prognosen, aber noch dazu gewinnen
  • das Rennen um den zweiten und dritten Platz noch nicht entschieden ist. Derzeit liegt die FPÖ mit 27,3 Prozent vor der SPÖ, die bei 26,7 Prozent hält, wobei Hochrechnungen den Sozialdemokraten noch Hoffnung auf eine Umkehr geben
  • die liberalen NEOS mit 4,9 Prozent auch im neuen Parlament wieder vertreten sein werden und
  • den beiden Grünparteien noch eine Zitterpartei bevorsteht. Vorerst darf nur die neue Liste Pilz mit 4,1 Prozent rechnen, während seine Ex-Partei, die alten Grünen, mit 3,3 Prozent einen Mandatsanspruch verloren hätten. In Österreich gilt eine 4-Prozent-Hürde.

Zerfall des Grün-Lagers

Interessant an dem Wahlergebnis sind noch einige Details. So dass die ÖVP zwar einen klaren Wahlerfolg eingefahren hat, aber ihr im Endspurt ein wenig die Luft ausgegangen ist. Was dazu führte, dass der Abstand zu den beiden Verfolgerparteien doch etwas geringer als erwartet ausfiel. Was auch darauf zurückzuführen ist, dass die „Dirty Campaigning Aktion“ der SPÖ ihr weniger schadete als erwartet und offenbar sogar zu einer Mobilisierung der Parteifunktionäre führte. Die Auseinandersetzung über die Schmutzkübelkampagne zwischen SPÖ und FPÖ bot zudem FPÖ-Führer Heinz Christian Strache noch die Möglichkeit, sich als Alternative zu Rot und Schwarz zu profilieren. Letztlich führte die Zuspitzung des Drei-Kampfes an der Spitze dazu, dass das Grünlager – noch dazu geschwächt durch die Spaltung – schlussendlich in einen Existenzkampf verwickelt war.

Und es ist nicht zuletzt das Scheitern des rot-grünen Experiments in Wien, das den Grünen zu schaffen macht. Hier stürzten sie nämlich von 11 auf 5 Prozent ab. Überraschend in der Bundeshauptstadt ist freilich auch, dass hier der Höhenflug der FPÖ gestoppt wurde. Entgegen allen Umfragen konnte nämlich die seit Monaten in innerparteiliche Diskussionen verstrickte SPÖ mit 35 Prozent die meisten Stimmen erhalten. Die FPÖ kam hingegen nur auf 23 Prozent. Dicht gefolgt mit 21 Prozent von der ÖVP, die damit gleich mehr als die doppelte Zustimmung gegenüber der letzten Landtagswahl erhielt.

Beginn der Regierungsspekulationen

Wie es in Österreich politisch weitergeht, wird man freilich erst Ende der Woche genau wissen, wenn das amtliche Endergebnis vorliegt. Bundespräsident Alexander van der Bellen ließ aber bereits erkennen, dass der Sieger – also ÖVP-Obmann Sebastian Kurz – mit der Regierungsbildung beauftragt wird. Der ließ sich aber am Wahlabend noch keine Koalitionspräferenz entlocken, außer dass es sein Ziel ist, möglichst rasch zu einer neuen Regierung zu kommen.

SPÖ-Vorsitzender Christian Kern, dem, je länger der Abend dauerte, der Verlust der Spitzenposition anzumerken war, will die Partei weiter führen. Auch in der Opposition. Einer möglichen Koalition der SPÖ mit der FPÖ, die immer wieder im Raum steht, hat Wiens Bürgermeister Michael Häupl schon eine Abfuhr erteilt. Wenngleich bereits einige Parteigranden sich für Kerns Weiterverbleib ausgesprochen haben, so dürfte der SPÖ jedenfalls eine Richtungsdiskussion ins Haus stehen. Rückt sie auch mehr in die Mitte oder doch wieder stärker nach Links.