Europa hat gewählt: Wer aber wird neuer EU-Kommissionschef? (Bild: imago images/C. Hardt/Future Image)
EU-Parlament

„Versucht es erst gar nicht!“

Im Machtpoker um Brüsseler Spitzenposten gibt es eine erste Festlegung: Das neue Europaparlament will nur einen der Partei-Spitzenkandidaten zum Nachfolger von Kommissionschef Juncker wählen. Das ist eine Kampfansage an die Regierungschefs.

Das Europaparlament will darauf bestehen, nur einen der Europawahl-Spitzenkandidaten zum Chef der EU-Kommission zu wählen. Darauf verständigten sich die Fraktionschefs einer Mehrheit der Abgeordneten am Dienstag, wie Parlamentspräsident Antonio Tajani bestätigte.

Weber als Favorit

Der CSU-Politiker Manfred Weber ist damit einen Schritt weiter auf dem Weg an die Spitze der EU-Kommission: Er sieht sich als Chef der größten Fraktion, der Europäischen Volkspartei, als Favorit. Die übrigen Parteien haben allerdings eigene Kandidaten. Und sie legten sich noch nicht auf Weber als Person fest.

Das ist ein klares Signal an den Europäischen Rat: Versucht es erst gar nicht!

Udo Bullmann

Die Einigung der Fraktionsspitzen in einer Runde bei Tajani ist vor allem eine Ansage an die EU-Staats- und Regierungschefs kurz vor dem EU-Sondergipfel am Dienstagabend. Denn dort gibt es Widerstand dagegen, dass nur einer der Spitzenkandidaten an die Spitze der mächtigen Behörde rücken kann.

Staatschefs beraten

„Die Mehrheit hat klargemacht, dass an dem Spitzenkandidaten-Prozess als Orientierungspunkt nichts vorbeigeht“, sagte der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende Udo Bullmann. Dies sei „ein klares Signal an den Europäischen Rat: Versucht es erst gar nicht!“

Die Staats- und Regierungschefs wollen am Abend erstmals über die Personalien beraten. Sie haben zwar das offizielle Vorschlagsrecht für den Posten des Kommissionschefs. Anschließend muss das Parlament jedoch mehrheitlich zustimmen.

Macrons gefährlicher Kampf

Einige der Staats- und Regierungschefs – allen voran der französische Präsident Emmanuel Macron – lehnen das Spitzenkandidatenprinzip ab. Sie wollen lieber unter sich ausmachen, wer dem derzeitigen Chef der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, folgt. Nach der Europawahl mit hoher Wahlbeteiligung fühlt sich das Parlament jedoch in seiner Position gestärkt. Hinterzimmer-Politik würde der Demokratie und dem Ansehen der EU enormen Schaden zufügen, da sind sich die Parlamentarier parteiübergreifend einig.

Die EVP wurde trotz Verlusten bei der Europawahl mit 182 von 751 Sitzen wieder stärkste Kraft. Aber auch Webers sozialdemokratischer Gegenspieler Frans Timmermans und die Liberale Margrethe Vestager machen sich noch Hoffnung auf den Spitzenposten, obwohl sie deutlich schlechter abschnitten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Weber mehrfach ihre Unterstützung zugesichert.

Wenn der Rat der Staats- und Regierungschefs Margarethe Vestager vorschlagen würde, wäre das ein Versuch, die Demokratisierung Europas zu torpedieren.

Bernd Posselt

Der CSU-Europapolitiker Bernd Posselt übte scharfe Kritik an den Plänen, die liberale Dänin Vestager zur Kommissionspräsidentin zu machen: „Sie ist bei der Europawahl weder als Spitzenkandidatin noch sonst angetreten, ihre Partei ist in Dänemark in der Opposition und ihre Parteienfamilie nur die drittstärkste im Europaparlament.“ Posselt warnte: „Wenn der Rat der Staats- und Regierungschefs sie vorschlagen würde, wäre das ein Versuch, die Europawahlen zur Makulatur zu machen und die Demokratisierung Europas zu torpedieren.“ Die EU befinde sich vor einer historischen Richtungsentscheidung zwischen einem parlamentarischen System, für das Manfred Weber kämpfe, und einem technokratischen, für das Vestager stehe.

Schwierige Mehrheitsbildung

Nach der Europawahl kommen die beiden Volksparteien – EVP und Sozialdemokraten – erstmals in der Geschichte des Parlaments nicht mehr auf eine Mehrheit. Bislang haben sie in Brüssel vieles in einer informellen Koalition unter sich ausgemacht. Nun brauchen sie neue Partner. Für eine Mehrheit sind 376 Stimmen nötig. EVP, Sozialdemokraten und Grüne kommen zusammen auf rund 395 Sitze.

(dpa/BK)