Schweden führt Grenzkontrollen ein
Signal an Europa: Schweden kehrt zu Grenzkontrollen zurück. Begründung: Der Migrantenstrom stelle eine Bedrohung für öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Syrer erhalten nur noch befristete Aufnahme. Norddeutschlands Hafenstädte müssen sich auf massive Flüchtlings-Rückstaus einstellen. Die Auslandspresse stellt fest: „Der Druck auf Kanzlerin Merkel steigt.“
Asylkrise

Schweden führt Grenzkontrollen ein

Signal an Europa: Schweden kehrt zu Grenzkontrollen zurück. Begründung: Der Migrantenstrom stelle eine Bedrohung für öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Syrer erhalten nur noch befristete Aufnahme. Norddeutschlands Hafenstädte müssen sich auf massive Flüchtlings-Rückstaus einstellen. Die Auslandspresse stellt fest: „Der Druck auf Kanzlerin Merkel steigt.“

„Wir brauchen Ordnung, und das gilt auch für unsere Grenzen. Es muss Ordnung geben bei der Aufnahme der Flüchtlinge.“ Mit den Worten begründete Schwedens sozialdemokratischer Ministerpräsident Stefan Löfven ausgerechnet am Rande des EU-Afrika-Migrationsgipfels in Malta die Rückkehr zu Personenkontrollen an Schwedens Grenzen. Löfven weiter: „Das ist kein Zaun. Aber wir müssen wissen, wer zu uns kommt. Wir müssen auch sichergehen, dass sich die Leute auf den Fähren ausweisen können.“

Rückkehr zu Grenzkontrollen

Ab dem heutigen Mittag nimmt Schweden an seinen Grenzen wieder Personenkontrollen vor. Betroffen sind zunächst die Zug- und Autotrassen auf der Öresundbrücke, die Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen mit der schwedischen Hafenstadt Malmö verbindet, sowie die schwedischen Fährhäfen. Der neue Zustand gilt vorerst für zehn Tage. Aber nach dem Schengener Abkommen von 1990 zur Abschaffung der Grenzkontrollen kann die Maßnahme dann jeweils für 20 Tage verlängert werden − wenn ein triftiger Grund vorliegt.

Wenn die Behörden uns sagen, sie sorgen sich um die Sicherheit und Ordnung im Land, dann ist unsere Reaktion, sowohl Grenzkontrollen als auch Identitätskontrollen auf den Fähren einzuführen.

Ministerpräsident Stefan Löfven

Den haben jetzt Schwedens Sicherheitskräfte geliefert. Brisant: Innenminister Anders Ygemann zufolge hat die schwedische Polizei der Regierung erklärt, dass die gegenwärtige Situation eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in Schweden darstelle. Tatsächlich versetzt Stockholms Flüchtlingspolitik immer mehr Schweden zusehends in Aufruhr. Dazu Löfven in Malta: „Wenn die Behörden uns sagen, sie sorgen sich um die Sicherheit und Ordnung im Land, dann ist unsere Reaktion, sowohl Grenzkontrollen als auch Identitätskontrollen auf den Fähren einzuführen.“

Nur noch zeitlich befristete Aufnahme für Syrer

Schon seit Jahrzehnten pflegt Schweden eine besonders liberale Asyl- und Zuwanderungspolitik, zuletzt mit um die 100.000 Zuwanderer jedes Jahr, vor allem etwa aus Somalia, Pakistan und eben Syrien. 1980 machten nicht-westliche Zuwanderer nur ein Prozent der schwedischen Bevölkerung aus – heute sind es von derzeit etwa zehn Millionen Einwohnern deutlich über zehn Prozent. Schon im vergangenen Jahr hat Stockholm allen Syrern, die es bis nach Schweden schaffen, Asyl und dauerhafte Aufnahme versprochen. Im vergangenen Monat hat Stockholm dass allerdings wieder zurück genommen: Syrer erhalten nur noch zeitlich befristete Aufnahme.

Chaotische Situation an den Grenzen

Jetzt können die Schweden nicht mehr. Der nicht enden wollende Migrantenstrom bringt das Land an seine Grenzen. 112.000 Migranten haben dieses Jahr schon Asyl in Schweden beantragt. Bis Ende des Jahres werden es wohl 190.000 werden. In Relation zur Bevölkerung hat Schweden längst viel mehr Migranten aufgenommen als jedes andere EU-Land. Seit September sind 80.000 Migranten hinzugekommen – und noch immer erreichen jede Woche 10.000 Einwanderer das skandinavische Land.

Die Leute sind gezwungen, in Zelten draußen vor unseren Büros und Aufnahmezentren zu schlafen.

Mikael Hvinlund, Sprecher der Einwanderungsbehörde

„Wir haben keinen Platz mehr“, hieß es Anfang der Woche aus der schwedischen Einwanderungsbehörde. Behördensprecher Mikael Hvinlund fand deutliche Worte, die die Londoner Tageszeitung Financial Times widergibt: „Wir haben hier eine Situation, in der Leute gezwungen sind, in Zelten draußen vor unseren Büros und Aufnahmezentren zu schlafen. Wir haben eine Situation, in der wir nicht jedem, der kommt, ein Dach über dem Kopf garantieren können.“ Das ist sogar untertrieben: Schon vor zwei Wochen wurden bis Ende des Jahres 45.000 fehlende Übernachtungsplätze für Migranten errechnet. Mancherorts werden schon winterfeste Zelte aufgestellt.

Viele unbegleitete Jugendliche, die einfach verschwinden.

Mikael Hvinlund

An Schwedens Grenzübergängen herrschten offenbar – bis heute 12 Uhr – unkontrollierte, chaotische Zustände. Der Sprecher der Einwanderungsbehörde brachte es wieder in drastische Worte: „Wir haben eine Situation an unseren Fähr-Terminals und Bahnhöfen, in der jeden Tag viele unbegleitete Jugendliche einfach verschwinden, und das ist nicht vernünftig.“ Die Behörde rechnet für dieses Jahr mit 33.000 unbegleiteten minderjährigen Migranten (Deutschland: 40.000).

Folgen für Norddeutschland und für Bayern: Tausende Migranten stauen sich

Das neue schwedische Grenz-Regime hat Folgen für Norddeutschland − und für Bayern. Presseberichten zufolge gilt es zunächst auch nur für Reisende aus Deutschland und Dänemark. Besonders betroffen sind jetzt denn auch die Fährhäfen Kiel, Flensburg, Lübeck, Puttgarden oder Rostock in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Die Städte stellen sich auf Migranten-Rückstaus und auf schwierige Verhältnisse ein.

Schleswig-Holstein nimmt seit heute keine aus Bayern überstellten Migranten mehr auf.

Im Oktober machten sich jeden Tag durchschnittlich 1000 Migranten von Schleswig-Holstein aus auf den Weg nach Schweden. Rostock berichtete schon vor zwei Wochen von 5000 Migranten, die in der Umgebung auf eine Fährverbindung warteten. Jetzt müssen die Migranten damit rechnen, an der schwedischen Grenze schlicht zurückgeschickt zu werden, wenn sie nicht schon die Fährbesatzungen abweisen. Die Konsequenzen treffen auch Bayern: Schleswig-Holstein nimmt seit heute keine aus Bayern überstellten Migranten mehr auf.

Signal an die restliche EU

Schwedens dramatischer Kurswende soll auch ein Signal an Europa sein, betont Innenminister Anders Ygemann: „Unser Signal an die restliche EU ist glasklar: Schweden ist das Land, das in der Flüchtlingskrise die größte Verantwortung übernommen hat.“ Im Kreis der EU-Regierungschefs in Malta wird Ministerpräsident Löfven vermutlich sehr nachdrücklich vorgetragen haben, dass Stockholm von Europa jetzt eine faire Lastenverteilung verlangt.

Stockholm verlangt von Europa faire Lastenverteilung.

Schon kürzlich hatte Schweden die EU-Kommission darum gebeten, als drittes Land nach Griechenland und Italien gemäß dem Kommissions-Schlüssel Migranten auf andere EU-Länder umverteilen zu dürfen. Von einer Antwort aus Brüssel ist bislang nichts bekannt. Aber selbst wenn die positiv ausfiele, könnte sie Schweden kaum helfen. Denn bislang haben 14 Mitgliedstaaten erst 1375 Plätze nach Brüssel gemeldet. Und von 160.000 umzuverteilenden Migranten haben erst 136 tatsächlich eine neue Bleibe gefunden.

Die schwedische Politik-Wende wird wahrscheinlich den Druck auf Kanzlerin Angela Merkel erhöhen.

The Wall Street Journal

Für das hyper-liberale Einwanderungsland Schweden ist die Rückkehr zu Grenzkontrollen eine dramatische Wende: Zwischen den skandinavischen Ländern gibt es schon seit den 50er Jahren kontrollfreien Reiseverkehr. Stockholms Notruf könnte auch Folgen für Deutschland haben, überlegt die New Yorker Tageszeitung The Wall Street Journal: „Die schwedische Politik-Wende wird wahrscheinlich den Druck auf Kanzlerin Angela Merkel im Zentrum der europäischen Migrationspolitik erhöhen, an deren Politik der offenen Tür sich Kritik entzündet hat, zuhause und im Ausland.“ Unter den europäischen Regierungen steigt die Sorge, so das US-Blatt, dass auch Deutschland seine kürzlich verhängten Grenzkontrollen verschärft und viel weniger Asylbewerbe aufnimmt – „und sich dann Zehntausende in Griechenland und den Balkanländern gestrandet finden, bei sinkenden Temperaturen und wenigen winterfesten Unterkünften.“