Sorgenkind Griechenland. Bild: Fotolia/refreshPIX
Griechenland-Krise

Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel

Und täglich grüßt der Griechenland-Gipfel: Immerhin, jetzt gibt es doch womöglich ernsthafte und machbare Athener Reformvorschläge. Aber die bloße Unterschrift von Premier Tsipras reicht nicht mehr. EVP-Fraktionschef Manfred Weber fordert harte Garantien des Athener Parlaments. Am Donnerstag will der nächste EU-Gipfel über Griechenland entscheiden – wieder einmal.

Die letzten Athener Reformvorschläge kamen nicht zur letzten erwarteten Minute, sondern noch zwölf Stunden später, nachts um 0 Uhr 30 am Montag vor dem Brüsseler Sondergipfel der Euro-Regierungschefs. Das zwölfseitige Papier fand schnelle Leser und Wirtschaftsdaten-Rechner: Schon eine Stunde später lobte das Büro von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker es als „gute Grundlage“. Doch das muss sich noch erweisen. Auf dem Euro-Sondergipfel konnte es nicht mehr geben als vorläufige Beratung. Jetzt kommt es auf den regulären EU-Gipfel am kommenden Donnerstag und Freitag an.

Steuererhöhungen und Einsparungen von 7,9 Milliarden Euro

Immerhin macht die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras zum ersten Mal substantielle Zugeständnisse an Athens Kreditgeber, also an jene Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB). Athen will nun doch einen allgemeinen Mehrwertsteuersatz von 23 Prozent festlegen, der auch im großen Bereich Tourismus gelten soll. Der 30-prozentige Mehrwertsteuernachlass für die ägäischen Inseln soll fallen. Ausnahmen soll es nur noch für Grundnahrungsmittel (13 Prozent) sowie Medikamente und Bücher (6 Prozent) geben.

Das hätten wir auch schon vor Wochen haben können

Manfred Weber, EVP-Fraktionschef

Reiche Steuerzahler und Unternehmen, die mehr als 500.000 Euro Gewinn machen, sollen mit einer Sondersteuer belegt werden. Im Wahlkampf hatte die linksradikale Syriza-Partei versprochen, eine neue Immobiliensteuer wieder abzuschaffen – jetzt soll sie doch bleiben. Rentenkürzungen schließt Tsipras allerdings weiterhin aus. Trotzdem soll sich etwas ändern: Das Renteneintrittsalter soll auf 67 Jahre angehoben und die meisten Frührenten sollen abgeschafft werden. Alle Maßnahmen zusammen sollen zusätzliche Einnahmen und Einsparungen über 2,7 Milliarden Euro in diesem und 5,2 Milliarden im kommenden Jahr generieren. Für 2015 entspräche das 1,5 und für 2016 sogar 3 Prozent des griechischen Bruttoinlandsproduktes (BIP).

IWF fordert Anhebung des Rentenalters schon ab 1. Juli diesen Jahres

„Tsipras hat endlich akzeptiert, dass es für Griechenland keine Extrawurst geben kann“, kommentierte im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk der EVP-Faktionsvorsitzende Manfred Weber. Bei allen griechischen Partnern wächst allerdings der Ärger über Athens gefährliches Verzögerungsspiel. Weber zu den jüngsten Tsipras-Angeboten: „Das hätten wir auch schon vor Wochen haben können.“

Ob es reicht, muss sich zeigen. Vor allem der IWF bleibt skeptisch. Als noch zu unspezifisch beschrieb IWF-Chefin Christine Lagarde die die griechischen Vorschläge. Tatsächlich gibt es Lücken: Der IWF will nur zwei unterschiedliche griechische Mehrwertsteuersätze, nicht drei, wie sie Athen jetzt wieder präsentiert. Im Rentensystem soll auch dieses Jahr schon umgerechnet ein Prozent des BIP eingespart und darum das Rentenalter nicht erst ab Januar 2016, sondern schon ab kommenden 1. Juli angehoben werden. Zur Erinnerung: Derzeit leistet sich ausgerechnet das überschuldete Griechenland Europas teuerstes Rentensystem und bringt dafür 16,2 Prozent seiner Wirtschaftskraft auf – gefolgt von Italien (15,7), Frankreich (14,9) und Österreich (13,9). Deutschland liegt mit 10,0 Prozent auf Rang zehn (Frankfurter Allgemeine Zeitung). Griechenlands Rentensystem ist schlicht nicht bezahlbar.

Gut begründet ist auch ein Einwand der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT). Der Unions-Wirtschaftsflügel vermisst im Athener Reformpaket Vorschläge zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands. Das Land brauche Strukturreformen, der Blick auf die Haushaltszahlen allein reiche nicht aus, so MIT-Chef Carsten Linnemann: „Die Effizienz der Verwaltung in Griechenland liegt laut Weltbank hinter der von Bangladesch.“

Wenig Vertrauen gegenüber Athen und der Regierung Tsipras

Das größte Problem dürfte nicht zuletzt auch darum die Umsetzung der jüngsten Athener Reformvorhaben sein. Unklar ist zudem, was etwa der Verzicht auf die Rücknahme der neuen Immobiliensteuer bedeutet: Schon das Syriza-Wahlversprechen über die Abschaffung der Steuer hatte dazu geführt, dass die Bürger bereits Monate vor der Wahl die Steuer einfach nicht mehr zahlten – und die Syriza-Regierung hat dann darauf verzichtet, sie einzutreiben. Werden sich solche Missstände ändern? Von 787 Reformauflagen der Troika – Griechenland hat dafür immerhin Rettungsgelder über 225 Milliarden Euro erhalten – habe Athen nicht einmal die Hälfte erfüllt, konstatierte im April 2014 die EU-Kommission.

Mein Vertrauen in diese Regierung geht gegen Null

Markus Söder, Finanzminister

Das Misstrauen gegenüber Athen ist groß, überall. „Mein Vertrauen in diese Regierung geht gegen Null“, erklärte etwa in München Bayerns Wirtschaftsminister Markus Söder kurz vor dem Brüsseler Euro-Sondergipfel. „Ich hoffe, dass die griechische Regierung auf den letzten Metern versteht, worum es geht. Im Moment habe ich nicht den Eindruck.“ Die bloße Unterschrift von Ministerpräsident Tsipras und seiner „kommunistischen Regierung, die wir dort in Verantwortung haben“, reicht auch Manfred Weber nicht mehr aus. Der EVP-Fraktionschef fordert vom Athener Parlament einen „Grundsatzbeschluss zu diesem Reformpaket“. Weber: „Wir brauchen einen Beleg aus dem Athener Parlament, dass der politische Wille da ist von allen Parteien, diese Punkte auch umzusetzen.“ Die Athener Parlamentsabstimmung dazu dürfte spannend werden: Ein Teil der linksradikalen Syriza-Sammelpartei will von Zugeständnissen an die Troika und von Reformen nichts wissen. Etwa 30 Prozent der Syriza-Abgeordneten befürworten den Ausstieg aus dem Euro.

Komplizierter Weg bis zur Rettung – reicht die Zeit?

Sicher ist, dass die Zeit Athen davon läuft. Selbst wenn die Troika und der EU-Gipfel am kommenden Donnerstag und Freitag sich dazu durchringen, die jüngsten griechischen Reformvorschläge ernst zu nehmen und zu akzeptieren, wird es kompliziert: Troika und Athen müssen in einer Gemeinsamen Erklärung die Reformen erst fixieren, die dann das Athener Parlament in Gesetzesform bringen muss. Dann müssen die Troika-Institutionen die Athener Gesetze prüfen. Schließlich müssen die Parlamente der Mitgliedsländer der Freigabe der letzten 7,2-Milliarden-Tranche des zweiten Rettungspakets zustimmen. Erst dann kann das Geld fließen und Athen wäre vor dem Bankrott gerettet. Nur: geht das alles bis zum 30. Juni, dem Tag, an dem Athen 1,6 Milliarden Euro an den IWF zurückzahlen und etwa 1,4 Milliarden Euro an Renten und Gehält5ern auszahlen muss? Gut möglich, dass zunächst entschieden wird, das schon zwei Mal verlängerte Rettungspaket noch ein drittes Mal zu verlängern. Dann verfällt die letzte Tranche nicht, Griechenland könnte auf einem anderen Wege Überbrückungsgelder erhalten und den IWF ausbezahlen.

Mario Draghi und die EZP spielen Schicksal

Unterdessen liegt Griechenlands Schicksal zunehmend in den Händen von EZB-Präsident Mario Draghi. Am Montag erhöhte die EZB die sogenannten Not-Liquiditätskredite (Ela-Kredite) an das griechische Bankensystem noch einmal um zwei Milliarden – nach drei Milliarden am Freitag zuvor –  auf nun insgesamt 88 Milliarden Euro. Aber weil die Griechen immer schneller immer mehr Geld von ihren Bankkonten räumen, reichen die Ela-Kredit-Erhöhungen kaum noch von Tag zu Tag. Vergangene Woche haben griechische Bankkunden über sechs Milliarden Euro von ihren Konten abgehoben, am Montag wieder 1,6 Milliarden. In EZB-Kreisen spricht man schon vom „Bankensturm auf Raten“.

Die griechischen Banken müssen für die Ela-Kredite Sicherheiten vorlegen. Aber die sind zusehends fiktiv. Die anderen Eurozonen-Zentralbanken werden dieses Spiel nicht mehr lange mitmachen, ahnt die Londoner Wochenzeitung The Economist. Im EZB-Rat reicht ein Quorum aus, um die Ela-Kredite an Griechenlands Banken zu stoppen. Noch kann Draghi das verhindern. Er will auf keinen Fall, dass seine EZB schuld ist, wenn plötzlich Athen keine Euros mehr in der Kasse hat und sozusagen durch einen Unfall aus der Eurozone herausfällt. Auch die Ela-Kredite wären dann weitgehend verloren. Doch je näher der 30. Juni kommt, und je mehr Milliarden die Griechen von ihren Konten räumen, desto mehr knirschen Notenbanker in der übrigen Eurozone mit den Zähnen – und desto mehr schrumpft Draghis Spielraum. Zeit für Spielchen hat Athen jetzt nicht mehr.