Wenn das mal kein böses Omen ist: Einen schlechteren Zeitpunkt zum Abtreten hätte sich „Cu Rua“ nicht aussuchen können. Ausgerechnet einen Tag vor Beginn des richtungsweisenden Parteitags der Kommunisten in Vietnam hat die berühmteste Schildkröte des Landes das Zeitliche gesegnet. Mehr als 100 Jahre alt wurde das vom Volk verehrte Tier. Die Jangtse-Riesenweichschildkröte aus Hanoi galt als Symbol für den Kampf gegen China, das Vietnam hunderte Jahre besetzt gehalten hatte. Der Legende nach bekam König Le Thai To das Schwert, mit dem er im 15. Jahrhundert die Chinesen aus dem Land jagte, von einer goldenen Schildkröte. Das Ableben ihres vermeintlichen Nachfahren im Hoan-Kiem-See sorgt nun für ungute Gefühle bei den abergläubischen Vietnamesen. Schließlich soll das Tier über das magische Schwert gewacht haben.
Meinung ist gespalten
Die Bevölkerung schaut mit Sorge auf den angelaufenen Parteitag der kommunistischen Führung, die in Hanoi den nächsten Fünf-Jahres-Plan des Landes festlegt und das Personal dafür aufstellt. Die Meinungen über den künftigen Kurs der Politik gehen auch in der Bevölkerung auseinander: Die einen fürchten den wiederkehrenden Einfluss des ungeliebten Nachbarn China, die anderen trauen dem Westen nicht über den Weg.
Hanoi hält sich bislang alle Optionen offen
Bislang hatte sich Vietnam erfolgreich alle Optionen offengehalten. Mit sämtlichen Großmächten der Welt pflegt Hanoi derzeit ein recht freundschaftliches Verhältnis. Erhebliche Verstimmungen gab es zuletzt allein mit China wegen Gebietsansprüchen im südchinesischen Meer. Beide Länder sehen bekanntlich die Spratly- und Paracel-Inseln als ihre Hoheitsgebiete an. In den Regionen werden reiche Fischbestände und Bodenschätze vermutet.
China hatte im vergangenen Jahr unter anderem künstliche Inseln im Meer aufgeschüttet und Bahnen angelegt, auf denen bereits Flugzeuge landen. Im Jahr davor war es in Vietnam zu dramatischen Szenen gekommen, als die Bevölkerung im Süden des Landes chinesische Fabriken in Brand setzte und plünderte. Die Wut der Vietnamesen richtete sich gegen die Errichtung einer Ölplattform im südchinesischen Meer. China war in vietnamesisches Hoheitsgewässer eingedrungen und ließ dabei sogar vietnamesische Fischerboote rammen. Die Lage drohte zu eskalieren. Mittlerweile hat sich die Situation beruhigt, auch weil Peking die Ölplattform längst wieder abgezogen hat. Und schließlich ist und bleibt China der mit Abstand größte Handelspartner Vietnams.
Die USA haben inzwischen die EU als wichtigsten Exportmarkts Vietnams überholt, der Krieg zwischen beiden Ländern spielt im öffentlichen Diskurs kaum eine Rolle.
Auswärtiges Amt
Hanois Beziehungen mit den USA sind derweil so gut wie nie zuvor. „Die USA haben inzwischen die EU als wichtigsten Exportmarkts Vietnams überholt, der Krieg zwischen beiden Ländern spielt im öffentlichen Diskurs kaum eine Rolle“, berichtet das Auswärtige Amt. Die Außen- und Verteidigungsminister der USA und Vietnams besuchen sich regelmäßig, und zuletzt war im Juli 2015 sogar der Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Nguyen Phu Trong, zu Gast im Weißen Haus, um sich mit Präsident Barack Obama zu treffen. Beide Länder kooperieren unter anderem bei der friedlichen Nutzung von Kernenergie.
Auch die Russen sind gute Freunde
Ein guter und langjähriger Freund Vietnams ist aber auch Russland. Vor allem die militärische Zusammenarbeit spielt für beide Seiten eine wichtige Rolle. Neben Öl und Gas werden deshalb auch Rüstungsgüter ausgeliefert. So erhielt Vietnam 2015 das dritte und vierte von insgesamt sechs russischen U-Booten für seine Flotte. Die Russen haben dafür weitgehende Nutzugsmöglichkeiten des Militärhafens im südvietnamesischen Cam Rahn.
Freihandelsabkommen mit der EU
Und mit Europa unterhält Vietnam ebenfalls stabile freundschaftliche und wirtschaftliche Beziehungen. Vergangenes Jahr einigten sich beide Seiten auf den Abschluss des Freihandelsabkommens FTA. Innerhalb von zehn Jahren sollen 99 Prozent aller Zölle zwischen Vietnam und den EU-Ländern fallen (der Bayernkurier berichtete). Deutschland ist besonders engagiert. Derzeit wird unter anderem ein „Deutsches Haus“ in der Südmetropole Ho-Chi-Minh-Stadt gebaut, in dem ab 2017 alle in der Stadt vertretenen deutschen Institutionen sowie interessierte Unternehmen ihren gemeinsamen Sitz haben werden.
Wohlstand hat sichtbar zugenommen
Die Wirtschaft ist in dem einst bettelarmen Land zuletzt wieder um mehr als sechs Prozent gewachsen, der Wohlstand nimmt sichtbar zu. Beim Parteitag wird sich nun zeigen, ob Premierminister Nguyen Tan Dung seinen erfolgreichen Kurs fortsetzen darf. Das konservative Lager misstraut den USA und will sich mehr Richtung China orientieren. Wer sich durchsetzen wird, galt vor dem Parteitag als völlig offen.