Europa steht vor einer Richtungsentscheidung. (Bild: Imago/Ralph Peters)
EU-Gipfel

Kann die EU Weltpolitik?

Angesichts weltweiter Turbulenzen wollten die EU-Staaten beim Gipfeltreffen in Rumänien ihre Einigkeit demonstrieren. Doch inhaltlich und personell wurden einige Streitpunkte deutlich - etwa bei der Frage der Rechtsstaatlichkeit.

Gut zwei Wochen vor der Europawahl hat Bundeskanzlerin Angela Merkel mehr Einsatz und Tempo in der Europäischen Union gefordert. Beim EU-Sondergipfel in Rumänien schlug die CDU-Politikerin häufigere Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs vor, um den Entscheidungsstau aufzulösen.

Gemeinsame Werte

Kurz vor der Europawahl wollten die 27 bleibenden EU-Länder ohne Großbritannien in Sibiu (Hermannstadt) ein Zeichen des Aufbruchs für die Zeit nach dem Brexit setzen. Thema war die „strategische Agenda“ der EU für die nächsten fünf Jahre. Eine „Erklärung von Sibiu“ bekräftigte die Geschlossenheit der 27 und die EU-Grundwerte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit. Sie betont auch das Ziel einer stärkeren Rolle Europas auf der Weltbühne.

Niemand kann mit dem Status quo zufrieden sein.

Sebastian Kurz, Österreichs Kanzler

Die diplomatische Krise zwischen den USA und Iran um die Kündigung des Atomabkommens machte allerdings deutlich, dass die EU im Weltgeschehen häufig hilflos zuschauen muss. Merkel appellierte an den Iran, zu „überlegen, was er in Zukunft tut“ und auch die eigenen Chancen des Abkommens zu sehen. Deutschland bleibe gesprächsbereit: „Unsere Hand bleibt an dieser Stelle jedenfalls ausgestreckt. Wir wollen weiter auf die diplomatische Lösung setzen“, sagte sie am Rande des EU-Gipfels. Das Ultimatum des Iran wies sie zurück. Der Iran hatte zuvor gedroht, nach Ablauf einer 60-Tages-Frist den Ausstieg aus dem Abkommen einzuleiten.

30 Jahre nach der Wende

In ihrem Resümee zum Sibiu-Gipfel sagte Merkel, die EU habe bereits gemeinsam sehr viel erreicht. Sie verwies auf die Stabilisierung des Euro und der Flüchtlingsbewegungen. „Aber wir wissen, dass die Welt nicht schläft und dass wir in den nächsten Jahren hart weiter arbeiten müssen, um das europäische Projekt zu einem nachhaltigen Erfolg zu führen“, sagte die Regierungschefin.

Merkel betonte die symbolische Bedeutung des Gipfels 30 Jahre nach der Wende in Osteuropa. Unbeschadet aller politischen Unterschiede seien alle in der EU überzeugt, dass gemeinsames Handeln besser sei. Die EU müsse sich im internationalen Wettbewerb behaupten. „Wir müssen innovativ sein, wir müssen stark sein, wir müssen geeint sein. Und dafür werden wir heute werben“, so Merkel.

Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz wurde noch deutlicher: „Niemand kann mit dem Status quo zufrieden sein.“ Auch er plädierte dafür, die EU schneller und effizienter zu machen und wiederholte den Vorschlag, die EU-Kommission zu verkleinern. Österreich wäre bereit, dafür zeitweise auf einen eigenen Kommissar zu verzichten. Der französische Präsident Emmanuel Macron forderte, Europa müsse vor allem in Wachstumstreiber wie Künstliche Intelligenz investieren. Er pochte auch abermals auf einen besseren Grenzschutz.

Debatte um Klimaschutz

Trotz aller Appelle der Einigkeit wurden in Sibiu auch inhaltliche Streitpunkte offenbar – vor allem bei dem im Wahlkampf sehr prominenten Thema Klimaschutz. Merkel trat hier auf die Bremse: Neue Vorschläge Frankreichs im Kampf gegen den Klimawandel trug die CDU-Politikerin nicht mit. Macron hatte zusammen mit sieben weiteren Staaten für das ehrgeizige Ziel geworben, die EU solle bis 2050 gar keine Klimagase mehr in die Atmosphäre blasen. Merkel sagte, sie könne sich dem nicht anschließen, weil es nicht den deutschen Klimazielen entspreche. Gegen Macrons Vorschlag wandte sich auch Kurz. Dagegen schloss sich Lettland der Initiative an.

Ein tiefer Riss wurde auch bei der Rechtsstaatlichkeit sichtbar – ein Dauerstreitthema zwischen der EU-Kommission und den Regierungen in Polen, Ungarn und Rumänien. Rechtsstaatlichkeit sei die Essenz der EU-Politik, sagte Tusk. Das sei für alle EU-Staaten offensichtlich – „vielleicht für fast alle von uns“, schränkte er ein.

Gegen Polen und Ungarn laufen Sanktionsverfahren wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit. Diese ist ein Grundprinzip der EU. Gegen Rumänien wird ein solches Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge ebenfalls debattiert. Hintergrund sind unter anderem Vorwürfe politischer Einflussnahme auf die Justiz.

(dpa/BK)