Immer noch Thema Nummer eins in Europa: Die Migrationsfrage. (Bild: Imago/Christian Ditsch)
Europa

Mehrheit will besseren Grenzschutz

Knapp zwei Monate sind es noch bis zur Europawahl. Welche Themen treiben die Europäer um? Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass die Migration immer noch das vorherrschende Politikfeld ist, das die Bürger bewegt.

Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov im Februar und März im Auftrag der paneuropäischen Denkfabrik „European Council on Foreign Relations“ (ECFR) unter mehr als 46.000 Menschen zeigt klar die Prioritäten der Bürger auf – auch wenn diese in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten unterschiedlich ausfallen. Über deren Ergebnisse berichtete jetzt die Süddeutsche Zeitung.

In 16 Ländern – darunter die 14 EU-Mitglieder, die 80 Prozent der EU-Abgeordneten stellen – hat das Institut seine Bürgerbefragung wenige Wochen vor der Europawahl am 26. Mai gemacht: Neben Deutschland sind das noch die großen EU-Staaten Frankreich, Italien, Polen und Spanien, dazu die kleineren Staaten Belgien, Dänemark, Finnland, Griechenland, Niederlande, Österreich, Rumänien, Schweden, Slowakei, Tschechien und Ungarn.

Migration als Topthema

Das Thema, das die europäischen Bürger am meisten bewegt, ist mit 23 Prozent nach wie vor die Migration. Dieses lag in vier von 16 EU-Staaten auf Platz eins der Prioritätenliste, nämlich in den Hauptzielländern der Asylbewerber, Deutschland, Österreich, Dänemark und Schweden. Aber auch in den anderen Ländern rangiert es weit oben.

Im Vergleich zu einer ähnlichen YouGov-Studie aus dem April 2018 unter elf Staaten (mit Großbritannien und Litauen sowie ohne Belgien, Niederlande, Österreich, Rumänien, Slowakei, Tschechien und Ungarn) hat sich daran nur wenig geändert. Im Vorjahr lag Migration nur in Polen (Platz 1: Terrorismus) und Spanien (Platz 1: Arbeitslosigkeit) auf Platz 2, in allen anderen Ländern ganz vorn.

Laut der aktuellen Umfrage will eine sehr deutliche Mehrheit von 72 Prozent der Europäer in diesem Zusammenhang, dass Europas Grenzen besser vor illegaler Einwanderung geschützt werden. 38 Prozent der Europäer wollen sogar die Grenzen für legale wie illegale Migranten ganz schließen, besonders in osteuropäischen Ländern wie der Slowakei (58 Prozent), Ungarn und Tschechien (56 Prozent) sowie Rumänien (55 Prozent). Auch in Deutschland ist es mit 34 Prozent ein großer Teil der Bevölkerung, der für geschlossene Außengrenzen plädiert – 52 Prozent sind dagegen. 40 Prozent der Europäer und sogar 44 Prozent der Deutschen sagen außerdem, dass sich die Migration negativ auf die nationale Identität und Kultur ausgewirkt hat. 57 Prozent der Europäer und 63 Prozent der Deutschen sehen solche negativen Auswirkungen auch auf den Bereich Verbrechen und Sicherheit.

Angst vor Abwanderung

Die Bürger einiger Staaten ohne nennenswerte Zuwanderung sorgen sich – wenig erstaunlich – mehr um die hohe Abwanderung aus ihrer Heimat: In Rumänien sind es 55 Prozent, denen die vielen Auswanderer mehr Sorgen bereiten, weil immerhin rund 20 Prozent der Rumänen im Ausland arbeiten. Dahinter folgen beim Thema Abwanderung Tschechien (48), Spanien (34), Italien (32) und Polen (30). Anders die Hauptzielländer der Migranten: In Deutschland sehen die Abwanderung gerade mal acht Prozent kritisch, in Schweden gar nur vier Prozent.

Andere Sorgen

Auf den Plätzen hinter Migration liegen laut der Umfrage in ganz Europa Arbeitslosigkeit (20 Prozent), Lebenshaltungskosten (18), Gesundheitswesen (17), Korruption (16) und Umwelt (11). Gerade in den südeuropäischen Ländern gibt es eine sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit mit Werten über 30 Prozent, daher überrascht Platz zwei nicht. Auch hier spielt wohl die Migration mit: 39 Prozent der Europäer sehen dadurch negative Auswirkungen auf Jobs und Gehälter, nur 15 Prozent sehen positive Effekte. Korruption wird insbesondere in den ost- und südeuropäischen Staaten kritisch gesehen, auch dies kaum verwunderlich. Ganz vorne liegt hier Spanien (74 Prozent), vor Ungarn (72), Italien (70) und Rumänien (69).

Als größte einzelne Bedrohung wird in Europa der radikale Islamismus gesehen, 22 Prozent sind dieser Ansicht. Allen voran die Niederlande mit 34 Prozent und Frankreich sowie Belgien mit jeweils 26 Prozent.

Dagegen scheint das in Deutschland so präsente Thema Klimawandel in Europa deutlich weniger zu interessieren. Zwar ist in 13 von 14 Ländern die Mehrheit für mehr Umweltschutz, in Deutschland sogar 60 Prozent. Dennoch rangiert das Thema mit nur 11 Prozent auf den hinteren Plätzen der Prioritätenliste.

Finalität der EU

Interessant ist auch eine weitere YouGov-Umfrage von Anfang März. Hier wurde in den sechs Staaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Schweden, Dänemark und Finnland unter anderem gefragt, welche Länder eine Beitrittsperspektive zur EU haben sollten. Positiv beschieden das die Bürger in allen befragten Ländern nur für Norwegen, Schweiz und Island. Negativ sahen das die Befragten insbesondere für die Türkei, noch vor Marokko, Kasachstan, Russland und Israel. Nur die Briten sahen besonders Russland kritisch, was angesichts des mutmaßlich russischen Nervengiftanschlags im südenglischen Salisbury und der Polonium-Attacke von 2006 nicht verwundert. Ziel waren dabei jeweils russische Überläufer, die in England lebten. Mutmaßungen über einen russischen Auftragsmord gab es auch 2013 beim als ungeklärt eingestuften Tod des russischen Exil-Oligarchen Boris Beresowski, eines Putin-Kritikers.

Aber auch die Aufnahme der restlichen sechs Balkanstaaten (Kosovo, Albanien, Serbien, Mazedonien, Bosnien und Montenegro) sowie der Ukraine wird überwiegend negativ beurteilt. Die EU-Bürger wollen offenbar sobald keine neue Erweiterungsrunde, auch wenn die Aufnahme der osteuropäischen Länder 2004, 2007 und 2013 überwiegend auf Zustimmung stößt – mit den zwei Ausnahmen Rumänien und Bulgarien, deren Aufnahme 2007 nur von den Briten überwiegend als richtig eingestuft wird.