Offene Balkan-Route
Zehntausende Migranten aus Syrien, Afghanistan oder Ostafrika wählen die Balkan-Route, um in die EU zu gelangen. Seit jüngstem helfen Mazedonien und Serbien den Migranten, den Weg bis zur ungarischen Grenze möglichst schnell zu bewältigen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat Verständnis für Ungarns Absicht, seine Schengen-Außengrenze mit einem Zaun zu befestigen.
Flüchtlingskrise

Offene Balkan-Route

Zehntausende Migranten aus Syrien, Afghanistan oder Ostafrika wählen die Balkan-Route, um in die EU zu gelangen. Seit jüngstem helfen Mazedonien und Serbien den Migranten, den Weg bis zur ungarischen Grenze möglichst schnell zu bewältigen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat Verständnis für Ungarns Absicht, seine Schengen-Außengrenze mit einem Zaun zu befestigen.

Die nächste große Fluchtwelle kommt nicht aus dem Balkan – aber über den Balkan. Jeden Tag wählen etwa 1000 Flüchtlinge und Einwanderer aus Syrien, Afghanistan oder von Horn von Afrika über die Balkan-Route zur ungarischen Grenze. Seit Anfang Juni habe sich ihre Zahl vervier- oder verfünffacht, berichtet die Londoner Wochenzeitung The Economist in ihrer aktuellen Ausgabe. Das sind 30.000 jeden Monat und, wenn der Zustrom anhält, bald 400.000 im Jahr. 60 Prozent der Flüchtlinge sind derzeit Syrer. Iraker und Afghanen stellen die nächst größeren Gruppen. Die allermeisten von ihnen seien junge Männer, aber Familien seien auch dabei, zitiert das Blatt das UN-Flüchtlingshilfswerk. Die Zuwanderer haben nur ein Ziel: die – noch – sehr leicht zu überwindende Grenze zwischen Serbien und dem EU-Mitgliedsland Ungarn. Wer es bis Ungarn schafft, darf hoffen, sich in der EU fast völlig frei bewegen zu können. Denn auch Ungarn gehört dem grenzkontrollfreien Schengener Raum an.

Eine Aufenthaltserlaubnis und Reiseanweisungen auf Arabisch

Seit kurzen halten mazedonische und serbische Behörden die Migranten nicht mehr auf, sondern schicken sie einfach nordwärts, so The Economist. So wurde etwa in Mazedonien ein großes Flüchtlings-Lager geöffnet und aufgelöst. Bislang war die Balkan-Migranten-Route von der Ägäis nach Mitteleuropa ein weitgehend verborgener Pfad über grüne Grenzen, in der Hand von Schleusern. Jetzt ist sie offen, und wenn man dem Londoner Wochenblatt glauben darf, sozusagen offiziell.

Serbien gibt den Migranten drei Tage Zeit, damit sie es über die Grenze nach Ungarn schaffen und hilft ihnen dabei.

Mazedonische Behörden registrieren die Migranten und setzen sie dann in Züge, die sie zum südserbischen Grenzort Presowo bringen. Dort erhalten die Migranten von den serbischen Behörden Dokumente, die ihnen 72 Stunden Zeit geben, um in Serbien Asyl zu beantragen – de facto eine Aufenthaltserlaubnis für drei Tage.

Innerhalb der Dreitagesfrist  sollen es die Migranten dann, bitte schön, über die Grenze nach Ungarn schaffen. Die Serben überlassen nichts dem Zufall. Mit der Aufenthaltsgenehmigung für drei Tage erhalten die Migranten zugleich einen Fahrplan für die Fahrt nach Subotica an der ungarischen Grenze. Auf dem südserbischen Bahnhof Presevo sind entsprechende Anweisungen auf Englisch und Arabisch plakatiert, beschreibt der Korrespondent des Economist. Im nordserbischen Subotica helfen serbische Grenzbeamte den Migranten über die Grenze nach Ungarn.

Ungarns Grenzzaun

Im ersten Halbjahr 2015 sollen schon 37.391 Personen politisches Asyl in Serbien beantragt haben, die alle nicht vorhaben, in Serbien zu bleiben. Der Asylantrag verschafft ihnen aber etwas Verschnaufzeit. Doch die tatsächliche Zahl der Migranten, die Serbien durchquert, könnte schon doppelt so groß sein, weiß The Economist vom Chef einer serbischen Nichtregierungsorganisation.

Dabei wird es nicht bleiben. Seit Jahresbeginn sind schon 78.000 Migranten in Griechenland angekommen. Presseberichten zufolge sollen sich bis 1,5 Millionen Flüchtlinge in Griechenland aufhalten. Von 300.000 Migranten ohne Pässe, mitten in Athen, berichtete schon 2011 die Presseagentur dpa.

Ungarn ist ein Land, das eine Schengen-Außengrenze hat, und wir verlangen, dass diese Staaten ihre Außengrenzen sichern. Zudem ist Ungarn in den vergangenen Monaten sehr belastet, dort wurden in den vergangenen Monaten Zehntausende Asylbewerber aufgenommen und registriert.

Thomas de Maizière, Bundesinnenminister

Diese Situation und solche Zahlen, sind der Hintergrund für Ungarns Entscheidung, entlang der seiner Grenze zu Serbien einen 175 Kilometer langen Grenzzaun zu bauen. Gegen das Vorhaben wurde scharfe Kritik geäußert, vor allem in Serbien. Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung findet auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière den Zaun nicht schön, hat aber Verständnis für Ungarns Lage und erinnert darin, dass Ungarn lediglich seinen Schengen-Pflichten nachkommt: „Ungarn ist ein Land, das eine Schengen-Außengrenze hat, und wir verlangen, dass diese Staaten ihre Außengrenzen sichern. Zudem ist Ungarn in den vergangenen Monaten sehr belastet, dort wurden in den vergangenen Monaten Zehntausende Asylbewerber aufgenommen und registriert.“

Wie es weiter geht? Der ungarische Grenzzaun kann die Migranten vielleicht vom Grenzübertritt nach Ungarn abhalten. Am Migrantenstrom aber wird er nichts ändern. Wenn der Zaun steht, wird der Strom im nördlichen Serbien schlicht nach Westen abbiegen und dann den Weg nach Kroatien suchen – auch ein EU-Land. Die Flüchtlingskrise hält an – und verstärkt sich.