Türkischer Wahlkampf in Bosnien – mit Bick auf die Deutsch-Türken: Präsident Erdogan in Sarajevo. (Foto: Imago/Xinhua)
Wahlkampf

Erdogan zündelt weiter

Kommentar Weil dem türkischen Präsidenten Erdogan im Wahlkampf die Felle davonschwimmen, zieht er alle Register: In London und Sarajevo inszeniert er Spektakel, die vor allem die in Deutschland lebenden Millionen Türken für seine AKP begeistern sollen.

Das Treffen der deutschen Nationalspieler Gündogan und Özil mit dem türkischen Präsidenten Erdogan in London war ein doppeltes Indiz – einmal dafür, dass es mit den Integrationserfolgen der Deutsch-Türken doch nicht so weit her ist wie rot-grüne Multikulti-Prediger hoffen. Und dafür, dass Erdogan im türkischen Wahlkampf in ernsten Schwierigkeiten steckt und daher alle denkbaren Trümpfe ausspielt. Denn die türkische Wirtschaft schwächelt, die Menschen sind unzufrieden, die Opposition setzt die Themen – und das, obwohl sie vom Staatsapparat massiv geknebelt und unterdrückt wird.

Beobachter des Wahlkampfs in der Türkei sagen, der Präsident wirke erschöpft, selbst die aufwändig inszenierten Kundgebungen für seine Partei AKP wirkten lahm. „Früher griff Erdogan an und gab bissige Erklärungen ab, jetzt muss er die heftigen Attacken der Opposition auf dem eigenen Platz parieren“, sagt Bülent Mumay im Spiegel. Mumay ist der Online-Chef der Cumhuriyet und eine der wenigen kritischen Stimmen, die noch nicht im Gefängnis sitzen.

Hyperinflation und miserable Stimmung

Das immer noch beachtliche Wachstum von 7,4 Prozent hat Erdogan mit massiven Staatsausgaben erkauft, die zur Folge haben, dass die Inflation auf über zehn Prozent anwuchs. Die türkische Lira hat gegenüber dem Euro massiv an Wert verloren. Der Bauboom der vergangenen Jahre hat zusammen mit gedämpften Wirtschaftserwartungen zur Folge, dass jedes vierte Bürogebäude in Istanbul und Ankara leer steht. Die Stimmung der Bevölkerung ist schlecht und fällt weiter. Auch deshalb hat Erdogan die Parlamentswahlen um eineinhalb Jahre auf den 24. Juni vorgezogen.

In dieser Situation zieht er alle Register. Die Aktion mit Gündogan und Özil in London sollte eindeutig dazu dienen, die 1,4 Millionen in der Türkei wahlberechtigten Deutsch-Türken zu beeindrucken und zu mobilisieren. Die Stimmen aus Deutschland und anderen Staaten haben Erdogan schon bei der letzten Präsidentschaftswahl und bei der Volksabstimmung über die Verfassungsänderung die Mehrheit gerettet. Beim Verfassungsreferendum im vergangenen Jahr waren insgesamt knapp drei Millionen Auslandstürken als stimmberechtigt registriert, sie stellten rund fünf Prozent aller türkischen Wahlberechtigten.

Erdogan füttert seine „fünfte Kolonne“

Da die Bundesregierung – und beispielsweise auch die Niederlande – nach schlechten Erfahrungen 2017 ein Auftrittsverbot gegen Erdogan und andere türkische Spitzenpolitiker verhängt haben, verlegt der Diktator das Geschehen nun in das nahe Ausland und wettert dort gegen Europa.

Nach London war Erdogan jetzt in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo, vor 10.000 Auslandstürken, rund die Hälfte davon aus Deutschland angereist. Dort forderte Erdogan, seine Anhänger im Ausland sollten neben der türkischen die jeweilige Staatsbürgerschaft annehmen und dort eine aktive Rolle in den politischen Parteien übernehmen. Auf diese Weise, so darf man getrost unterstellen, will Erdogan eine „fünfte Kolonne“ der Türkei in Ländern wie Deutschland fördern. „Ihr solltet ein Teil dieser Parlamente sein, nicht diejenigen, die ihr Land verraten“, beleidigte er mal wieder die türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten, die seine Politik kritisieren. Wie in Ankara sollen nur noch seine Lakaien auch in das deutsche Parlament einziehen.

AKP protestiert

Das Auftrittsverbot in Deutschland wollen Erdogan und seine AKP nicht hinnehmen. Mit Blick auf die in Deutschland lebenden Türken sagte Vize-Regierungschef Recep Akdag der Zeitung Welt: „Es ist das demokratische Recht dieser Menschen, dass sie im Wahlkampf von Politikern aller türkischen Parteien über deren Ziele und Ideen informiert werden.“ Wenn ein Politiker einer Partei, die in der Türkei jedes demokratische Grundrecht mit Füßen tritt, sich nun ausgerechnet auf die Demokratie beruft, ist das mehr als bittere Ironie. All das zeigt nämlich eines: Dem türkischen Diktator und seinen Gefolgsleuten ist jedes Mittel recht, um die anstehenden „Wahlen“ zu gewinnen. Sie werden auch vor dreistem Wahlbetrug nicht zurückschrecken.

Das wiederum kann nur eines zur Folge haben: Die EU muss endlich die Reißleine ziehen und die Türkei als Beitrittskandidat ausschließen. Denn mittlerweile sollte jedem klar sein, dass diese Diktatur nicht EU-Mitglied werden will – und schon gar nicht werden kann. Ohne die EU-Vor-Beitrittshilfen wird die Situation für Erdogan noch ungemütlicher.